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Meinung: Pappa ante Portas

Sigmar Gabriel redet zu viel über seine Tochter

Marie ist nicht Walter. Marie wird mittwochs nämlich von ihrem Vater abgeholt. Nie wieder wird das Land so deformierte Politikerkinder bekommen wie die von Helmut Kohl, die sich noch heute öffentlich über den abwesenden Vater beklagen. „Unser eigener Vater spielte so gut wie nie mit uns, außer wenn es von Pressefotografen für eine Homestory gewünscht wurde. Er hatte ja keine Zeit“, schreibt Walter Kohl in seinem Buch „Leben oder gelebt werden“.

Marie, die Tochter von Sigmar Gabriel, wird nicht gelebt werden, sie soll leben. In der „Bild“ kündigte Gabriel am vergangenen Samstag an: „Meine Frau ist berufstätig und mittwochs bin ich mit dem Abholen aus der Kita dran. Und darauf freue ich mich auch.“

Die Nachricht, dass ein deutscher Spitzenpolitiker für seine kleine Tochter bei der Arbeit kürzer tritt, hat es bis in den britischen „Guardian“ geschafft. Moderner Vater, moderne Politik, modernes Deutschland. Davor hatte sich schon der „Economist“ anlässlich der Entscheidung von Jörg Asmussen, von der EZB ins Arbeitsministerium zu wechseln, um mehr Zeit mit seiner Familie verbringen zu können, mit der Zusammensetzung des Berliner Kabinetts beschäftigt: 40 Prozent sind Frauen, drei von ihnen haben kleine Kinder. Und in Deutschland wird nun die Frage gestellt, ob sich ein Wirtschaftsminister „Papa-Zeit“ („Bild“) nehmen darf oder bis spät in die Nacht für das Wohl des Landes aufreiben muss.

Sigmar Gabriel ist Wirtschaftsminister geworden, weil sich sein praktischer Ehrgeiz in Grenzen hält. Wäre er an einer großen Karriere interessiert, wäre er Finanzminister geworden, das politisch viel wichtigere Amt. In gewisser Weise war schon das eine Entscheidung für die Familie und gegen die Karriere. Das ist sympathisch, aber nicht im Interesse des Landes. Der Führer der zweitstärksten Partei, Vizekanzler zumal, muss den Anspruch und den Ehrgeiz haben, Kanzler zu werden – denn nur so erwächst in der Demokratie eine politische Alternative. Gabriel, wie andere aus seiner Politikergeneration auch, hadert mit diesem Anspruch. Doch wer nicht Kalif anstelle des Kalifen werden will, landet, mit etwas Glück, bei der Bahn.

Gabriel arbeitet in Berlin. Wann genau er mittwochs nach Goslar fahren wird, um seine Tochter, die dort in die Kita geht, abzuholen, hat er nicht gesagt. Auch die SPD sagt auf Nachfrage dazu nichts. Es ging dabei vor allem um die öffentliche Ankündigung. Die Frage ist jedoch interessant, weil das ideologische Projekt der Partei zur Kindererziehung lautet: Sozialisierung. Kitas sind gut für die Eltern, weil sie dann arbeiten können, und gut für die Kinder, weil sie dann gefördert werden können. Am besten ist es, wenn die Kinder den ganzen Tag versorgt werden, wie Manuela Schwesig, inzwischen Familienministerin, immer wieder betont hat: „Eine Ganztagsbetreuung in Kitas und an Schulen ist eminent wichtig für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.“ Vor der Wahl hat Schwesig sogar einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung gefordert, und die Berliner SPD fordert gern einmal die Kita-Pflicht ab drei Jahren.

Aus Sicht der SPD ist das, was Gabriel mittwochs machen will, also falsch: Es hält ihn von der Arbeit ab und entzieht seine Tochter dem sozialen Umfeld, das eine Kita bietet; es ist volkswirtschaftlich und sozialpolitisch falsch. Und geht die Tochter weiterhin nur halbtags in die Kita, wie Gabriel 2011 in einem Interview mit der „BZ“ gesagt hat, stellt sich die Frage, warum die SPD die Ganztagsbetreuung propagiert, ihre Führung die eigenen Kinder aber schon mittags abholt. Wenn Gabriel so viel von der Betreuung durch die Eltern hält, sollte er sich für den Mittwochnachmittag auch gleich anteilig das Betreuungsgeld von der CSU erstatten lassen.

Sigmar Gabriel inszeniert sich gern als glücklichen Vater. Auch das ist sympathisch, ist aber nicht im Interesse der Tochter. Mal wird sie in der „BZ“ als Beweis für den Erfolg von Kitas präsentiert („Man sieht richtig, wie gut ihr das tut“), mal führt er sie vor. 2012, kurz vor einer Internetfragestunde, machte er seine Tochter zu Twitterfutter: „Mariechen ist abgefüttert, der Kaffee ist da, also kann’s losgehen :-)).“ Dass „abgefüttert“ an die Schweinemast erinnert, wird dem glücklichen Vater durchgerutscht sein.

Und nun ist Marie, gerade einmal zwei Jahre alt, in der „Bild“ gelandet. Von den anderen Minister- kindern sind nicht einmal die Namen bekannt. Helmut Kohl hat es seinen Söhnen sicher nicht leicht gemacht. Aber er hat sie wenigstens nicht schon als Kleinkinder politisch instrumentalisiert.

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