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Lesermeinung: Verzeihen und differenzieren

„Annährungen an den Nationalsozialismus“ vom 28. SeptemberIch hätte mir in meinem Leben nicht träumen lassen, Erich Honecker in Schutz zu nehmen.

„Annährungen an den Nationalsozialismus“ vom 28. September

Ich hätte mir in meinem Leben nicht träumen lassen, Erich Honecker in Schutz zu nehmen. Das Interview „Annäherung an den Nationalsozialismus“ mit Martin Sabrow fordert geradezu heraus. Was maßt dieser Historiker sich eigentlich an, über einen Menschen zu urteilen, der Widerstand gegen das NS-System getan hat und dafür zehn Jahre im Zuchthaus einsaß? Es ist erstaunlich, dass Honecker das unter diesen unmenschlichen Bedingungen überlebt hat. Es steht uns Nachgeborenen überhaupt nicht zu, über Ereignisse unserer Vorfahren zu richten! Jeder sollte sich fragen, wie hätte ICH in dieser unmenschlichen Zeit gehandelt? Geschichte kann ausschließlich nur aus ihrer Epoche betrachtet werden. Das sollte ein renommierter Historiker, wie Herr Sabrow immer dargestellt wird, eigentlich wissen. Alle Widerstandskämpfer und Opfer der NS-Zeit werden mit Recht nachträglich gewürdigt. Honeckers „Vergehen“ war, dass er Kommunist gewesen ist.

Zweifellos war Honecker ein umstrittener Politiker, aber auch im Westen gab es einige dieser Sorte. Ich war alles andere als ein Freund der DDR: Ich habe fast 30 Jahre bei der evangelischen Kirche gearbeitet und war damit kein Privilegierter. Im Gegenteil: Ich habe, soweit es möglich war, Kritik geübt. Ich bin parteilos und habe mit der Linken so manche Probleme.

Herrn Sabrow empfehle ich, nächste Woche nach Herrmanswerder zu kommen, wo der Pfarrer Uwe Holmer, damals Leiter in Lobetal, über seine Zeit 1990 mit Honeckers sprechen wird. Holmer hatte überhaupt keinen Grund, diesen Asyl zu gewähren! Das ist ein Beispiel von echtem Verzeihen. Und nicht nachträgliches Urteilen eines Siegers der Geschichte, wie Herrn Sabrow.

Gerhard Petzholtz, Potsdam

Die These von Martin Sabrow führt zu weit. Denn auch wenn es sich beim Kommunismus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts um eine besonders starke Ideologie gehandelt hat, erscheint es etwas zu einfach, gerade von den Akteuren, die während der NS-Herrschaft inhaftiert waren, zwingend eine Märtyrerbereitschaft zu erwarten. Schließlich liegt es auf einer menschlichen Ebene nur sehr nahe, dass Personen, die sich in einer schier ausweglosen Situation befinden, äußerst viel dafür tun, um ihre Haut zu retten. Deshalb sollte man hier differenzierter argumentieren, was beim gesamten Buch ja auch gemacht wird, und weder die falschen Maßstäbe der geglätteten SED-Biographien noch jene der heutigen Zeit zum Aufzeigen einer „Doppelmoral" an das damalige Verhalten anlegen.

Rasmus Ph. Helt, Hamburg

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