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Potsdam-Mittelmark: „Das wird nie Routine“

Gunter Demnig über Ursprung und Effekte seines Stolperstein-Projekts und die Kritik an der Verlegung

Sie verlegen seit 1995 europaweit Stolpersteine für die Opfer der Hitlerdiktatur. Wie sind Sie auf die Idee für diese Gedenkaktion gekommen?

Es gibt eine Vorarbeit, nämlich eine Schriftspur zur Erinnerung an 1000 Roma und Sinti aus Köln, die 1940 in Konzentrationslager deportiert wurde. Ich hatte in einer Kunstaktion im Jahr 1990 an 21 Stellen im Stadtgebiet Messingschriftzüge verlegt, die die Spur von den Wohnorten zur Deutschen Messe, dem damaligen Sammellager, nachzeichnen. Die Deportation war eine Generalprobe für alles, was folgte. In der Kölner Südstadt kam eine Dame auf mich zu und sagt: Schön, was Sie machen, aber hier haben nie Zigeuner gelebt. Ich habe ihr erklärt, was damals abgelaufen ist. Der Frau ist das Kinn runtergefallen. Das war für mich der Auslöser, die Namen zurückzubringen an die Orte, wo das Grauen angefangen hat.

Sie haben inzwischen in Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern 35 000 Stolpersteine verlegt. Wie fühlt sich das an?

Es sind jedes Mal neue Situationen und neue Begegnungen. Immer öfter kommen Angehörige der Opfer dazu, die froh sind, dass die Toten nicht vergessen werden. Es ist für mich immer wieder berührend, das wird nie Routine.

Es gibt Kommunen, die keine Stolpersteine wollen. Prominentestes Beispiel war 2004 München. Auch in Werder (Havel) gab es Bedenken. Die Kritiker berufen sich oft auf Charlotte Knobloch, der ehemaligen Präsidentin des Zentralrats der Juden. Sie hatte es als „unerträglich“ bezeichnet, dass auf Namen ermordeter Juden „herumgetreten“ werde. Wie gehen Sie damit um?

Es ist verharmlosend, wenn man sagt, wir trampeln auf den Namen rum wie die Nazis auf diesen Menschen. Hitlers Schergen haben sich nicht mit Trampeln begnügt, die hatten ein organisiertes Mordprogramm. Es ist auch ein Irrglaube, dass Neonazis vor anderen Formen des Gedenkens Halt machen, die beschmieren auch Tafeln an Häusern. Jüdische Friedhöfe werden geschändet, Denkmäler angegriffen und auch die Stolpersteine müssen damit leben, dass sie manchmal Angriffsziel sind. Wenn sie herausgerissen werden, ersetze ich sie. Man kann es natürlich ganz bleibenlassen, dann haben die Rechten gewonnen.

Haben Sie schon erlebt, dass Angehörige die Aktion kritisiert haben?

Es gibt einzelne Angehörige, die sich die Argumente von Frau Knobloch zueigen machen. Wenn es sich um nahe Verwandte handelt, werden die Steine natürlich nicht verlegt. Aber ich kann sagen, das 98 Prozent aller Angehörigen und auch der jüdischen Gemeinden, diese Aktion ausdrücklich begrüßen. Das gilt ja auch für die heutige Zentralratsspitze. Im Ausland ist man glücklich, dass ein deutscher Künstler dieses Zeichen setzt.

Die israelische Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem hat Sie für dieses „wundervolle Projekt“ beglückwünscht.

Ich habe neben dem Bundesverdienstkreuz und dem Verdienstorden des Landes Baden-Württemberg auch viele jüdische Preise wie den Bernhard-Heller-Preis in New York oder die Otto-Hirsch-Medaille in Stuttgart bekommen. Frau Knobloch hat glaube ich inzwischen gemerkt, dass Sie mit Ihrer Meinung ziemlich allein steht.

In Werder besteht der Eindruck, dass einigen der jüdischen Opfer, zu denen die örtliche AG Stolpersteine recherchiert, bereits in Berlin ein Stolperstein gesetzt wurde.

Das sehe ich nicht als Problem, ich hatte das schon ein paar Mal. Dann gibt es eben doppelte Steine und es wird etwas genauer erklärt, was es mit den Orten auf sich hatte, zum Beispiel „hier wohnte“ und „hier praktizierte“.

Ist es ein Nebeneffekt oder gehört es zu Ihrem Gedenkprojekt dazu, dass zu jedem der Opfer ausführlich recherchiert wird?

Das ist schon gewünscht, dass diese Schicksale mal im Einzelnen aufgearbeitet werden. Die Herangehensweise ist sehr unterschiedlich. Je nach gesellschaftlicher Stellung gibt es mal mehr und mal weniger Material in den Archiven. Manchmal steht auf den Stolpersteinen auch „Schicksal unbekannt“, dass ist das Traurigste, was passieren kann. Dann wird aber zumindest der Name wieder zurück in die Gegenwart geholt.

Das Interview führte Henry Klix

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ZUR PERSON

Gunter Demnig (64) ist ein aus Berlin stammender Künstler, seit 1985 lebt er in Köln. Bekannt geworden ist er durch seine „Stolpersteine“ für Opfer der NS-Zeit. Sie werden an den letzten frei gewählten Wohnstätten verlegt, so wird bereits an 35 000 Einzelschicksale erinnert. Nach einem Beschluss der Stadtverordneten können jetzt auch in Werder (Havel) Stolpersteine verlegt werden.

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