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Farbe statt Enge: Die Unterführung.

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Potsdam-Mittelmark: Ein Angstraum wird bunt

Der Wilhelmshorster Bahntunnel ist von Künstlern aufgepeppt worden

Michendorf – Der Wilhelmshorster Bahntunnel, sagt Horst Halling, ist ein extrem frauenfeindlicher Ort: ein von Neonröhren beschienener enger Gang unter den Gleisen, an beiden Enden um 90 Grad verwinkelt. „Man müsste doch wenigstens Spiegel anbringen, damit eine Passantin schon von der Treppe aus sehen kann, ob dort unten jemand steht“, sagt der Wilhelmshorster. Es ist nicht das einzige Manko des erst vor fünf Jahren eröffneten Bauwerkes: Kinderwagen und Fahrräder müssen über die langen Treppen getragen werden und wenn der Winter kommt, wird sich wohl auch wieder die ein oder andere Wasserlache bilden. Hunderte Wilhelmshorster müssen täglich hier durch, denn der Tunnel ist neben dem Bahnübergang in der Huchel-Chaussee die einzige Verbindung zwischen dem Nord- und Südteil des Ortes.

Die Verhandlungen zwischen der Gemeinde Michendorf und Deutscher Bahn über einen barrierefreien Übergang kommen seit Jahren nicht so recht voran. Jetzt hat der Kulturbund Michendorf zumindest erreicht, dass der Tunnel optisch weitaus freundlicher daher kommt als bisher: Horst Halling und Reinhard Pieritz, zwei ortsansässige Künstler, haben die Wände in dieser Woche grundiert und damit alte Tags und Schriftzüge verschwinden lassen. Die Farben hat die Gemeinde gesponsert, die zweieinhalb Jahre langen Verhandlungen mit der Bahn übernahm der Kulturbund. Die Flächen haben Halling und Pieritz mit bunten Acrylfarben unterteilt und zahlreiche Motive darauf aufgebracht. „Uns ging es darum, die Enge aufzubrechen“, erklärt der Künstler. Die Bilder zeigen Käfer und Kraniche – aber auch Silhouetten von Schulkindern, wie sie hier täglich hindurchlaufen. Die Hoffnung der Urheber: Dass ihr Werk respektiert und nicht gleich wieder beschmiert wird.

„Die örtliche Sprayerszene hat sich von den Schmierereien am Bahnhof distanziert“, berichtet Halling, der im Vorfeld des Projektes viele Gespräche geführt hatte. Während der Tunnel jetzt freundlicher wirkt, sind Bahnhofsgebäude und –umfeld nach wie vor mit Schmierereien übersäht. Ein Kürzel taucht immer wieder auf: „HC“. „Wenn man wirklich wollte, ließe sich herausfinden, wer das ist“, sagt Halling. Dann könnte man ihn belangen. Über die Zerstörungswut mancher Zeitgenossen kann der gebürtige Österreicher nur den Kopf schütteln: „Sehen sie sich das an“, weist er auf riesige Buchstaben an der Wand des Bahnhofshauses, „nur solch ein Schmarrn“.

Halling, Jahrgang 1940, ist 2006 nach Wilhelmshorst gezogen und eigentlich Physiker. Über seine Frau ist er nach der Wende zur Kunst gekommen. Heute stellt er seine Bilder unter anderem beim Teltower Kunstsonntag, im Wilhelmshorster Gemeindezentrum oder in Berliner Ateliers aus. Für die Turmgalerie auf der Werderschen Bismarckhöhe hat er Werke von Christian Morgenstern mit dem Pinsel interpretiert. Wilhelmshorst habe eine sehr aktive Künstlergemeinde, sagt Horst Halling. Aber auch in den Nachbarstädten und –gemeinden sei mittlerweile einiges in Bewegung gekommen. „Die Menschen sind der Kunst heute sehr aufgeschlossen“, bilanziert er. Die Jugend im Ort hoffentlich auch. „Es hängt davon ab, wie viel Einfluss die Graffiti-Szene im Ort hat“, sagt er. Denn die offiziellen Sprayer würden die Tunnelwände nicht anrühren.

Trotzdem könnte das Werk von Halling und Pieritz endlich sein: Wenn sich Bahn und Gemeinde über den Bau eines neuen Tunnels oder einer Brücke einig werden. „Das kann dauern“, sagt er. Und bis dahin bleibt der bisherige Angstraum Bahntunnel eine kleine Gallerie. Thomas Lähns

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