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Lesermeinung: Von ideologischen Deutungen überlagert

„Eine Art von Trauergottesdienst“, 10. AprilEs erstaunt immer wieder aufs Neue, auf wie vielen Ebenen gleichzeitig der Streit um die Garnisonkirche geführt wird.

„Eine Art von Trauergottesdienst“, 10. April

Es erstaunt immer wieder aufs Neue, auf wie vielen Ebenen gleichzeitig der Streit um die Garnisonkirche geführt wird. Ein wesentlicher Aspekt der Auseinandersetzung ist die Deutung des fotografisch abgelichteten Moments, in der sich der Abgeordnete Hitler in einer ganzen Reihe von Abgeordneten vom Reichspräsidenten Hindenburg verabschiedet. Castans Film wie auch Sabrows historischer Befund weisen darauf hin, dass die geläufige Deutung vom Schulterschluss konservativer und nationalsozialistischer Kräfte oder – dramatischer – von der durch militaristisch-preußischer Adel dem faschistischen Verbrecher verliehenen bürgerlichen Ehren, der nationalsozialistischen Inszenierung von der Fortsetzung friderizianischer Führerschaft aufsitzt. Dieser Mythos konnte im Sozialismus weiter kultiviert werden, natürlich mit umgekehrten Vorzeichen. Der Handschlag wurde so zu einer willkommenen Negativfolie für den eigenen im Parteiabzeichen abgebildeten und (ver)klärte damit den moralischen Anspruch unter neuer Führerschaft. Ein Mythos, der jedenfalls den Einzelnen zu einem willfährig Verführten und immer Verführbaren herabwürdigt, dessen einzige Verantwortung darin besteht, sich der richtigen Führung zu unterstellen. Die Rede von der selbst verschuldeten Unmündigkeit drängt sich hier auf. Wer dieses Argument gegen den Neuaufbau weiterträgt, sollte sich klar darüber sein, auf welchem Acker er gräbt und was das für Früchte bringt.

Verständlicher als Streitpunkt ist da schon die Angst über die zu große Nähe von Kirche und Staat. Auch wenn da die Garnisonkirche eher herhalten muss, denn dafür verantwortlich ist: Sie ist nur ein Beispiel unter vielen. Oder die Sorge, ob das Geld nicht sinnvoller eingesetzt werden könne. Eine Frage des Budgets, nicht aber zentrale Frage nach Sinn oder Unsinn des Aufbauprojekts. Oder die Frage, ob die Kirchenlandschaft nicht bereits gut aufgestellt ist für die Zukunft. Immerhin ungewöhnlich ist es, eine Kirche bauen zu wollen, ohne dafür eine gemeindliche Notwendigkeit vorzufinden. Allerdings ist mit dem Ziel, einen Raum der Versöhnung zu schaffen, kein besserer innerstädtischer Ort zu finden.

Der Streit um die Garnisonkirche ist in meinen Augen eine Chance. Und die Brache unter dem sozialistischen Mosaik ist das Feld, auf dem diese Auseinandersetzung geführt werden muss. Die Fragen nach der Bedeutung des Bauwerks und der Umgang mit den Urteilen, die wir über geschichtliche Ereignisse haben, bis hin zur Feststellung, dass ein Ausweis des Menschlichen seine Fähigkeit zum Irrtum ist, sind Beiträge, die Versöhnung möglich machen.

Es ist schade, dass diese Auseinandersetzung erst jetzt geführt und von ideologischen Deutungen überlagert wird. Es ist schade, dass in dem Beitrag der kurze emotionale und (Verzeihung, Herr Castan) fast melodramatische Moment eines ansonsten sehr erhellenden und aufklärerischen Films in den Vordergrund gerückt wird. Auf die Wiederholung persönlicher Betroffenheit des ehemaligen Pfarrers der Stumpfkirche hätte ich gern vollständig verzichtet. Ein Beitrag zur Auseinandersetzung war sie jedenfalls nicht.

Daniel Petters, Potsdam

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