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Meinung: Vertreter der Volksvertreter

Koalitionsverträge sollten die Parlamentarier aushandeln – nicht die Parteien

Das ganze Elend der Parteiendemokratie, die selbstgewisse Dominanz und Penetranz der Parteien und ihrer Führungen in den Verfassungsinstanzen und im politischen Leben: Man hat es nun wochenlang mit wachsendem Staunen beobachten dürfen. Der Tiefpunkt des Schauspiels seit der Bundestagswahl ist nun der Mitgliederentscheid in der SPD. Und dies ist nicht die Sicht eines fundamentalen Parteienkritikers – ohne Parteien funktioniert eine Demokratie nicht. Zu viel davon aber ist ihr abträglich.

Ob der Mitgliederentscheid verfassungswidrig ist oder nicht, ist eine akademische Frage. Er ist in jedem Fall nicht bindend. Die SPD- Fraktion im Bundestag ist durch nichts und niemanden gezwungen, das Votum der Mitglieder zu übernehmen. Denn nach dem Grundgesetz – Artikel 38 – sind die Abgeordneten des Bundestages an Aufträge und Weisungen nicht gebunden. Auch nicht an Aufträge und Weisungen der Parteiführungen, von Parteitagen, aus Mitgliederbefragungen. Bei einem knappen Ergebnis des Entscheids könnte das noch von Bedeutung werden.

Dieser Artikel 38 (in dem auch steht, dass die Abgeordneten Vertreter des ganzen Volkes sind und „nur ihrem Gewissen unterworfen“) ist wesentlich für das Funktionieren der parlamentarischen Demokratie. Er bedeutet freilich, dass die Fraktionen des Bundestags über allen Gremien ihrer Parteien stehen. Im Mutterland des Parlamentarismus, in England, ist das ein gelebter Verfassungsgrundsatz.

Bei uns überwog in den vergangenen Wochen jedoch der gegenteilige Eindruck. Den Koalitionsvertrag haben Parteirunden ausbaldowert, voll mit Leuten, die am 27. September gar nicht zur Wahl standen. Die Abgeordneten von CDU, SPD und CSU waren natürlich beteiligt, oft aber mit Beisitzerstatus. Viele, vor allem junge Abgeordnete durften nur von fern zuschauen. Aber das komplette Landeskabinett aus München war stets dabei, als Aufpassertruppe des Chefs der bayerischen Staats- und Defilierpartei, damit die Landesgruppe in Berlin nicht auf eigene Gedanken kommt.

Dass in Bundeskabinetten immer wieder Gesichter auftauchen, die zwar nicht zur Wahl standen, aber irgendwie in der Partei wichtig sind oder gerade eine Wahl anderswo verloren haben, gehört ins schiefe Bild von parlamentarischer Demokratie, das man bei uns für normal hält. Es ist aber nicht normal: Minister müssen einen Sitz im Parlament haben, als gewählte Vertreter des Volkes.

In einer parlamentarischen Demokratie, die sich ernst nimmt, wäre es allein Sache der Mitglieder der künftigen Regierungsfraktionen, den Koalitionsvertrag auszuhandeln. Natürlich kann man Landes- oder Kommunalpolitiker hinzuziehen, das ist in einem vielfältig verflochtenen Bundesstaat in Ordnung.

Aber das letzte Wort haben die Abgeordneten. Sie müssen auf der Grundlage der Vereinbarungen ja auch die Regierungspolitik verantworten. Wenn die Fraktionen insgesamt zustimmen, dann ist der entscheidende Punkt gesetzt. Danach braucht es weder Mitgliederentscheide noch Parteitage. Die Rolle der Parteien, der Apparate, Funktionäre und Aktivisten, sie endet mit dem Wahltag. Dann hat das Volk die Kräfte verteilt, dann übernimmt das Parlament. Es wäre schön, wenn’s beim nächsten Mal so wäre.

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