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Die Handstreicher von Glindow: Glindower Ziegeleimanufaktur profitiert vom Bauboom

Die Glindower Ziegeleimanufaktur beliefert Häuslebauer wie Stararchitekten. Jetzt ist das Know-How der Mittelmärker im hohen Norden gefragt. Das Unternehmen profitiert von der guten Auftragslage am Bau.

Von Enrico Bellin

Glindow - Es herrscht Hochbetrieb in der Glindower Ziegeleimanufaktur: Die Flensburger Marineschule braucht 6000 Steine, gleichzeitig werden mehrere tausend Ziegel für ein Verwaltungsgebäude im vorpommerschen Grimmen und einige Teststeine für die Sanierung einer Hamburger Brücke sowie Tonfliesen für den Fußboden eines Privathauses gebrannt. „Wir profitieren stark vom momentanen Bauboom, neben Aufträgen im Rahmen der Sanierung denkmalgeschützter Häuser kommen immer mehr Hausbauer, die schöne Terracottafliesen für ihre Neubauten suchen“, so der Geschäftsführer der Manufaktur, Harald Dieckmann.

Gefrorene Steine

Bis Ende Februar sei die Produktion derzeit ausgelastet. Und Folgeaufträge sind bereits in Sicht: Sollten die 50 Mustersteine, die momentan für die Hamburger Brücke gefertigt werden, Tests der Baustoffprüfung bestehen, werden 9000 Ziegel folgen. Bestellt wurden vier verschiedene Formen in drei Farben. „Bis Anfang Februar testen wir und stellen die Muster her, die dann fünf Wochen lang von der Baustoffprüfung untersucht werden“, so Dieckmann. Dabei würden die Steine unter anderem mehrmals eingefroren und aufgetaut, um zu testen, ob sie auch wetterfest sind. Geben die Prüfer ihr Einverständnis, beginnt die Fertigung.

Etwa jeder dritte Auftrag kommt inzwischen aus dem Ausland. So fertigt die Manufaktur mit ihren 20 Mitarbeitern in den kommenden Wochen auch 2000 Probesteine für die Sanierung des Osloer Rathauses an, so Dieckmann. Das 1950 eingeweihte Rathaus, dessen Bau bereits 1931 begann, ist das Wahrzeichen der Stadt und liegt direkt am Oslofjord. Im Haus wird alljährlich der Friedensnobelpreis verliehen. Wie groß ein eventueller Folgeauftrag nach den Probesteinen werden kann, ist noch offen.

Die Ziegelproduktion ist noch immer zum Großteil Handarbeit. Dirk Thomas bringt als sogenannter Handstreicher den Ton in Form.
Die Ziegelproduktion ist noch immer zum Großteil Handarbeit. Dirk Thomas bringt als sogenannter Handstreicher den Ton in Form.

© Andreas Klaer

Abgeschlossen wurde in diesem Jahr indes der Bau des sogenannten Fjordenhus des Künstlers Ólafur Eliasson im dänischen Vejle. Eliasson wohnt in Berlin, für seine Kunstinstallationen hatte er schon vorher Produkte aus Glindow benutzt. Wie berichtet hatte er 2014 die Ziegeleimanufaktur als Partner für das erste von ihm gestaltete Haus ausgewählt. Seither ist der Bürokomplex aus drei in einem Hafenbecken stehenden Türmen als Klinkerbau in die Höhe gewachsen, im Sommer wurde er eingeweiht. Die Glindower haben alle Steine, die nicht das Regelformat haben, hergestellt. So gibt es etwa spezielle Schallschutzziegel in den Treppenhäusern, die durch Löcher Lärm verringern sollen. Allein von ihnen wurden etwa 50 000 Stück gefertigt. Dazu kamen noch runde Steine oder mit Platin beschichtete Exemplare. Seit 2015 hatte die Ziegelei die Steine hergestellt. „Letzte Feinschliffe vor Ort haben wir dann im Frühjahr gemacht“, so der 67-jährige Geschäftsführer. Der Auftrag habe einen mittleren sechsstelligen Betrag an Umsatz gebracht. Seit Jahren hat die Ziegeleimanufaktur einen Außendienstmitarbeiter mit Büro in Dänemark, der sich dort um Aufträge kümmert.

Mitarbeiter auch ohne Vorkenntnisse willkommen

Durch die gute Auftragslage suchen die Glindower derzeit auch zwei zusätzliche Mitarbeiter, die den 150 Jahre alten Ringofen fachmännisch beheizen sollen. Spezielle Vorkenntnisse seien nicht nötig, der Umgang mit dem auf bis zu 3000 Grad Celsius aufzuheizenden Ofen werde vor Ort vermittelt. Bewerber müssen allerdings körperlich fit sein: Ist der Ofen angeheizt, wird rund um die Uhr im Dreischichtsystem gebrannt. Auch müssen die Ziegel in die 14 Brennkammern gestapelt und wieder herausgeholt werden.

Das Material für die Steine kommt noch immer zum Teil aus der Region: Gelber Ton wird in einer Grube bei Petzow abgebaut. Rotes Material kommt aus dem Westerwald in die Mittelmark. Durch den Bauboom hätten die Zulieferer jedoch die Preise erhöht, sagt Dieckmann. Auch er müsse deshalb neu kalkulieren. Derzeit kostet ein gelber Standardziegel 2,49 Euro. Wie hoch der Preis ab Januar sein wird, kann Dieckmann noch nicht sagen.

Fertigung ist Handarbeit

Bei Ersatz von denkmalgeschützten Steinen werden Exemplare eingeschickt, die Büroräume sind mit ihnen übersät. Sie dienen als Vorlage für die Neufertigung. Teilweise wird wie beim Verwaltungsgebäude in Grimmen sogar ein ganzer Ziegelturm eingeschickt, für den dann die verschiedenen Steine gefertigt werden müssen. Die Fertigung ist wie vor 150 Jahren noch immer Handarbeit: Der Ton wird vor Ort angemischt, die Klumpen werden dann auf einem Förderband zu den sogenannten Handstreichern gebracht: Sie nehmen die Klumpen, drücken sie in eine Form, ziehen den überstehenden Rest ab und packen ihn wieder aufs Förderband. Teilweise werden so in einer Schicht mehr als sieben Tonnen Ton von einem Mitarbeiter angehoben. Bis zu drei Handstreicher können gleichzeitig am Band arbeiten.

Die Rohsteine werden dann getrocknet – auf alten Exemplaren der Potsdamer Neuesten Nachrichten. Dieckmann holt dafür seit Jahren regelmäßig aussortierte Zeitungsstapel aus der Redaktion.

Je nach Größe müssen die Steine mindestens fünf Tage in die Trockenkammer, große Einzelstücke brauchen bis zu sechs Wochen. Anschließend wird im Ringofen gebrannt, die Abwärme des Feuers in einer Ofenkammer wird dabei auch zum Heizen der anderen Kammern genutzt. Die unterschiedlichen Temperaturen beeinflussen Farbe und Festigkeit der Ziegel. Da einige Fabrikate besonders hohe Temperaturen benötigen, können nicht immer alle Aufträge gleichzeitig gebrannt werden.

Es sei immer wieder spannend, zu beobachten, was bei welchen Temperaturen aus den Tonmischungen wird, so Dieckmann. Die Manufaktur entwickelt die Rezepturen selbst. Ob der 67-Jährige nicht trotzdem langsam an Rente denkt? „Das kann ich mir nicht vorstellen. Es fängt ja gerade erst richtig an, Spaß zu machen.“

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