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Potsdam-Mittelmark: Der Spuk von Resau

Das Vorwerk liegt mitten in einem geplanten Windpark. Die Resauer kämpfen erbittert um ihre Idylle

Werder (Havel) - Bliesendorf befindet sich in einer Sackgasse, die Dorfstraße endet am Waldrand. Wer mit dem Auto auf unbefestigten Pisten weiterfährt und die Wegmarken kennt, erreicht nach zehn Minuten Resau. Fünf Häuser, elf Menschen, mitten im Wald. Die Wäscheleine ist zwischen den Kiefern aufgespannt, zwei Kinder führen Schafe an der Leine spazieren. Im Forstgarten wachsen bunte Stauden und Kartoffeln. Eine zischende Gänseschar bewacht die Häuser. Die Resauer gelten als scheu. Ausflügler auf Schatzsuche werden hier fündig.

Tierärztin Annemarie Pogrzeba wohnt seit 20 Jahren hier, auf der Wiese am Waldrand hält sie ein paar Kühe. Mit ihrem 1200er Lada fährt sie raus aufs Land zu ihren Patienten oder zur Praxis in Werder. „Ein gutes Auto“, sagt sie. Pogrzeba kommt gern zurück. „Ich brauche die Bäume um mich rum.“ Sie musste nach der Wende ihr Haus in Bliesendorf verlassen – Rückübertragung – und ist in die Einsamkeit geflüchtet. Nun hat sie das Gefühl, wieder wegzumüssen. Ein riesiger Windpark ist im Anflug.

Das Vorwerk, eine Gründung der Rochows, ist in der Historie der Mark nicht weiter auffällig geworden. Nur einmal, als im „Spukhaus von Resau“ im Jahr 1888 Nachtgeschirre und Schinkenknochen durch die Luft schwirrten. Es beschäftigte Polizei, Behörden und Berliner „Spiritisten“ einige Wochen, sogar zwei Japaner waren angereist. Der Spuk stellte sich als Schabernak des Böttcherknaben heraus, richtig beweisen konnte man es aber nie.

Jetzt gibt es wieder Unruhe in Resau, etwas, das die Bewohner nicht so gut vertragen. Dass sie mal zum Opfer der Energiewende werden, hätten sie bestimmt nicht erwartet. Wozu zieht man tief in den märkischen Forst, wenn die Zivilisation hinterherreist – in Form von 200 Meter hohen Windenergieanlagen? Für die Resauer ist es ein neuer Spuk: Ihre Waldidylle liegt mitten in einem von Prokon geplanten Windpark, 9,4 Quadratkilometer groß. Ganz Bliesendorf hat sich schon gegen das Projekt erhoben – und ganz Resau noch dazu. „Das kommt doch einer Enteignung gleich“, sagt Kristin Vetter.

Die Eltern der Verwaltungsangestellten haben 1972 das backsteinerne Forsthaus vom Förster gekauft, seitdem lebt sie hier, inzwischen mit ihrem Partner und den zwei Kindern. Damit sie in die Schule können, gibt es seit ein paar Jahren einen Nebenwohnsitz in Berlin, wo ihr Mann als Landwirtschaftsberater arbeitet. Die wahre Heimat, versichert die Familie unisono, ist im Wald. Aber wie lange noch?

Auf der Karte der Regionalen Planungsgemeinschaft Havelland-Fläming, auf der 24 Eignungsflächen für neue Windparks zwischen Rathenow und Dahme verzeichnet sind, liegt Resau mitten im Windpark „Bliesendorfer Heide“. Ein kleiner Kreis um das Vorwerk ist als „Vorbehaltsfläche“ anders schraffiert – ein Radius von 600 Metern, der Mindestabstand von Windrädern zu Splittersiedlungen. „Grenzt man diese Schutzbereiche um einzelne Siedlungsplätze aus den Eignungsgebieten aus, so gehen dadurch an sich günstige Flächen für die Windenergienutzung verloren“, steht dazu etwas umständlich im Regionalplanentwurf, gegen den die Resauer erbittert ankämpfen. Sie haben verstanden: „Die Regionalplanung geht davon aus, dass wir es nicht lange aushalten und wegziehen“, sagt Kristin Vetter. Es ist ein echter Spuk diesmal.

So einen hatten sie hier draußen nicht mehr erwartet in ihren Häuschen zwischen Kiefern, Eichen, Birken und Kastanien. Die Resauer haben sich von der urbanen Gegenwart abgewendet und dafür einiges in Kauf genommen. Das Telefonkabel ist oberirdisch verlegt, für die Internetverbindung braucht man Geduld und auch das Handynetz ist anfällig. Briefe gehen schon mal zurück an den Adressaten, wenn der Zusteller wechselt. Das Wasser wird aus dem Grund gepumpt. Im Winter bleibt schon mal ein Auto stecken. Und ihren Müll müssen sie selbst wegbringen, seitdem der größte Waldbesitzer die Wege zerfahren hat – die Leute hier meinen, das geschah ganz bewusst.

70 Prozent des Waldes hat sich die Firma Prokon aus Itzehoe vorsorglich durch Pachtverträge von jenem Waldbesitzer gesichert. Hoffnung setzen die Resauer in die Kleinen: Es gibt Waldeigner wie Eva Bogda, Krankenkassenangestellte aus Bliesendorf, die ihre drei Hektar im Eignungsgebiet nicht hergeben will und in Resau gern gesehen ist. Der Wald gilt der Regionalplanung als minderwertig, nur deshalb dürfen die Windräder mittenrein. Eva Bogda hält ihn mit seinen vor 100 Jahren mühevoll bepflanzten Wanderdünen, seinen uralten Eichen und den „Drei Dicken Männern“, einem bekannten Findlingstrio, für etwas Besonderes. „Mit dem Waldumbau ist hier schon zu DDR-Zeiten begonnen worden“, sagt sie.

Tierärztin Pogrzeba fragt sich derweil, was mit den anderen Bewohnern des Waldes passieren wird. Ringelnatter, kleiner Wasserfrosch, Fledermaus, Roter Milan, Storch und Kranich – selbst Wolfsspuren wurden auf den Wegen gesichtet. „Das komplette Ökosystem wird entwertet“, fürchtet sie.

In den 80er Jahren sollte Resau schon einmal aufgegeben werden, erinnert sich Kristin Vetter. Die Bewohner störten bei den Militärmanövern, die von der Sowjetarmee und der NVA abgehalten wurden. „Damals konnte das abgewendet werden.“ Kristin Vetter hofft, dass man auch den Windpark verhindern kann, der den Ort über kurz oder lang dem Erdboden gleichmachen würde. Neulich haben sie einen „Thaler“ aus friderizianischer Zeit beim Umgraben im Garten gefunden, ein Glückstaler vielleicht.

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