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Prominent. Frank-Walter Steinmeier und Elke Büdenbender.

© Hirschberger/dpa

Besuch von Bundespräsident Steinmeier: Erasmus fürs Handwerk

Bundespräsident Steinmeier wirbt bei mittelmärkischen Firmen für Auslandsaufenthalte von Azubis.

Von Eva Schmid

Götz - Eine fremde Werkstatt, zwei Stunden Siesta pro Tag und viel Improvisation: Louis Weber, der sich in Werder (Havel) zum Tischler ausbilden lässt, hat einen dreiwöchigen Auslandsaufenthalt in Andalusien hinter sich. Das, was man von Studenten kennt, gibt es seit einiger Zeit auch für Lehrlinge: den europaweiten Austausch über das Erasmusprogramm.

Weber und weitere 23 Azubis, die in Betrieben in Spanien, Italien, England oder Schweden für bis zu vier Wochen gearbeitet haben, sind am gestrigen Mittwoch von Bundespräsident Frank Walter Steinmeier (SPD) und seiner Frau Elke Büdenbender im Zentrum für Gewerbeförderung in Götz mit einem sogenannten Europass ausgezeichnet worden. Eine Anerkennung dafür, dass Lehrlinge und ihre Betriebe über den Tellerrand schauen. Steinmeier und Büdenbender – beide aus Tischlerfamilien stammend – haben die Schirmherrschaft für die „Woche der beruflichen Bildung“ übernommen. Das Ehepaar besucht bis zum 20. April insgesamt 13 Einrichtungen der beruflichen Ausbildung.

Das Problem ist bekannt: Zu hoch sind die Zahlen der Abbrecher in Lehrlingsberufen – jeder Vierte Azubi schmiss 2016 in Deutschland hin. Zu drängend der Fachkräftemangel – allein im Kammerbezirk Potsdam sind derzeit 673 Lehrstellen unbesetzt. Die Schulabgänger zieht es an die Hochschulen. „Eine berufliche Ausbildung ist nie das Ende“, sagt dagegen Büdenbender. Damit könne man durchaus Karriere machen, ihr Beispiel zeige es. Vor ihrem Jurastudium ließ sich Büdenbender zur Industriekauffrau ausbilden. Geschadet habe das nicht. Jugendliche, so ihr Appell, müssten sich frei machen von den Vorstellungen ihrer Eltern, und schauen, was ihren Interessen entspreche.

Das hat auch der 22-jährige Louis Weber vor, der sich in der kleinen Möbelwerkstatt seines Vaters Wolfgang Frederick in Werder ausbilden lässt. „Die Ausbildung macht Lust auf ein Studium“, sagt der hochgewachsene junge Mann. Er hat sich für Produktdesign an der Potsdamer Fachhochschule und der Universität der Künste in Berlin beworben. Sein Vater sitzt neben ihm und nickt, er lässt ihm die Freiheit, ließ ihn auch ins Ausland ziehen – selbst wenn es finanziell etwas schmerzte. „Sobald eine Arbeitskraft in einem Vier-Mann-Betrieb fehlt, merkt man das sofort“, sagt der 58-jährige Wolfgang Frederick.

Lehrlingen, die Erasmus machen, wird während ihres Auslandsaufenthaltes weiterhin Lohn gezahlt. Die Betriebe im Ausland indes können sich über eine Gratis-Arbeitskraft freuen. Neben dem Lehrlingsgehalt bekommen die Azubis über EU-Töpfe, wie die Studenten auch, ein Stipendium. Im Schnitt sind das rund 1000 Euro für drei Wochen. Das muss für Unterkunft und Sprachkurs reichen.

Seit 2015 gibt es das Erasmuspogramm fürs Handwerk. Im Kammerbezirk Potsdam indes haben Auslandsaufenthalte bereits Tradition. Seit bald 20 Jahren werde der Austausch gefördert, sagt Jeanette Kuplin, die deutsche Jugendliche ins Ausland vermittelt und Lehrlinge aus Europa in Potsdam und Umgebung unterbringt. Pro Jahr würden 24 Azubis in Partnerbetriebe entsandt, das Interesse bei den Lehrlingen sei groß – so groß, dass eigentlich noch mehr vermittelt werden könnten. Auf der Gegenseite indes würde vor allem Polen Lehrlinge nach Deutschland schicken, Italien und Spanien halten sich bisher – auch aufgrund anderer Ausbildungssysteme – zurück.

Das ist es auch, was den Werderaner Tischler Wolfgang Frederick umtreibt. Er plädiert dafür, dass ein echter Austausch entstehen sollte. Ein deutscher Lehrling geht, ein anderer aus Europa kommt dafür. Nachdem er kurz haderte, ob sein Betrieb es einen Monat lang auch mit weniger helfenden Händen schaffen würde, hat er sich am Ende doch für den einseitigen Austausch entschieden. „Als Arbeitgeber profitiere ich wenigstens von der Laune meiner Lehrlinge“, sagt er mit einem Grinsen. Motiviert würden sie zurückkehren. Weber hatte vor Jahren bereits einen seiner Azubis ins Ausland gehen lassen. Auch Bundespräsident Steinmeier warb bei den mittelmärkischen Betrieben am Mittwoch in Götz dafür, mehr Jugendliche nach Europa zu entsenden. Zwar werde das Programm immer häufiger genutzt, jedoch nutzten es noch immer sehr wenige: Lediglich 4,5 Prozent der Azubis in Deutschland arbeiten in europäischen Betrieben.

Neben der besseren Laune bringen die Lehrlinge auch Fähigkeiten mit, die sie in Deutschland so nie vermittelt bekommen würden. So war Louis Weber, der es in Werder eigentlich nur mit Möbeln zu tun hat, in Torremolinos an der Costa del Sol als Bautischler auf Montage. Er musste Eingangstore, Fenster und Türen einsetzen. Die Arbeit im Ausland – auch wenn sie sehr kurz war – habe ihn bereichert. War er zumindest des Spanischen mächtig, ist für viele andere Azubis das Überwinden der Sprachbarriere schon eine große Leistung. Auch wenn man im Handwerk eigentlich auch ohne viele Worte auskommt – das Handy gezückt, wird per Übersetzungsapp zumindest das Wichtigste besprochen.

Es seien die kleinen Nuancen gewesen, die den Aufenthalt für Weber unvergesslich gemacht hätten: Der junge Werderaner spielt auf den südländischen Arbeitsflair an, wie er es nennt. „Anfangs wusste ich gar nicht, was ich in den zwei Stunden Mittagspause machen sollte“, lacht er. Irgendwann habe er sich dann angepasst und auch geschlafen – wie man das im heißen Andalusien eben macht. 

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