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Frauenhäuser in Brandenburg sind schlecht ausgestattet.

© dpa

Brandenburgs Frauenhäuser in Not: Lange Fahrtwege, nicht genug Plätze, zu wenig Geld

Frauenhäuser im Land sind schlecht ausgestattet. Oft müssen von Gewalt betroffene Frauen abgewiesen werden. Ein Gutachten zeigt, wie es besser laufen könnte. 

Rathenow - Noch während des Gesprächs klingelt bei Catrin Seeger, Projektleiterin des Frauenhauses Rathenow, das Bereitschaftshandy. Sie entschuldigt sich: "Da muss ich kurz rangehen." Einige Minuten später ruft sie zurück. Eine Frau habe einen Platz gebraucht. "Ich musste sie an eine andere Unterkunft verweisen. Wir haben keinen freien Platz mehr." Doch eine Abweisung kann für Frauen, die Schutz vor häuslicher Gewalt suchen, lebensbedrohlich sein.  

Wie im Frauenhaus Rathenow sieht es in vielen Frauenhäusern und Schutzwohnungen in Brandenburg aus. Viele der Einrichtungen sind über 100 Prozent ausgelastet - besonders solche rund um Berlin, wie eine vom Brandenburger Sozialministerium in Auftrag gegebene Studie der Hochschule Nordhausen verdeutlicht. Die Untersuchung zeigt: Neben Rathenow mussten auch Schutzunterkünfte in Brandenburg/Havel, Potsdam, Oranienburg, Strausberg und Fürstenwalde mehr als die Hälfte der anfragenden Frauen abweisen. Insgesamt mussten im Jahr 2019 mehr Frauen abgewiesen werden, als aufgenommen werden konnten, sagt Professorin Petra Johanna Brzank, die die Studie durchgeführt hat. 

124 Plätze fehlen 

Brandenburg verfügt nach Angaben des Netzwerks der brandenburgischen Frauenhäuser über 286 Plätze in Frauenhäusern und Schutzwohnungen. Nach der von Deutschland unterzeichneten Istanbul-Konvention - einem völkerrechtlichen Vertrag zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und von häuslicher Gewalt - fehlen 124 Plätze. Es sind Plätze, die lebensrettend sein können, wenn sie denn vorhanden wären, sagt Seeger, die auch im Vorstand des Netzwerks sitzt. 

Neben fehlenden Plätzen ist aber auch die Finanzierung der Einrichtungen ein Problem. Die Häuser verfügen nicht über genügend Geld, somit fehlt nach Angaben der Einrichtungen auch Personal. "Die Mitarbeiterinnen sind zu wenige und haben zu viele Aufgaben zu bewältigen", sagt Brzank. In der Regel seien sie zu zweit in einem Frauenhaus und müssten die Frauen sowie deren Kinder nicht nur beraten und betreuen, sondern auch in Krisen intervenieren und sie zu Behörden begleiten. Hinzu kommt, die Gefährdungslage der Gewaltbetroffenen einzuschätzen, Lobbyarbeit, dafür zu sorgen, dass es Dolmetscherinnen und Dolmetscher gibt, die meist ehrenamtlich arbeiten, und vieles mehr. 

Weite Flächen ohne Schutzunterkunft

Nach Auskunft der Mitarbeiterinnen würden sie auch nicht entsprechend ihrer Qualifizierung bezahlt, sodass die grundsätzliche Unterfinanzierung des Schutzes und der Beratung auf dem Rücken der engagierten Frauen ausgetragen wird, sagt Brzank. Nicht nur mangele es an Geld und Plätzen, in manchen Regionen Brandenburgs fehlten Schutzeinrichtungen gänzlich. 

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Zum Teil müssten die Schutz oder Beratung suchenden Frauen einen halben oder ganzen Tag mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sein, um ins nächste Frauenhaus zu kommen, so die Professorin für Soziologie und Methoden der Sozialforschung. Schutzunterkünfte seien vor allem im Gürtel um Berlin und weiter im Süden zu finden. Aber insbesondere der Norden, der nach Daten des Landeskriminalamtes Brandenburg durch hohe Fallzahlen häuslicher Gewalt gekennzeichnet sei, zeige weite Flächen ohne Schutzunterkünfte. Etwa in den Landkreisen Prignitz, Ostprignitz-Ruppin und Uckermark, aber auch in Märkisch-Oderland im Osten und Potsdam-Mittelmark im Westen sowie Dahme-Spreewald im Süden gebe es regionale Versorgungslücken.  

Potsdam-Mittelmark - Brandenburgs einwohnerstärkster und flächenmäßig zweitgrößter Landkreis - verfügt bislang über gar keine eigene Schutzunterkunft. Und das, obwohl sich hier in der Vergangenheit einige grausame Femizide - die Tötung von Frauen und Mädchen aufgrund ihres Geschlechts - ereignet haben. Darunter die tödliche Gewalttat im Mai 2020 gegen eine Frau in Werder (Havel), die von ihrem Mann vor den Augen ihrer Kinder im Gartenteich ertränkt worden ist. Der Ehemann wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Grünen im Brandenburger Landtag fordern auch deshalb seit Längerem ausreichend Plätze in Einrichtungen im Kreis. Nach der Istanbul-Konvention, die pro 10 000 Einwohnerinnen und Einwohnern einen Familienplatz, das sind 2,6 Plätze, vorsieht, benötigt Potsdam-Mittelmark mehr als 20 Familienplätze. 

Frauenhaus in Potsdam-Mittelmark erst 2024

Die Finanzmittel, die der Landkreis für das Bereithalten solcher Schutzunterkünfte erhält, werden nach Angaben des Kreises an die Einrichtungen in Brandenburg/Havel und Potsdam weitergeleitet. Nach Auskunft von Mariana Siggel, Gleichstellungsbeauftragte des Kreises, könnten Frauen aus Potsdam-Mittelmark dort Schutz suchen. Doch auch aus ihrer Sicht brauche das Land dringend mehr Plätze. Sie begrüße die Initiative, ein eigenes Haus im Kreis zu bauen. Bis es soweit ist, dürfte es aber noch einige Zeit dauern: Laut Kreis wird derzeit der Antrag auf die Förderung durch den Bund vorbereitet. Es fehlten noch einige Unterlagen, sagt Siggel. Sie rechne mit einer Eröffnung nicht vor dem Jahr 2024.    

Professorin Brzank kritisiert, dass von Gewalt betroffene Frauen in Brandenburg einen Teil der Unterbringungskosten selbst übernehmen müssen - das ist nicht überall in Deutschland so. "Bei mehreren Kindern kommen sie so leicht über den Übernachtungssatz in einem Hotel", so Brzank. Siggel nennt den Eigenanteil der Frauen eine "Doppelstrafe". "Das kann so nicht bleiben", sagt sie. "Es kann nicht sein, dass Frauen für Gewalt, die ihnen angetan wird, zahlen müssen", sagt Seeger vom Netzwerk. 

Professorin Petra Johanna Brzank.
Professorin Petra Johanna Brzank.

© Hochschule Northausen

In ihrem Gutachten listet Brzank eine Reihe von Möglichkeiten auf, die die Situation in Brandenburg verbessern würden. Dazu zählt in erster Linie der sukzessive Ausbau der Schutzeinrichtungen mit ausreichend Betten und Familienzimmern entsprechend der Vorgabe der Istanbul-Konvention, mit einer ansprechenden Ausstattung. Auch müsse die Barrierefreiheit und die Erreichbarkeit durch mehr regionale Angebote gegeben sein. Der Personalschlüssel müsse zudem aufgestockt werden. Daneben nennt Brzank ein Konzept für eine mobile Beratung, Notrufe, Trauma-Zentren, Therapiemöglichkeiten, medizinische Versorgung sowie den Auf- und Ausbau von Netzwerken und Sensibilisierungsfortbildungen. 

Neuer Landesaktionsplan soll Situation verbessern 

Das Gutachten von Brzank diene Brandenburg mit seinen konkreten Maßnahmen als wissenschaftliche Grundlage für die landesweite Verbesserung des Gewaltschutzes, teilte das Gesundheitsministerium auf Anfrage mit. Gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Organisationen wolle das Land dafür jetzt einen Landesaktionsplan erarbeiten. Ziel ist es, den neuen Plan durch das Kabinett im Herbst 2023 verabschieden zu lassen.    

Catrin Seeger hofft, dass es bald mehr Plätze in den Häusern und Wohnungen gibt, damit die Abweisung der Frauen aufhören kann. Während eines Gesprächs, wenige Tage nach dem ersten Telefonat, antwortet sie auf die Frage, was aus der Frau geworden ist, die sie an eine andere Unterkunft verweisen musste: "Ich weiß nicht, ob sie dort angekommen ist. Sie hat sich nicht mehr gemeldet".

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