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Potsdam-Mittelmark: Beelitzer Spargel bald aus Polen?

Sozialversicherungspflicht für polnische Erntehelfer lässt mittelmärkischen Produzenten über Flächenverlagerung nachdenken

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Potsdam-Mittelmark - Die Vorfreude auf die Erntesaison 2006 dürfte sich bei den Beelitzer Spargelbauern in Grenzen halten. Denn ob sie auch in diesem Jahr wieder auf die professionelle Unterstützung ihrer polnischen Nachbarn rechnen können, ist nicht gewiss. Und wenn, müssen die märkischen Landwirte wohl weit tiefer in die Taschen greifen als je zuvor.

Erstmals greift für einen Großteil der Saisonkräfte von jenseits der Oder die Sozialversicherungspflicht. Die zwischen Deutschland und Polen ausgehandelte Übergangslösung, nach der die Erntehelfer weiterhin als geringfügig Beschäftigte von der Sozialversicherungspflicht befreit waren, ist im vergangenen Sommer ausgelaufen. Eine Tatsache, die auch auf die landwirtschaftlichen Strukturen in der Mittelmark erhebliche Auswirkungen haben könnte.

„Viele Betriebe in Deutschland sitzen bereits auf gepackten Koffern“, weiß Spargelbauer Jörg Buschmann aus Klaistow über Branchenkollegen zu berichten. Um die steigenden Kosten zu kompensieren, seien vor allem Landwirte aus Hessen und Baden-Württemberg schon dabei, ihre Produktion nach Polen zu verlegen. Ganz so weit ist es in Brandenburg wohl noch nicht. Doch auch bei Buschmann und Winkelmann spielen solche Überlegungen eine Rolle. „Dann würden wir hier nur noch für den Hofverkauf anbauen und für die Supermärkte eben drüben.“

Rund 600 Erntehelfer beschäftigt der Spargelhof pro Saison. „Zwischen 70 und 80 Prozent kommen aus Polen“, schätzt Buschmann. Seit dem Wegfall der Übergangsregelung sind nun insgesamt 48 Prozent des Bruttoarbeitsentgelts fällig. Rund 21 Prozent trägt der Arbeitgeber, zirka 27 Prozent müssen die Saisonkräfte vom Lohn abknapsen. Das Geld fließt in die polnische Kasse. Für Buschmann stellt sich die Frage, ob seine bewährten Helfer unter den Bedingungen noch Lust haben, zu kommen.

Die Ersten, die die Sozialversicherungspflicht voll traf, waren im vergangenen Jahr die Weinbauern. Mit einem Entschließungsantrag Baden-Württembergs im Bundesrat soll zumindest für die Zukunft eine Lösung erreicht werden. Demnach soll die Bundesregierung bei der polnischen Seite dafür werben, eine ähnliche Regelung für geringfügig Beschäftigte einzuführen, wie es das deutsche Sozialversicherungsrecht vorsieht. Bei der momentanen zwischenstaatlichen Stimmung keine leichte Aufgabe und zumindest für die diesjährigen Spargelernte zu spät.

Ohnehin hätten sich märkische Landwirte mit der Sozialversicherungspflicht wohl zähneknirschend abgefunden, meint Holger Brantsch, Sprecher des Landesbauernverbandes. Zu befürchten sei allerdings, dass vor allem kleinere Betriebe wegen der gestiegenen Kosten für die Fachkräfte den Anbau einstellen könnten.

So etwa der Obsthof Wels in Glindow: Er beschäftigt in der Erntezeit für Erdbeeren, Äpfel, Süßkirschen, Birnen und Pflaumen jeweils etwa acht polnische Saisonkräfte. „Wenn es bei den 48 Prozent bleibt, läuft es darauf hinaus, dass wir uns sehr verkleinern müssen“, sagt Heiko Wels. Dann könne nur noch so viel geerntet werden, wie die vier Mitglieder des Familienbetrieb selbst bewerkstelligen könnten.

Wels macht auf ein weiteres Problem aufmerksam: Den enormen bürokratischen Aufwand. Außer einem Mehr an Kosten, steht den Landwirten auch ein Berg an Bürokratie ins Haus - und zwar auf Polnisch. Kranken-, Arbeitslosen- und Sozialbeiträge müssen separat und monatlich abgeführt, Euro in Zloty umgerechnet werden. „Das hat man bei den EU-Beitrittsgesprächen alles nicht berücksichtigt, obwohl die Verbände darauf aufmerksam gemacht hatten“, sagt der Geschäftsführer des Gartenbauverbands Brandenburg, Andreas Jende. Im Gartenbauverband hofft man deshalb noch darauf, dass das Verfahren im Nachhinein vereinfacht werden kann.

Wie bisher sollten die Arbeitgeber ihre 21 Prozent SV-Beitrag in Deutschland entrichten können, fordert Jende. Für den Transfer nach Polen müsse eine politische Lösung her. Doch in Polen bestehe kaum Bereitschaft für eine Lösung, bei der man womöglich auf den Arbeitnehmeranteil verzichten müsste. Einige Betriebe würden inzwischen auch über den verstärkten Einsatz rumänischer Erntehelfer nachdenken. Mit dem EU-Beitritt Rumäniens würden diese Betriebe in zwei Jahren allerdings vor genau demselben Problem stehen, meint Jende.

„Ein vereinfachtes Verfahren über den diplomatischen Weg würden wir begrüßen“, sagt auch der Sprecher des Landwirtschaftsministeriums Jens-Uwe Schade. „Seit rund 300 Jahren lebt die Region von polnischen Erntehelfern. Da sind Kompetenzen entstanden.“

Matthias Matern, Henry Klix

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