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Meinung: Was gesagt werden wird

Reden, sprechen, streiten: Die Talkshows brauchen eine Reform

Von Caroline Fetscher

Auf eines ist Verlass beim Blick durch die Tür, die vom alten Jahr ins neue führt. So wie die Sonne scheinen und der Regen fallen wird, werden wir Menschen weiter reden und reden. Sprechen ist das Zivilisierteste, was Gesellschaften tun, in denen der Dialog den Faustkampf ersetzt und der Staat das Gewaltmonopol besetzt hat. Parlament kommt von „parlare“, das bedeutet „sprechen“.

Von Mikroplaudereien im Treppenhaus bis zu medialen Makrodebatten erwarten uns im neuen Jahr hunderttausende noch ungesagter Wörter. Symptomhaft werden sich aus ihnen die Wörter des Jahres 2014 herauskristallisieren, die heute noch niemand kennt.

2013 jedenfalls hat uns „GroKo“ beschert, „Armutseinwanderung“ und „Ausländermaut“. Auch 2014 wird seine Wörter finden, während sich die Zeitungen füllen und die Talkshows Runden präsentieren, in denen man über Aktualitäten streitet.

Etwa solche: Banken bangen um ihr Bestehen oder feiern Renditen, Papst Franziskus besucht Asylunterkünfte. Sportler und Filmstars sorgen für konstruierte Skandale, aus den Snowden-Daten tauchen neue Enthüllungen auf. Im Mittelmeer kentern Boote voller Hoffnung, Leute aus Osteuropa wandern ein, Mieter werden im Zuge der Gentrifizierung aus ihren Wohnungen gemobbt, klamme Konzerne entlassen eine Menge Mitarbeiter, muntere Start-up-Firmen stellen neue ein. Und allabendlich darf das Publikum, nach den Berichten über das reale Unglück, fiktionale Tatorte und Tote besichtigen – sowie Diskussionen im Format der Talkshows folgen.

Der medialisierten Öffentlichkeit bieten Talkshows eine Art postmoderner Agora. Ihre Parallelparlamente mit Unterhaltungseffekt weisen die höchste Wortdichte im noch immer zentralen Medium auf. Dass das Wort dort so großen Raum einnimmt, ist an sich fantastisch und begrüßenswert. Gleichwohl – erschrecken kann die Vorstellung, dass wir heute in einem Jahr ein Millionenmeer an Worten beim allabendlichen postmodern Talking hinter uns haben werden, und dabei, wieder und wieder, zwischen Erkenntnisinteresse und Erkenntnisgewinn ein Grand Canyon klafft.

In diesem Sinn hier der Appell an die verantwortlichen Regisseure und Dramaturgen des öffentlich-rechtlichen wie privaten Talktheaters, die Ensembles im neuen Jahr endlich neu zu besetzen. Denn in den kollektivierten Salons des Fernsehens, die je nach Quote große Gruppen der Bevölkerung erreichen, treiben sich seit Jahr und Tag mehr oder weniger dieselben Darsteller herum, die für jedes Thema gut sind, ob Börse, Bildung, Rente oder Bundeswehr. Brillant und humorvoll wurde dieses Phänomen Ende 2011 von Peter Kümmel in der „Zeit“ analysiert („Die Volkstherapeuten“). Am Befund des klugen Kommentators hat sich nichts geändert. Verspielte Chancen, vertane Stunden, geleugnete Verantwortung.

Da gibt es die medienpolitische, kulturelle Möglichkeit, Debatten anzuregen oder voranzubringen, doch die von Quotenangst, Routinefieber und Themenpanik gepackten Macher scheuen die Risiken, frische, klarere Gesichter und Thesenvertreter zu rufen. Sicher, es wäre naiv, sich auf diesen Programmplätzen eine Volkshochschule oder Seminare zu wünschen. Auf Unterhaltung, die ja den doppelten Sinn von Gespräch und Vergnügen hat, lässt sich nicht verzichten.

Aber warum nicht mal drei, vier Protagonisten des kundigen Chaos Computer Clubs einladen, anstatt eines einsamen Bloggers auf dem Betroffenensofa am Rand der Show? Warum nicht aktive Studentenvertreter zur Diskussion über die Hochschulreform? Warum nicht die Staatssekretäre und Experten aus der zweiten Reihe fragen, diejenigen, die das Denken und Planen hinter den Kulissen leisten? „Weshalb sehen, lesen wir so viele Krimis?“ Das wäre ein spannendes Thema für Soziologen und Psychoanalytiker. Vertreter von Organisationen zum Kinderschutz, die kontroverse Standpunkte vertreten, wären hochinteressante Debattanten.

In der Wissenschaft und der Sphäre der unabhängigen Berater gibt es hunderte Fachleute, die sich mit Finanzen, Energie, Behörden oder Justiz tatsächlich auskennen, auch wenn sie keine populären Bestseller verfasst haben – oft ist gerade diese Tatsache der beste Ausweis. Man müsste nur nach ihnen suchen, man würde sie garantiert finden und erstaunliche Talente entdecken. Der Aufwand wäre gering, im Vergleich zum enormen, möglichen Ertrag. Das wäre ein Wunsch fürs Neue Jahr: Mehr Mut zu neuen Wortgefechten, Dialogen, Stimmen.

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