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Wo stecken giftige Weichmacher drin?

© dpa

Potsdam-Mittelmark: Die Suche nach dem Gift im Kinderzimmer

Mitarbeiter des Umweltbundesamtes untersuchen in Kleinmachnow die Schadstoffbelastung von Kindern. Sie wollen Weichmachern auf die Schliche kommen.

Kleinmachnow - Die schwarzen Haare sind gegelt und akkurat gekämmt. In den Händen trägt Markus Nispel zwei klobige Transportkisten. In einer wird er später eine Urinprobe eines zehnjährigen Jungen aus Kleinmachnow verstauen. Nispel ist schwarz gekleidet. Das Outfit will kaum zum weißen VW Caddy passen, mit dem er in ganz Deutschland unterwegs ist und nun an einem verregneten Herbsttag in einer Eigenheimsiedlung in Kleinmachnow geparkt hat. Noch drei Jahre will er fahren, so lange wird die Befragung von Kindern und Jugendlichen in mehr als 2000 Haushalten für das German Environment Survey (GerES), der deutschen Umweltstudie zur Gesundheit, dauern.

Das Umweltbundesamt hat Nispel und zwei weitere Interviewer losgeschickt, um so viele Daten zu sammeln wie möglich. GerES ist laut Umweltbundesamt die größte Studie zur Gesundheit. Bislang hat es in Deutschland vier solcher Erhebungen gegeben. Untersucht wird, wie hoch die Belastung durch Umwelteinflüsse ist, woher die belastenden Stoffe stammen und wie sie in den menschlichen Organismus gelangen. „Welche Auswirkungen manche problematischen Stoffe haben, wissen wir oft gar nicht“, sagt Nispel. „Das herauszufinden ist Ziel der Befragung.“

Viel Spielzeug - und dann noch mehr Spielzeug

Der Forscher klingelt beim zehnjährigen Matthis, der gemeinsam mit seinen Eltern und seiner 14-jährigen Schwester in einem Einfamilienhaus lebt. Nispels Blick schweift aufmerksam durch den Flur. Eine Etage höher, in Matthis’ Zimmer, sieht es aus, wie es im Kinderzimmer eines Jungen seines Alters eben auszusehen hat: viel Spielzeug, ein Bett, ein Schreibtisch für die Hausaufgaben und noch mehr Spielzeug. Vor allem mit Lego scheint Matthis zu spielen.

Markus Nispel hat schon viele solcher Kinderzimmer gesehen. Wie seine beiden Kollegen bereist er seit Januar im Auftrag des Umweltbundesamtes die gesamte Republik. In den Räumen der Kinder misst er unter anderem die Belastung durch Ultrafeinstaubpartikel in der Luft. „Im Gegensatz zu Feinstaub geht Ultrafeinstaub direkt in die Lungenbläschen“, sagt Nispel. Der Blick des Forschers schweift durch das Zimmer und über die auf dem Boden verstreuten Legosteine.

Kinder reagieren stärker auf Umweltgifte

Phtalate – die berüchtigten Weichmacher – finden sich vor allem in Plastikprodukten. „Eigentlich sind die Stoffe aber überall zu finden“, sagt Nispel. „In Chips oder Fertigprodukten, eigentlich in allen verarbeiteten Lebensmitteln.“ Das Umweltbundesamt ist diesen problematischen Stoffen auf der Spur. Durch die Untersuchung soll herausgefunden werden, worin sie enthalten sind. Denn Kinder reagieren stärker auf Umweltgifte. Sie atmen schneller als Erwachsene und nehmen im Verhältnis zu ihrem Körpergewicht mehr Nahrung auf.

Die Probanden sind zwischen drei und 17 Jahre alt. Die Forscher nehmen das unmittelbare Umfeld der Kinder und Jugendlichen so detailliert wie möglich unter die Lupe, damit die Ergebnisse später repräsentativ sind und Rückschlüsse auf die gesamte Bevölkerung geben können.

Alles scheint relevant und verdächtig

Während in Matthis’ Kinderzimmer ein beigefarbenes Gerät den Feinstaub misst, befragt Markus Nispel die Mutter. „Die Kinder selbst können erst ab elf Jahren befragt werden“, so Nispel. Rund zwei Stunden dauert das Interview. Die Fragen werden im Laufe des Interviews immer detaillierter. Wie viele Gläser Leitungswasser hat Matthis in den letzten zwei Tagen getrunken? Wo hat er in der vergangenen Woche gegessen? Was hat er zu sich genommen? War es gegrillt, frisch oder ein Fertigprodukt?

Markus Nispel fragt auch danach, wann das Haus gebaut wurde und welchen Anteil die Polstermöbel im Haushalt ausmachen. Alles scheint relevant und verdächtig. Matthis knuspert einen Kartoffelchip. Auch darin sind höchstwahrscheinlich Phtalate enthalten. Ebenso wie womöglich im morgendlichen Nuss-Nougat-Aufstrich. „Die Produkte müssen verarbeitet werden und laufen durch Gummi- oder Plastikschläuche“, sagt Nispel. „Durch diesen Prozess landen die Weichmacher auch im Produkt selbst.“

Ergebnis wird Ende 2017 erwartet

Matthis Mutter hatte bereits an einer begleitenden Untersuchung des Robert-Koch-Instituts teilgenommen. Auf die Untersuchungsergebnisse zur Schadstoffbelastung ist sie gespannt. „Es ist interessant, was bei den Messungen herauskommt“, sagt sie. „Wenn es negativ ist, dann würde ich etwas ändern.“ Und wenn die Schadstoffe aus dem Haus selbst kämen? Matthis Mutter glaubt daran nicht. „Dafür ist unser Haus zu jung.“

Jede Woche liefert Nispel die gesammelten Daten, Leitungswasserproben und den Urin der Probanden im Umweltbundesamt ab. Noch bis 2017 wird er Kinderzimmer betreten und mit Eltern und Jugendlichen über ihr Lebensumfeld sprechen. Ende 2017, vermutet Nispel, wird das Umweltbundesamt ein Ergebnis präsentieren. 

Björn Stelley

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