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Meinung: Wenn die Wahrheit auf der Straße liegt

„Die Pkw-Maut ist ein Lehrstück für Pseudopopulismus“

Natürlich wird es die bayerische Pkw-Maut für Ausländer auf den deutschen Autobahnen nie geben. Darauf lässt sich ziemlich risikolos ein Fass Andechser Bier oder eine Kiste Frankenwein wetten.

Alle sollen die Maut zahlen, auch die Deutschen, aber die kriegen hinterher das Geld wieder zurück. Erst dachten wir, diese Idee sei nur eine Sondereinlage aus dem Münchner Crazy-Horst-Saloon, damit der letzte Bundestagswahlkampf nicht zu langweilig werde. Aber die Christlich Seehofer’sche Union (CSU) bleibt dabei, auch in der Großen Koalition, auch jetzt nach der Einkehr in Wildbad Kreuth.

Die Maut-Idee war ursprünglich nur ein populistischer Ausraster – dachte man. Aber das ist so falsch wie die (populistische) Annahme, dass in Bayern „die Uhren anders gehen“. Die gehen auch in München wie überall, nach wie vor.

Nein, die Maut-Idee wirkt gar nicht mehr populistisch. Und das macht sie zum – zunächst: kuriosen – politischen Lehrstück.

Im Vordergrund sehen wir, wie der neue CSU-Verkehrsminister Alexander Dobrindt im Quadrat springt, um die versprochene Kurve zu kriegen („kein deutscher Autofahrer wird mehrbelastet!“). Aber auch immer neue Vignetten- Varianten für unterschiedliche Hub- oder Zeiträume und der Aufbau einer Hybridbürokratie zur Berechnung, Überwachung und gestaffelten steuerlichen Rückvergütung für inländische Fahrer verleihen dem Wahnsinn, frei nach „Hamlet“, noch keine Methode. Das kostet nur und brächte wenig, wenn es je möglich wäre.

Freilich kann jeder Jurastudent nach dem ersten europarechtlichen Seminar auch der CSU und ihrem großgewachsenen Vorsitzenden erklären, warum die aberwitzige Verbindung einer Realmaut (für die anderen) und einer Scheinmaut (für die unsrigen) das Verbot der Diskriminierung von EU-Ausländern nicht umgeht.

Das weiß in München ebenso der ADAC. Der Allgemeine Deutsche Automobilclub mit seinen über 20 Millionen Mitgliedern gilt neben dem Deutschen Fußballclub (mit gut 6,8 Millionen Mitgliedern) als einflussreichster Verein in Deutschland. Und der ADAC ist gegen die Maut. Doch wegen des erhöhten Investitionsbedarfs angesichts der maroden deutschen Straßen ist er nun für eine Erhöhung der Mineralölsteuer. So hat es der Clubpräsident Ende 2013 erklärt. Der ADAC will den Sprit verteuern! Das ist ungefähr so revolutionär, wie wenn der FC Bayern nächste Saison den Dortmundern ihren Lewandowski aus Gemeinwohlgründen zurückleiht und das erhöhte Gehalt übernimmt.

Die Sache mit dem ADAC wurde zwischen den Feiertagen schon überall gemeldet. Doch nicht groß, und als Sensation irgendwie nicht recht ernst genommen. Vielleicht liegt das daran, dass die Pkw-Maut außerhalb der CSU nicht mehr ernst genommen wird. Dennoch kreißt ein ganzes Verkehrsministerium weiterhin auf Steuerzahlerkosten, um diese Fehlgeburt zu ermöglichen.

Warum ein politisches Lehrstück? Weil es ein bemerkenswerter Fall von Pseudopopulismus ist. Erst dachten die Seehofers, die Kombination sei doch super: Autofahrer und Ausländer. Also nationale Affekte gegen eindringende Straßenverstopfer nutzen und sich zugleich als Hüter der deutschen Autobahnen gerieren. Ausländer fahren oder leben, das ist die neueste Kampagne („Armutszuwanderer“): auf unsere Kosten! Nur die unpopulären eigenen Kosten wurden dabei übersehen, die praktischen, moralischen, rechtlichen.

Merkwürdig ist allerdings, dass weder die CSU noch der ADAC an die bestehende und ohne großen Aufwand zu erhöhende oder auszuweitende Lkw-Maut denken. In diese Richtung plädieren zwar die SPD und die Grünen, doch zum schlagenden Argument oder zur klaren Alternative in der ganzen Debatte haben sie’s nicht gemacht. Aus Furcht vor der vom Güterfernverkehr abhängigen Wirtschaft?

Tatsächlich rührt dies auch an eine bisher wenig diskutierte Ausländer-Frage. Ein wachsender Anteil der auf EU-Autobahnen zwischen Frankfurt/Oder, Lissabon und Neapel verkehrenden Lkw trägt nämlich polnische, tschechische, rumänische, bulgarische, litauische Kennzeichen. Die Trucks selber weisen oft keine Firma oder Herkunft mehr aus. Das heißt: Westeuropas Unternehmer bedienen sich immer mehr osteuropäischer Lkw mit Fahrern, die fern aller Mindestlöhne unter oft skandalösen Arbeitsbedingungen fahren. Unsicher. Als Risiko für sich und andere. Die Europäische Transportarbeiter-Föderation spricht von „moderner Sklaverei“. Das wäre ein Thema. Nicht nur für den Verkehrsminister.

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