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In der DDR hoch geachtet: Arthur Scheunert auf einer Briefmarke.

© Repro PNN

Potsdam-Mittelmark: Disput um Ernährungsforscher

Im Fall Arthur Scheunert fordern viele Nuthetaler eine gründliche Aufarbeitung der Vorwürfe

Nuthetal - Das Deutsche Institut für Ernährungsforschung (DIfE) in BergholzRehbrücke will die Vorwürfe gegen Carl Arthur Scheunert (1879-1957) jetzt intern prüfen lassen. Laut Nachforschungen des Historikers Roland Thimme hat Scheunert zur NS-Zeit auch Menschenversuche an Häftlingen des Zuchthauses Waldheim vorgenommen. In dem Gefängnis saßen damals auch politische Gefangene. Unter anderem soll er Häftlinge 188 Tage lang völlig ohne Vitamin A ernährt haben, was bei den Probanden zu gravierenden gesundheitlichen Problemen bis hin zu Tod geführt haben soll. (PNN berichteten). Scheunert leitete das Institut in Rehbrücke von 1951 bis 1957 leitete der

„Ich war überrascht von der Nachricht“, sagte DIfE-Sprecherin Gisela Olias gegenüber den PNN am Dienstag. Unter heutigen Gesichtspunkten seien derartige Versuche natürlich zu verurteilen, betonte sie. Ernährungsstudien mit freiwilligen Testpersonen müssten heute durch eine Ethikkommission genehmigt werden. Jetzt, so Olias, müsse geklärt werden, was genau an den Vorwürfen dran sei. Ein Problem bei der Aufarbeitung könne aber sein, an verlässliche Daten zu kommen. Im Archiv des Instituts befänden sich keinerlei Unterlagen zu den Versuchen Scheunerts. Dass die NS-Vergangenheit Scheunerts im Institut bekannt gewesen sein soll, kann Olias nicht bestätigen: „Vielleicht hätten wir uns stärker mit unserer Geschichte auseinandersetzen müssen“, räumte sie ein. Andererseits sei die Einrichtung nicht für historische Forschung eingerichtet, im Mittelpunkt stehe die Ernährungsforschung.

Auch zwei ehemalige Mitarbeiter des Instituts, Fritz Linow und Heinz Rutloff, haben sich inzwischen zu Wort gemeldet. Scheunert sei es stets um eine bessere Ernährung der Bevölkerung gegangen. Auch dass er zur NS-Zeit Kopf der deutschen Militär- und Gemeinschaftverpflegung war, sehen Rutloff und Linow nicht als Problem. „Ernährungsfragen wurden zu allen Zeiten auch im Zusammenhang mit militärischen Überlegungen erörtert“, schreiben sie in einem offenen Brief. Sie fordern, dass die Protokolle der Vitaminversuche, aus denen Thimme zitiert, auch anderen zugänglich gemacht werden. Unterstützung bekommen sie dabei von Erika Haenel.

Die Gemeindevertreterin (Grüne/CDU) und Vorsitzende des Ortsvereins warnt vor einer Vorverurteilung Scheunerts. Wissenschaft sei, unabhängig von politischen Systemen, immer ein eigenes Feld, so die Witwe von Helmut Haenel, der das Rehbrücker Institut von 1964 bis 1981 sowie von 1990 bis 1991 leitete. „Deshalb sollen Wissenschaftler den Fall überprüfen“ sagte Haenel den PNN. Thimme gebe keine Hinweise auf konkrete Versuchsreihen, die einen Missbrauch belegen würden. Um solche Nachweise gegebenenfalls zu bekommen, müsse man an die Universität Leipzig herantreten, wo Scheunert einst unterrichtete, wo später aber auch kritisch zu ihm geforscht wurde. Zusammen mit Nuthetals Bürgermeisterin Ute Hustig (Linke) will Haenel Ende März beim DIfE für eine solche Aufarbeitung plädieren – „auf wissenschaftlicher Ebene, nicht auf Stammtischniveau.“ Die nach Scheunert benannte Hauptverkehrsstraße im Ort jetzt umzutaufen, hält sie für unnötig.

Das sehen in Nuthetal viele Anwohner ähnlich. „Das Geld für die neuen Straßenschilder und Briefköpfe sollte lieber in Projekte gegen Rechtsextremismus gesteckt werden“, findet Matthias Berkowsky, der eine Tankstelle an der Arthur-Scheunert-Allee betreibt. Auch Sabine Schultz, deren Mann ebenfalls 35 Jahre am DIfE gearbeitet hat, würde eine Straßenumbenennung für überstürzt halten. „Zuerst muss klar sein, was an den Vorwürfen dran ist.“ Bei vielen ist die Diskussion aber auch noch gar nicht angekommen, Bäcker und Friseure zucken bei der Frage nach Scheunert mit den Schultern.Ariane Lemme

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