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Meinung: Mehr Neoliberalismus wagen

Joachim Gaucks Forderung nach mehr Wettbewerb kommt gerade richtig

Das hatten sich Angela Merkel und Sigmar Gabriel bestimmt anders vorgestellt. Als sie vor bald zwei Jahren Joachim Gauck zum Bundespräsidenten machten, wollten sie in erster Linie einen integren Mann, der die Deutschen in bewegter Zeit eint. Vor allem sollte er nicht, anders als seine beiden Vorgänger, unterwegs abhandenkommen und unnötig Ärger bereiten. Dafür schien Gauck, der beliebte Pastor aus dem Osten, genau der richtige Mann zu sein.

Und nun stellt sich dieser Präsident hin und predigt ausgerechnet den Wert der Freiheit, die Vorzüge von Markt und Neoliberalismus. Ganz so, als habe es die Verheerungen durch die Finanzkrise und die krachende Wahlniederlage der FDP vor knapp vier Monaten überhaupt nicht gegeben.

Doch Gaucks Hinweise kommen zur rechten Zeit. Nicht nur, weil die neue Bundesregierung mit dem Wettbewerbsgedanken fremdelt und sich lieber um mehr Umverteilung kümmert, um Mindestlöhne und neue Vorschriften. Sondern weil ein Prinzip unter die Räder zu geraten droht, oder, wie Gauck es nennt, eine „Haltung“.

Es geht um das Prinzip, dass Wettbewerb an sich keine Bedrohung ist. Sondern ein Instrument, das Menschen Chancen eröffnet. Freiheit und Wettbewerb sind die zentralen Pfeiler der sozialen Marktwirtschaft, sie haben den Aufstieg der Bundesrepublik nach dem Krieg erst ermöglicht, nicht allein in wirtschaftlicher Hinsicht. Joachim Gauck musste als DDR-Bürger darauf verzichten, deshalb sind für ihn diese Institutionen heute so zentral.

Doch es kommt immer auf den Kontext an. Kann ein Bundespräsident heute die Väter der Sozialen Marktwirtschaft, Walter Eucken und Alfred Müller-Armack, für ihr Werk loben – während Millionen Menschen noch immer unter den Folgen einer Krise leiden, die ihren Ursprung in einer Entfesselung des Marktes hat? Hat er vergessen, dass Horst Köhler, sein Vor-Vorgänger, das Finanzsystem noch als „Monster“ bezeichnet hat?

Sicher nicht. Gauck erinnert zu Recht daran, dass „Neoliberalismus“ für viele Marktskeptiker zum Kampfbegriff geworden ist. Dabei galt er nach dem Krieg als ein Gegenkonzept zur Herrschaft der Kartelle und zu einer Oligarchie, die den Wohlstand hemmte. Zwar gab es radikale Vertreter der Strömung, die für „Laissez-faire“ plädierten – die Ökonomen der Chicagoer Schule oder den Österreicher Friedrich August von Hayek. Für die deutschen Anhänger dieser Schule waren aber eine Begrenzung wirtschaftlicher Macht zentral, Chancengleichheit und das Prinzip, dass jeder für die Folgen seines Tuns einstehen muss.

Diese Grundsätze sind brandaktuell. Denn nicht der Neoliberalismus an sich produziert Krisen, sondern eine Politik, die nicht die nötigen Regeln setzt. „Ungerechtigkeit gedeiht dort, wo Wettbewerb eingeschränkt wird, durch Protektionismus, Korruption oder staatlich verfügte Rücksichtnahme auf Einzelinteressen“, sagt Gauck. Wer denkt da nicht sofort an Hoteliers und ihre Mehrwertsteuer-Privilegien, an übermächtige Banken, an die Lobbyisten in Berlin, die ihre Milliarden-Subventionen zäh verteidigen? Der Präsident hat recht: Etwas mehr Neoliberalismus würde dem Land guttun. Es sollte Merkel und Gabriel zu denken geben, dass ausgerechnet ein Mann mit DDR-Vergangenheit dies anmahnt.

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