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Baumblütenfest in Werder: Abhängen unter Bäumen

Auf den Plantagen hat das Werderaner Baumblütenfest zu seinen Ursprüngen zurückgefunden, wie ein Rundgang über den Obstpanoramaweg zeigt. Die Polizei registrierte deutlich mehr Straftaten als im Vorjahr.

Von Enrico Bellin

Werder (Havel) - Bereits am Potsdamer Hauptbahnhof bemerkt der Fahrgast am Samstagmittag: Das Werderaner Baumblütenfest hat begonnen. Es riecht gärig nach Bier, als die Türen des bereits überfüllten Regionalexpresses sich öffnen. Nur mit Glück kommt der Reporter noch in den Zug – die Bahn hat kurzfristig wegen Personalmangels Sonderzüge ausfallen lassen, als Ergebnis bleiben viele Menschen am Bahnsteig zurück. Im Zug hat die Party längst begonnen, aus Handy-Lautsprechern dröhnen Helene Fischer und Tim Toupet gegeneinander an. Eine englischsprachige Familie steht mit Gesichtsausdrücken zwischen Erstaunen und Erschrecken im Gang, sie wollen eigentlich nur in den Park Sanssouci. Am dortigen Bahnhof bleiben sie zunächst auf dem Bahnsteig stehen, um sich zu sammeln. Dieser Kulturausflug wird ihnen wohl in Erinnerung bleiben.

Am Bahnhof Werder verlassen dann auch die Massen den Zug. Die Besucher wirken genauso geübt wie die Bundespolizisten, die ihre Taschen kontrollieren. Schnell sind die Festgäste hinter der Absperrung und vor der Abfahrtsstelle für die Blütenrundfahrten. Die Sonderbusse, die an Wochenenden und dem 1. Mai halbstündlich und sonst stündlich fahren, bringen die Besucher auf die Obstplantagen.

Mit der Tour durchs dritte Jahr

„Die Kirschen sind zwar schon abgeblüht. Aber die Tour geht auch an Apfelplantagen vorbei, da kriegen alle genug Blüten zu sehen“, sagt Busfahrer Denny Armborst. Der 31-Jährige fährt die Tour im dritten Jahr. Es gibt zwei Routen, die verschiedene Obsthöfe anfahren. Das Tagesticket kostet sechs Euro. Beide fahren über die Autobahn nach Derwitz, über den Obstpanoramaweg nach Glindow und durch die Innenstadt wieder zum Bahnhof. Da der Andrang an diesem Samstag in der Innenstadt aber schon am Mittag enorm ist, ist ein Durchkommen nicht mehr möglich. Spontan wird am Startpunkt umgeplant, zurück soll Armborst über Derwitz und Kemnitz fahren.

Schon die Abfahrt wird zur Nervensache: Eine Mitarbeiterin dirigiert die Besuchermasse vorm Bus an den Straßenrand, Armborst kann im Schritttempo durch, nur Zentimeter an den Menschen vorbei. „Das ist der anstrengendste Teil – zu schauen, dass man hier niemandem über den Fuß fährt“, so der 31-Jährige, der während der weiteren Fahrt an den Havelauen vorbei deren Geschichte als früherem Flugplatz und heutigem Stadtviertel mit Bootsanlegern vor den Häusern durch die Bordlautsprecher erzählt.

„Das ist doch der Obsthof, wo Karin letztes Jahr zum Schluss von der Bank gefallen ist“

Auf dem Obstpanoramaweg wird es entspannter, trotzdem der Weg gerade so breit wie der Bus ist. Autos dürfen dort nicht fahren und die Busse fahren nur in eine Richtung. Entgegenkommende Radfahrer steigen ab, und schneller als die Radler ist der Bus, in dem jeder Platz besetzt ist, auch nicht unterwegs. Die Fahrgäste reichen von Familien über Freundesgrüppchen jeden Alters bis zum Kegelclub. Die Stimmung ist gelassen. „Das ist doch der Obsthof, wo Karin letztes Jahr zum Schluss von der Bank gefallen ist“, hallt es durch den Bus. Das Fest hinterlässt bleibende Eindrücke.

Auch Carola Golz hat im Vorjahr schon die Tour gemacht, mit ihrem Mann kommt sie extra von Rügen nach Werder zum Baumblütenfest. „Hier sieht man wenigstens die Höfe und kann erahnen, welche Arbeit hinter dem Obstwein steckt.“ Die Innenstadt sei ihr zu trubelig.

In der Tat ist es auf dem Panoramaweg und den Plantagen eher beschaulich. Rastende Radler prosten dem Busfahrer zu. Ob er nach Feierabend auch einen Obstwein trinkt? „Nur Gänsewein“, sagt Denny Armborst. Schließlich müsse er am nächsten Tag wieder fahren. Wobei er die Tour gern mache. Er erklärt auch vor jedem Halt Besonderheiten, bei der Wiese des Vereins Zuckerbaum etwa, dass dort außerhalb des Festes Kindern mit schwerkranken Geschwistern ein paar ruhige Stunden geboten werden.

Auf der Wiese mit blühenden alten Apfelbäumen toben ein Dutzend Kinder

Auf der Wiese mit blühenden alten Apfelbäumen toben am Samstagnachmittag ein gutes Dutzend Kinder der Blütenbesucher. „Wir sind froh, dass uns so viele Familien besuchen“, sagt die Vereinsvorsitzende Karin Wiesener. „Selbst, wenn sie keine kranken Kinder haben, können die Eltern in Schulen oder Kitas von uns erzählen und unsere Arbeit so bekannter machen.“ Sie selbst informiert in einem Pavillon über die Vereinsarbeit. Direkt daneben entspannen Erwachsene in Hängematten oder bei Obstwein und Kuchen zwischen den Bäumen. Ihre Kinder toben derweil mit freiwilligen Helfern über Hügel, üben mit Hula-Hoop-Reifen oder machen Schmuck in der Bastelecke.

Das Fest auf der Wiese ist die Haupteinnahmequelle des Vereins, sagt Wiesener. So würden etwa die Kuchen, die für 1,50 Euro pro Stück verkauft werden, gespendet. „Heute Morgen hat eine Köchin aus der Nachbarschaft gleich zehn wunderbar saftige Kuchen vorbeigebracht, mit laminierten Schildern und allem“, so die Vereinsvorsitzende mit strahlenden Augen. Auch die Glindower Fleischerei Joppe liefere jedes Jahr viel mehr Fleisch, als auf der Rechnung stehe. „Das Engagement der Nachbarn hier für die Kinder ist wirklich riesig“, so Wiesener. Seit sechs Jahren gibt es die Wiese inzwischen. Das Engagement für den Verein reicht bis Potsdam, Schüler der dortigen Musikschule spielen am 1. Mai und dem Wochenende auf der Glindower Wiese.

Die genießt auch Susanne Schlabitz aus Potsdam, die mit Freunden eine Radtour macht. „Meine Kleine wollte hier einfach anhalten und Pause machen“, sagt sie und zeigt auf die Tochter, die in der Bastelecke sitzt. „Das hier ist Baumblüte, nicht nur irgendein Rummel“, fasst Begleiter Timo Meinhardt zusammen.

Ähnlich wie beim Zuckerbaum sieht es auf der Plantage von Obstbauer Heiko Wels in Glindow aus. Sandburgen, Strohballen und kleine Spielgeräte stehen zwischen den Apfelbäumen. Der Hof wird nicht direkt von den Blütenrundfahrten angefahren, liegt aber am Obstpanoramaweg. Von der Haltestelle Glindow Alpenstraße sind es nur fünf Minuten bis zum Eingang in der Glindower Mühlenstraße, die Busse der Linie 633 fahren am Wochenende alle zwei Stunden dorthin. Schon das Panorama mit den steil abfallenden Baumreihen und den Bierbänken im Tal macht Lust aufs Verweilen. Die mit etwa einem Hektar für Werderaner Verhältnisse eher kleine Plantage ist selten überrannt. Neben Radfahrern kommen vor allem die Glindower selbst her sowie Stammkunden vom Wochenmarkt.

Keinen Wein aus Knuppern

„Angefangen haben wir hier, um den Wochenmarktbesuchern zu zeigen, wie ihr Obst eigentlich wächst“, sagt Heiko Wels. Der 50-Jährige, der Marktstände in Werder und Spandau hat, erklärt etwa, dass er auch selbst Wildbienen hält, die die Blüten bestäuben und derzeit fleißig unterwegs sind. Die Gäste sind aber ungefährdet, Wildbienen stechen nicht.

13 Sorten Obstwein kann man bei Wels noch bis zum 6. Mai probieren. Im 0,2-Liter-Becher für 2,50 Euro, die Literflasche kostet acht Euro. Er mache nur Wein aus selbst angebauten Obst. „Daher gibt es in diesem Jahr etwa keinen Wein aus Knuppern“, so Wels. Die Ernte der bekanntesten Süßkirschensorte der Region ist im Vorjahr durch Frost ausgefallen. Dafür hat er aus verschiedenen Sauerkirschsorten unterschiedlich herbe Weine gekeltert, Obstbauern müssen erfinderisch sein. Und auch ein Auge für Schönheit haben: So hat Heiko Wels auf der Plantage neben den jungen, in Reih und Glied stehenden Bäumen auch 30 Jahre alte Exemplare stehen lassen. „Die Äpfel kann man zwar nur noch für Most nehmen“, so Heiko Wels. Seine Gäste erholen sich aber gern im Schatten der knorrigen Bäume.

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