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Blütenfest in Werder eröffnet: Verlockung in Prozenten

20 Sorten Obstweine und ein Karussell sorgten beim diesjährigen Blütenfest für den richtigen Dreh.

Es gibt zwei Möglichkeiten, um beim Blütenfest in Werder weiche Knie zu bekommen: Kettenkarussell oder Obstwein. Erstere ist ein Hoch-Kettenkarussell auf der Inselstadt, das sich bis auf eine Flughöhe von 43 Metern schraubt. Die Turmspitze der Heilig-Geist-Kirche ist nur sieben Meter höher. „Ich hab zwar keen Schiss, aber das da oben, nee, lieber nich“, winkt ein Mädchen ab. Sein Freund ist einer der Wagemutigen, die da oben durch die Luft wirbeln. Wieder unten klammert er sich mühsam ans Geländer und murmelt: „Ein Höllenritt.“ Die Alternative Obstwein bevorzugen dagegen die meisten Festbesucher, auch weil die Auswahl groß ist. An den Ständen der Inselstadt gibt es rund 20 Sorten, deren Namen auf Tafeln zu lesen sind, darunter Raritäten wie Holunder-, Hagebutten- und Aroniabeerenwein. Sogar Bananenwein ist im Angebot.

Zwei Freunde probieren Himbeerwein, dann Heidelbeerwein und können sich einfach nicht entscheiden. „Beides lecker“, stellen sie fest und kaufen zwei Flaschen. An einigen Ständen ist am Samstagnachmittag der Erdbeer- und Johannisbeerwein bereits auf der Angebotstafel durchgestrichen. Bei Frank Wache vom Werderaner Obst- und Gartenbauverein wird besonders der Schwarze und Rote Johannisbeerwein geordert. Waches Stand ist direkt am Wasser zwischen dem Bootsanleger und Ruderverein, und der Chef sorgt selbst regelmäßig für Nachschub. Unweit davon liegen auf der Uferwiese mittags bereits die ersten Gäste, um ein Nickerchen zu machen. Der Verdacht liegt nahe, dass auch die beiden älteren Herren, die auf der Wiese „Sitzfederball“ spielen, vielleicht schon weiche Knie haben. Denn sie geben sich alle Mühe, auf ihren Stühlen zu bleiben und vorsorglich liegen daneben gleich mehrere Ersatz-Federbälle, um ja nicht aufstehen zu müssen. Auch ihre Trefferquote scheint entwicklungsfähig.

Die Werderaner nennen ihren Wein selbst "Bretterknaller"

Der Obstwein, den Werderaner selbst auch „Bretterknaller“ nennen, hat seine Tücken, wie Walter Kassin vom Obst- und Gartenbauverein freimütig einräumt. „Der Wein süffelt sich leicht weg und schleicht dabei langsam in die Glieder, bis die Beine auf einmal schlappmachen“, weiß Kassin. Eigentlich seien Obstweine wie Schnaps, den man ja auch aus kleinen Gläsern trinke. Mancher davon habe einen Alkoholanteil von bis zu 14 Prozent, im Vergleich dazu liege der Anteil bei Likör meist zwischen 18 und 21 Prozent. „So ein kleiner mit Wein gefüllter Becher wird daher oft in der Wirkung unterschätzt“, warnt Kassin und plädiert daher für eine gute Grundlage in Form von deftigem Essen. Das Schöne am Obstwein sei aber, dass man im Kopf ganz klar bleibe und der Obstwein nicht aggressiv stimme. Im Gegenteil: Fast jedes Jahr erlebe er die gleichen Szenen. Männer und Frauen knien lachend vor einem Maschendrahtzaun und versuchen vergeblich, sich daran hochzuziehen. Dabei würden sie unentwegt lachen, weil sie nicht fassen könnten, warum ihre Beine so butterweich seien.

Trotz solch verheerender Folgen preist Kassin die Getränke der Obstmucker, vor allem deren Geschmack. Bei der diesjährigen Obstweinprobe, zu der 174 Tropfen von 24 Erzeugern eingereicht wurden, habe ihn vor allem ein Wein der Kategorie Sauerkirsche überzeugt. „Ein trockener Sauerkirschwein war das. So lecker, dass auch die anderen Juroren sich nochmals nachschenkten.“ Kein Tropfen sei von dieser Probe übrig geblieben, erinnert sich Kassin, und klar sei danach auch gewesen, dass es dafür eine „Goldene Kruke 2015“ gibt. Erzeuger ist der Obsthof Lehnst im Glindower Ortsteil Elisabethhöhe (täglich geöffnet von 9 – 21 Uhr).

Der Obstwein wird zuverlässig ausgezeichnet

Dort sitzen die Gäste an runden Tischen und genießen die Sortenvielfalt unter weiß blühenden Kirschbäumen. Die Obstweinproduktion hat bei Familie Lehnst Tradition. Schon vor 70 Jahren wurde das Getränk per Hand gemischt, abgepresst und dann ins Fass gefüllt. Der Wein bleibt naturbelassen, Säure wird nicht zugesetzt. Für die Qualität der Produktion sprechen auch die alljährlichen Auszeichnungen, darunter mehrere „Goldene Kruken“. Eine „Silberne Kruke“ gab es dieses Jahr auch für den Sauerkirschwein lieblich, Bronze erhielt der Aprikosenwein. Ein weiteres leckeres Tröpfchen können Besucher ebenfalls im Ortsteil Glindow auf dem Obsthof von Heiko Wels probieren: den Roten Johannisbeerwein, der auch mit einer „Goldenen Kruke“ ausgezeichnet wurde. Schon der rote Farbton glitzert verlockend und der Geschmack ist Frucht plus Sonne pur. Silber gab es für den Pflaumenwein von Wels.

Betritt man die Plantage in der Dr.-Külz-Straße breitet sich die Landschaft mit den Obstbaumreihen in zarten weißen und rosa Tönen auf grünem Grund wie ein Frühlingsteppich aus. Angesichts der Blüten, die dicht an dicht auf den Zweigen sitzen, zücken viele Besucher Kamera oder Handy, um dieses Blütenschauspiel einzufangen. „Es ist so, wie man es sich schöner nicht vorstellen könnte“, findet auch Blütenfestsprecher Dirk Streich.

Kirsten Graulich

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