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Zum 95. Geburtstag von Helmut Schmidt: Die Gnade des Alters

Wir brauchen Politiker wie Helmut Schmidt - denn sie leben in der Gnade, keine Verantwortung mehr tragen zu müssen außer für ihre Worte. Für die es darum einfacher ist, weise zu sein. Zum anderen liegt es im Alter näher, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. So gesehen ist Helmut Schmidts 95. Geburtstag für die Gesellschaft ein schönes Geschenk.

Anlässe gibt’s, die einen dazu anhalten, den raschen Zeitläuften die Stirn zu bieten. Für einen Moment wenigstens. Ja, Weihnachten zählt dazu, natürlich, als das Fest der Besinnlichkeit, wenn alles gut geht. Aber auch andere Ereignisse, politische Entwicklungen, die aus der Zeit fallen, und Geburtstage können zum Innehalten anleiten. Gewissermaßen zur Vergegenwärtigung dessen, was Größen aus der Vergangenheit, Werte und Menschen, für die Zukunft der Gesellschaft doch noch bedeuten können. Sagen wir so: Es ist nicht alles gleich smart, weil es aus dem schnellen Strom der Nachrichten bei uns anlangt. Oft bleibt es ja gar nicht mal lange, erst recht nicht im Gedächtnis.

Wer kann jetzt, hier, in diesem Moment, alles Wichtige des ablaufenden Jahres 2013 aufzählen?

Vor diesem Hintergrund ist es nachgerade ein Geschenk, dass in diesen Tagen zwei Ereignisse daran erinnern, wie wichtig es sein kann, nicht das schnelle Leben, sondern die Fülle des Lebens zu bedenken, zu der das Alter gehört, frei nach Cicero. Und so lange wird schon darüber nachgedacht: über das Leitbild eines tätigen Alters, mit dessen „tüchtigsten Waffen“. Zählen wir dazu Gelassenheit im Angesicht des Neuen, Geduld mit der Entwicklung, Vernunfttätigkeit. Zwei je unterschiedliche Beispiele sind Helmut Schmidt und Hans-Dietrich Genscher.

Stoizismus nach Hans-Dietrich Genscher

Über Genscher ist gerade etliches geschrieben worden, wenig über seine, positiv gesagt, ciceronische Fähigkeit einer diplomatischen Sprache. Man hatte sie fast vergessen, die Fähigkeit. Und dachte schon, es spreche keiner mehr diese Sprache, die in ihren Verhüllungen so viel enthüllt, wie sie zugleich ermöglicht. Das wäre im Fall Chodorkowski noch ein Traktat wert. Wie Genscher Putin kritisiert, indem er lobt; wie er ihn ermuntert, zum Richtigen vorzustoßen, indem er ihn vom weiteren Falschen abbringt. Handeln ohne dogmatische Festlegung für sich oder andere, dazu ohne Rücksicht aufs eigene Leben – Genscher war tätig trotz Krankheit –, das könnte man zu praktischer politischer Philosophie verdichten: Stoizismus nach Genscher.

Warum wir Menschen wie Helmut Schmidt brauchen

Und dann Helmut Schmidt. Auch er ist bereits gewürdigt aus berufenem Mund, von Sigmar Gabriel, mit seinem praktisch-intellektuellen, logisch-kühlen Hintergrund. Er als der Wegbereiter von Karl Popper ins sozialdemokratische und damit einhergehend allgemeine deutsche Staatsverständnis. An ihm ist es aber genau nicht die Sprache und Anwendung der Diplomatie, die seine Attraktion ausmacht. Sondern es sind Worte desjenigen, der zutiefst um seine politischen Leistungen, seine Erfahrung und sein Alter weiß. Oder wie Harald Martenstein einmal schrieb: „Alte Politiker sind weder klüger noch mit einem besseren Charakter gesegnet als jüngere. Sie sind aber freier, das wirkt sich positiv aus. Sie wollen nichts mehr werden, sie müssen keine Rücksicht nehmen, sie sagen einfach das, was sie denken. An den alten Politikern kann man erkennen, wie die Politik sein könnte, wenn jeder einfach das sagt, was er oder sie denkt.“

Wir brauchen sie, die zweifellos in der Gnade leben, keine Verantwortung mehr tragen zu müssen außer für ihre Worte. Für die es darum einfacher ist, weise zu sein. Aber nun findet sich auch in der Abgrenzung die Chance der Orientierung. Zum anderen liegt es – in der Fülle eines Lebens – im Alter näher, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Wer dem Erlebten zuweilen die Stirn bietet, hat jedenfalls den richtigen Geist. So gesehen ist Helmut Schmidts 95. Geburtstag für die Gesellschaft ein schönes Geschenk.

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