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Aufwendige Kostümierung. Die Umzugsteilnehmer zeigten die Geschichte der Stadt. Mit dabei waren auch Ehrenbürger Werner Große (o.) und Bürgermeisterin Manuela Saß als Kunigunde (m.).

© Andreas Klaer

Potsdam-Mittelmark: Auf die nächsten 700

Pischke, Poppe und Kunigunde: Der Festumzug zum Stadtjubiläum zeigte Werders Geschichte in 52 Bildern

Werder – Eine junge Frau in silbern-glänzendem 20er-Jahre-Kleid und Stirnband, Pilger in mittelalterlichen Gewändern mit Hauben, Mützen und hölzernen Wanderstöcken, Männer in schicken Tweed-Anzügen oder Offiziere der preußischen Armee: Wer am Sonntag in Werder war, konnte nur staunen über die Vielfalt an Kostümen, die Gästen bereits auf dem Weg zu den Feierlichkeiten anlässlich der 700-Jahr-Feier der Stadt begegneten. Die Vorbereitungen für die Feste mit mehr als 30 Veranstaltungen dauerten zwei Jahre.

Der historische Festumzug bildete gestern mit rund 12 000 Besuchern den Höhepunkt der Festwoche. Bereits am Donnerstag starteten die Feierlichkeiten mit einer Festsitzung der Stadtverordneten in Werder, bei der der ehemalige Bürgermeister Werner Große (CDU) mit der Ehrenbürgerschaft ausgezeichnet wurde. Der große historische Festumzug erzählte mit mehr als 600 Mitwirkenden die jahrhundertealte Geschichte der Stadt an der Havel von der Ersterwähnung 1317 bis in die Gegenwart in 52 Bildern.

Bereits lange vor dem Beginn des Umzugs stehen die Zuschauer dicht gedrängt an den Zäunen und Absperrbändern, die entlang der Umzugstrecke angebracht sind. Einige Eltern nehmen ihre Kinder auf die Schultern, damit sie besser sehen können. Erwartungsvoll blicken die Gäste die Brandenburger Straße hoch. An der Bühne vor der Carl-von-Ossietzky-Schule haben die Moderatoren Ellen Fehlow und Klaus-Dieter Bartsch, stilecht im 20er-Jahre-Dress, noch mit technischen Problemen zu kämpfen. Doch dann ist das Trommeln des Spielmannzuges zu hören. Es geht los.

DAS MITTELALTERLICHE WERDER

Der Umzug wird von Bürgermeisterin Manuela Saß und ihrem Ersten Beigeordneten Christian Große angeführt. Ganz vorne läuft der edle Ritter Sloteko in seiner Rüstung mit einer der beiden Urkunden, in denen Werder das erste Mal im Jahr 1317 erwähnt wird. Bürgermeisterin Saß ist als mittelalterliche Prinzessin Kunigunde verkleidet, die im Besitz der Fischereirechte war, um die es in den beiden Urkunden geht. Große spielt den Markgrafen Waldemar, der dem Kloster Lehnin Werder schenkte.

In mittelalterlichen Gewändern zeigen die Umzugsteilnehmer wichtige Persönlichkeiten der Geschichte. So den ersten urkundlich erwähnten Bürger Werders, den Bauer Kerstian Huneken, der 1375 erstmals in einem Pachtvertrag genannt wurde. Die Zeitreise zeigt auch die Ersterwähnung des Werderaner Marktes von 1424. Mit Bauläden, Körben und hölzernen Brottragen sind die Marktleute behangen. Auch der Abt Gallus, der einer Sage nach mit der schönen Gallina ein Liebesverhältnis gehabt haben soll und diese später töten ließ, läuft an den Gästen zusammen mit in Kutten gewandeten Mönchen des Klosters Lehnin vorbei. Die ersten Handwerker der Stadt, der erste Bürgermeister, Markgrafen und Kurfürst Friedrich II., der Werder 1459 das Stadtrecht verlieh – alle winken der Menge zu.

Ein erster Höhepunkt ist der Wagen des Ruder-Klubs-Werder 1918, der die mittelalterliche Gerichtsbarkeit im 15. Jahrhundert zeigt. Ein schwarz gekleideter Scharfrichter will gerade einen Mann an den Galgen hängen. „Der hängt den ja in echt“, ruft ein kleiner Junge. Doch dann lächelt der Scharfrichter feixend in die Menge und lässt von seinem Opfer ab. Hinten auf dem Wagen sitzt die „Schöne vom Richterberg“ in einem hölzernen Käfig, da sie eine Hexe sein soll. Plötzlich kommt ein edler Ritter herbei und befreit die sie aus ihrer Gefangenschaft. Der Ruderklub bekommt viel Applaus für seine Darstellung.

DIE ZEIT DER PREUSSISCHEN KÖNIGE

Für den Streit mit den Glindowern von 1721 treiben Werderaner Bauern unter lautem Gegröle eine Plastikkuh auf Rädern auf den Sauberg. Der Soldatenkönig kontrolliert 1736 mit seinen marschierenden Langen Kerls und seinem Feldmarschall, dem „Alten Dessauer“, seine Garnison in Werder. Die Kutsche des Königs soll damals im Schlamm steckengeblieben sein, woraufhin Friedrich Wilhelm Straßen pflastern und eine Brücke bauen ließ. Handwerker, Nachtwächter, Hausierer, der Invalidencorps zu Werder ziehen vorbei und auch der erste Amtsrichter aus dem 18. Jahrhundert. In seiner Amtsstube auf dem Wagen, mit altem Schreibtisch und Stühlen, schlichtet er einen Streit. Als der Weinmeister aus dem 19. Jahrhundert mit seinen Weinstöcken, Traubenpresse und alten Weinflaschen an der Bühne halt macht, bekommen die beiden Moderatoren ein Schlückchen des Werderaner Weins ab. Auf der schwarz-gelben Postkutsche sitzen die beiden Postboten Pischke und Poppe, die im 19. Jahrhundert alkoholisierten Unfug trieben. Danach befreien die Schwarzen Jäger Werder von den französischen Truppen.

KAISERZEIT BIS GOLDENE ZWANZIGER

Die Stadtverwaltung aus dem 19. Jahrhundert wird angeführt von dem am Donnerstag zum Ehrenbürger ernannten ehemaligen Stadtvater Werner Große, der den früheren Bürgermeister Franz Dümichen darstellt. Der Musikverein des 19. Jahrhunderts gibt in seinem großen Omnibus ein paar alte Ständchen zum Besten. Die Obstzüchter, die für die Entwicklung der Stadt so wichtig waren, laufen mit ihren alten Gerätschaften, mit Pflückkörben und Harken, vorbei und tragen Blumen und Kirschen zum Markt. Der Karnevalsklub Werder zeigt mit Orchester und viel Tanz, wie in dem alten Ausflugslokal Bismarckhöhe um die Jahrhundertwende gefeiert wurde.

Sehr anschaulich stellt der Heimat- und Sportverein Neu Plötzin die Grauen des Ersten Weltkrieges dar. Auf einem Lazarettbett liegt ein Mann mit blutiger Kopfbinde an einem Tropf. Krankenschwestern kümmern sich um den Verletzten. Hinter dem mobilen Krankenbett trotten verwundete Soldaten humpelnd hinterher. Alte Oldtimer und Hochräder fahren hupend und klingelnd in den 20er-Jahren durch die Stadt. „Oh, wie geil“, ruft ein Zuschauer. Die Weltwirtschaftskrise bringt viel Armut in die Stadt. Aber dennoch sind in den Goldenen Zwanzigern auch in Werder die Menschen am Feiern. Mit Stirnbändern, kurzen Kleidern, Nadelstreifenanzügen und schicken Zigarettenhalten werfen sie zu Charlston-Musik die Beine in die Höhe. Klatschend wird die Tanzmenge von der Tanzschule Vizavi von den Zuschauern angeheizt. Ein fröhlicher Abschluss des feierlichen Umzuges.

Die Zeit von 1933 bis 1989 ist nicht Teil des Umzugs. Die geplante Darstellung der NS-Zeit, die einen grimmig dreinblickenden Mann in Wehrmachtsuniform zeigen sollte, sorgte von Seiten vieler Bürger und der Partei Die Linke für Proteste und Kritik. Die Stadtspitze entschied sich als Reaktion darauf dafür, die Darstellung der Zeit komplett aus dem Festumzug zu nehmen (PNN berichteten). Mitglieder der Partei Die Linke hatten kritisiert, dass damit die DDR mit der NS-Zeit gleichgestellt würden. Auch einige Werderaner finden die Entscheidung nicht gut. „Ich frage mich, warum man die Zeit von 1933 bis 1989 komplett aus dem Programm nehmen musste. Dafür hätte es sicherlich auch eine andere Lösung gegeben“, sagt eine junge Frau, die namentlich nicht genannt werden möchte, am Rande des Umzuges. Vielen hat der Umzug dennoch gefallen. „Es war toll“, sagt Dietlinde Schröder, die seit 1966 in Werder wohnt. „Es war alles sehr informativ und vor allem die alte Kleidung war so schön. Die haben sich alle so viel Mühe gegeben.“ Auf dem letzten vorbeirollenden Umzugswagen steht: Auf die nächsten 700 Jahre.

Sarah Stoffers

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