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Meinung: Wenn einzig noch ein Dobrindt zum Buhmann taugt

„Von den Medien wird die große Koalition nicht geliebt werden“

Bei einer großen Koalition ist der kleinste gemeinsame Nenner oft besonders klein. Und so haben sich Union und SPD auch jetzt wieder auf eine agenda- und visionslose, entideologisierte Form von Politik verständigt. Leidenschaften wie Euphorie oder Zorn entfacht der ausgehandelte Vertrag nicht. Und die Opposition tut lediglich brav ihre Pflicht. Für die Linken hätte sich der Fürsorgestaat noch spendabler gegenüber den Bedürftigen zeigen sollen, während die Marktliberalen ihn jetzt schon für zu spendabel halten. Die Grünen beklagen ökologische Defizite, die Piraten mangelnden Datenschutz. Jeder füllt seine Rolle im politischen Theater berechenbar aus.

Ungefähr so ließe sich das Ereignis große Koalition beschreiben – etwas gelangweilt, etwas süffisant, etwas unernst, mit Abstand zu den Themen, rezensentisch gewissermaßen. Das entspricht wahrscheinlich sogar einer weit verbreiteten Stimmung im Land. Nichts anderes war erwartet worden. Staatsschulden, Demografie, Energiewende, Euro-Krise: Für die Lösung der großen Fragen hat schließlich keiner ein Rezept, das überzeugender wäre als das Merkel’sche Auf-Sicht-Fahren, das Durchwursteln. Acht Jahre lang regiert die Kanzlerin nun schon. Die Deutschen kennen sie und wissen, was kommt.

Die Medien aber werden die große Koalition recht schnell als Sedativum kritisieren. Spätestens, wenn das SPD-Mitgliedervotum überstanden ist und die Personalentscheidungen ausanalysiert wurden, wird das Leiden an der großkonsensualen Spannungslosigkeit einsetzen. Das hat zwei Gründe. Zum einen ist das in den Medien vorherrschende Bild von Politik ziemlich stark vom Zirkus-und-Drama-Image geprägt. Da muss es Krach und Verrat geben, Stürze und Intrigen sowie finstere Mächte, die mit üblen Tricks Einfluss zu nehmen versuchen. Folglich triumphiert das Entlarven und Enthüllen über das Verstehenwollen und Vermitteln.

Das wiederum verstärkt die Tendenz zur Personalisierung. Guido Westerwelle, Horst Köhler, Karl-Theodor zu Guttenberg, Christian Wulff: Angeödet von den Mühen der täglichen Regierungsarbeit boten die Affären, die sich um diese Personen rankten, auch eine willkommene Ablenkung. Mit einer Hingabe, die mitunter obsessive Züge annahm, kümmerten sich Rechercheteams plötzlich um Details von Spesenabrechnungen statt ums Kleingedruckte bei der Gesundheitsreform. Weil die Merkel-Westerwelle-Regierung kaum innovativer und kreativer war als die Merkel-Müntefering-Regierung – und nichts darauf hindeutet, dass das Merkel-Seehofer-Gabriel-Gespann wesentlich temperament- und fantasievoller sein wird –, dürfte die Lust an der personalen Skandalisierung weiter steigen.

Zum anderen hat sich der mediale Reiz-Reaktions-Rhythmus durch 24-Stunden-Onlinepräsenz plus täglicher TV-Talkshow-Umrandung stark beschleunigt. Mutmaßungen, Zuspitzungen, Gerüchte und Nachrichten verbreiten sich schneller und großflächiger als früher, die Wahrnehmung von Politik ist stimmungsanfälliger geworden. Ein Hintergrundbericht über die mühsame Kompromisssuche der Koalition bei der doppelten Staatsbürgerschaft verheißt weit weniger Klicks und Postings als eine Fundamentalkritik an ihrer Stillstandsverwaltung. Oder als eine Warnung vor Demokratiedefiziten und verfassungsändernden Mehrheiten, die das Grundgesetz gefährden.

Weil Neues stets interessanter ist als Altes, wird auch gern mit unrealistischen Optionen geliebäugelt. Schwarz-Grün auf Bundesebene etwa oder gar Rot-Rot-Grün – die Exotik vor der Haustür. Das prickelt, das regt an, es belebt und erschreckt. Politik ohne Emotion ist dagegen der natürliche Feind der Medien. Eine große Koalition, in der einzig ein Typ wie Alexander Dobrindt zum Buhmann taugt, während der Rest überwiegend protestantisches Pflichtbewusstsein ausstrahlt, lässt die Grenze zwischen Sedativum und Hypnotikum verschwimmen.

Wer ist weiter vom Volk entfernt, die Politik oder die Medien? Die große Koalition, wie sie sich jetzt vorläufig konstituiert hat, wird von den Deutschen mehrheitlich nicht gefeiert, aber akzeptiert. Dieses unterkühlt-abgeklärt-illusionslose Verhältnis ist an sich nichts Negatives, sondern kann auch von Reife künden. Einem Land, dem es gut geht, fehlt die Neigung zur politischen Exaltiertheit, zur Reform- und Experimentierfreude. Die Medien, die oft in den Gesetzen ihres eigenen Universums gefangen sind, sollten diese Bodenhaftung trotz allem nicht verlieren.

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