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Meinung: Über dem Teppich

Spaniens konservative Regierung betreibt einen Ruck nach rechts

Gut zwei Jahre nach Amtsantritt legt Spaniens Regierung einen politischen Rückwärtsgang ein, der in Europa Sorge auslöst: Freiheiten und Bürgerrechte werden beschnitten. Zugleich werden Machtmissbrauch, Korruption und Vetternwirtschaft nicht konsequent bekämpft, weiten sich sogar noch aus. Mit der Folge, dass unter den Bürgern das Gefühl der Ohnmacht, Wut und sozialen Ungerechtigkeit wächst.

Dies ist bedenklich für ein Land, das jedes Jahr Millionen Touristen empfängt. Dessen Gastfreundlichkeit berühmt ist und das in den vergangenen Jahren große Fortschritte auf dem Weg zu einer emanzipierten und modernen Gesellschaft errang. Der Machismo, der lange Zeit im spanischen Königreich regierte, schien besiegt. Genauso wie der autoritäre Mief aus alten Zeiten. Doch plötzlich kündigt sich ein Rückfall an.

Nicht nur beim gerade auf den Weg gebrachten Abtreibungsverbot, das den Spanierinnen das mühsam errungene Entscheidungsrecht über einen Abbruch wieder nimmt, und verzweifelte Schwangere wie in dunklen Zeiten in illegale Kliniken oder liberalere europäische Nachbarländer abdrängt. Auch auf anderen Feldern befindet sich Spaniens konservative Regierung auf Geisterfahrt. So segnete das Kabinett jüngst ein „Gesetz für die Bürgersicherheit“ ab, das eher einem Knebelerlass gleicht, mit dem ein Obrigkeitsstaat unerwünschten Protest ersticken will.

Sind Bevormundung, Einschüchterung und Gängelung die Waffen eines liberalen und selbstbewussten Staates? Oder spiegelt sich in diesem Ruck nach rechts nicht doch eher die Angst eines Staates vor der Mündigkeit seiner Bürger?

Soll dieser autoritäre Kurs womöglich auch davon ablenken, dass Ministerpräsident Mariano Rajoy mitten im Zentrum eines schweren Korruptions- und Schwarzgeldskandals seiner konservativen Volkspartei steht?

Bei der Bewältigung der rechtsextremen Vergangenheit Spaniens konstatieren Menschenrechtler ebenfalls Rückschritte: Die Opfer der 1975 untergegangenen Franco-Diktatur fühlen sich von der Regierung verhöhnt. Spanien ist vermutlich der einzige demokratische Staat der Welt, der nicht nach den Todesopfern eines früheren Unrechtsregimes sucht. Mehr als 100 000 Regimegegner waren unter Franco ermordet und in Massengräbern verscharrt worden – sie sind bis heute verschwunden.

Derweil nehmen rechtsradikale Vorfälle in Spanien zu. Leider auch bei den regierenden Konservativen. Fotos, auf denen sich Parteimitglieder mit Hitlergruß oder Faschismussymbolen ablichten lassen, zirkulieren im Internet. Dies ist, an demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien gemessen, ein Skandal. Doch im Königreich der unter den Teppich gekehrten Faschismusgeschichte hat man sich an Derartiges gewöhnt.

Erst recht unter einer Regierung, die unverblümt eine schützende Hand über Francos Erbe hält. Die von einer konservativen Volkspartei getragen wird, welche den Sympathisanten der Rechtsdiktatur früher wie heute eine politische Heimat bietet. Und es mit dieser Strategie bisher verhindern konnte, dass sich an ihrem rechten Rand nennenswerte Extremistenparteien formieren.

Ralph Schulze

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