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Mon BERLIN: Die Orangen und der General

In den Wogen der studentischen und feministischen Revolution von 1967 schlug ein avantgardistischer Berater dem Präsidenten Charles de Gaulle die Schaffung eines Ministeriums für die condition féminine, wörtlich übersetzt: die Lage der Frau, vor. Der General saß hinter seinem Schreibtisch im Elyséepalast.

In den Wogen der studentischen und feministischen Revolution von 1967 schlug ein avantgardistischer Berater dem Präsidenten Charles de Gaulle die Schaffung eines Ministeriums für die condition féminine, wörtlich übersetzt: die Lage der Frau, vor. Der General saß hinter seinem Schreibtisch im Elyséepalast. Er richtete seinen beeindruckenden Oberkörper auf, zuckte mit den Schultern, verzog verächtlich die Mundwinkel und antwortete in schneidendem Ton: „Ein Ministerium für die Lage der Frau? Und warum nicht auch ein Staatssekretariat fürs Stricken?“

Kaum wage ich hier zuzugeben, dass der politisch nicht korrekte Humor und die Dreistigkeit des großen Charles mich mit Wehmut erfüllen. Zwei Eigenschaften, mit dem das politische Personal unserer beiden Länder nicht gerade glänzt. Ebenso wie seine Ahnungslosigkeit: Niemals wäre de Gaulle – verheiratet mit Yvonne, wegen ihrer Schleierhütchen und ihrer Frömmigkeit „Tante Yvonne“ genannt – auf die Idee gekommen, mit der Lage der Frau könne etwas Ambitionierteres gemeint sein als Nadelarbeiten. In der festgefügten Welt des Frankreich von 1967 hatte jeder seinen Platz: die Männer am Gestalten der Welt, die Frauen am Nähkästchen. Bis heute scheinen die Deutschen sich von dieser Sicht der Gesellschaftsordnung noch nicht ganz gelöst zu haben, so schwierig – und moralisch bedenklich – ist es für Frauen bis heute, Beruf und Familienleben zu verbinden.

Nicht dass ich hier eine Parallele zum „Gedöns“ von Gerhard Schröder ziehen wollte. O nein! Da reicht keiner, nicht einmal der größte Macho unter den Kanzlern, unserem General das Wasser. Außerdem möchte ich auf einen Widerspruch hinweisen: Der brutale Machismus hat dem makellosen Heldenbild des Generals nicht den kleinsten Kratzer zufügen können. Seit dem Krieg wurde kein Politiker so einmütig verehrt wie der General de Gaulle (und François Hollande ist bestimmt nicht derjenige, der daran etwas ändern wird, obwohl er sich ja als Mann der Praxis entpuppt hat, wenn es um die Lage der Frau geht!).

Stricken, Marmelade kochen  lange Zeit galt so etwas in den sogenannten emanzipierten Kreisen als Aktivität, die dem „schwachen“ Geschlecht vorbehalten ist, als niedere, fast ein wenig peinliche Tätigkeiten, eine freiwillige Entfremdung in einem minderwertigen Zustand. Deshalb wundere ich mich sehr, dass diese schlichten Beschäftigungen im Galopp zurückkehren.

„Urpgs“  gluckst es aus dem Hörer, als meine Freundin abnimmt. Schweigen. „Alles in Ordnung?“, erkundige ich mich leicht beunruhigt. „Ja ja, ich koche gerade Orangenmarmelade.“ Ich stelle mir die brodelnde Masse vor, die Berge von Schalen auf dem Küchentisch, Zucker, noch mehr Zucker, gerötete Wangen und das Gemüt kurz vor der Explosion – die Herstellung von Orangenmarmelade erfordert Zeit, Logistik, Ausdauer, Konzentration und Nerven wie Drahtseile. Ausgeschlossen, dass man beim Rühren der goldenen Pampe Radio hört oder mit unter das Kinn geklemmtem Hörer plaudert. Ich werde rasch von ihr verabschiedet.

Auch ich wollte mich an einer der Künste versuchen, die der General für mein Geschlecht vorgesehen hatte. Da mir die Geduld fürs Stricken fehlt, habe ich mich an Marmelade gewagt. Als Erstes musste ich in Berlin 4 ½ Pfund Orangen aus Sevilla auftreiben. Bei Edeka wurde mir auf die Frage, ob es schon Orangen aus Sevilla gibt, knapp und frech geantwortet: „Wat denn? Sevül Orangchen?“ Fehlte noch, dass mir ein Vogel gezeigt wurde. Stattdessen wurden mir Pomeranzen vorgeschlagen, diese bitteren dicken Orangen, die man nur im Januar findet und die den Flamenco- Charme ihrer Schwestern aus Sevilla vermissen lassen. In England sind die Orangen aus Sevilla das Äquivalent zum Beaujolais Nouveau in Frankreich und zum Spargel in Deutschland. Man bekommt sie nur kurze Zeit, und ihre Ankunft wird von kollektivem Jubel begleitet. Das Ereignis verlangt schnelles und tatkräftiges Handeln im Herbst.

Schon in der ersten Zeile entschuldigt sich die Londoner Freundin, die mir das Rezept geschickt hat: „Nimm mir die wortreiche Beschreibung nicht übel, es ist ein altes Familienrezept, das noch nie aufgeschrieben wurde, deshalb habe ich mich in den Erklärungen etwas verfranst.“ Allerdings! Während ich mich durch das dichte Labyrinth von Anweisungen kämpfe, denke ich mit einer gewissen Zärtlichkeit an den General. Hatte er die weiblichen Talente nicht stark unterschätzt?

Aus dem Französischen übersetzt von Elisabeth Thielicke.

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