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Lesermeinung: Potsdams Mitte und die Fachhochschule

Zur Besetzung und Räumung der Fachhochschule in Potsdams Mitte am 13. Juli und der folgenden Debatte:Im sozialen Bereich ist es unter anderem rechtens, einem Erziehungsberechtigten eben dieses Recht zu entziehen, wenn er seine daraus wachsenden Pflichten zur Fürsorge sträflich vernachlässigt.

Zur Besetzung und Räumung der Fachhochschule in Potsdams Mitte am 13. Juli und der folgenden Debatte:

Im sozialen Bereich ist es unter anderem rechtens, einem Erziehungsberechtigten eben dieses Recht zu entziehen, wenn er seine daraus wachsenden Pflichten zur Fürsorge sträflich vernachlässigt. Bei akuter und massiver Verletzung der Fürsorgepflichten kann mit sofortiger Wirkung eingegriffen werden. Versuchen wir eine Analogie: Der Fachhochschul-Gebäudekomplex wurde von den Verantwortlichen systematisch und massiv vernachlässigt. Da auch staatliche Instanzen bisher nicht eingeschritten sind, sollte er umgehend in die Hände fürsorgender Bürger (Vereinigungen) überführt werden. Die bisher Verantwortlichen haben jegliches Verfügungsrecht verwirkt.

Aus dieser Sicht wäre die „Besetzung“ eine notwendige Sofortzwangsmaßnahme. Und die Anstreich-Aktion ein – vorerst symbolischer – Akt der Schadensbegrenzung; eine Strafanzeige illegitim und gegenstandslos, wohlwollend bestenfalls ein Schildbürgerstreich. Und die Polizei stand – falls überhaupt notwendig – auf der falschen Seite.

Horst Hilzbrich, Kleinmachnow

40 bis 50 Protestierer, überwiegend Studenten, haben die Fachhochschule, ihren gewohnten „Lern- und Studienort“ besetzt, weil sie mit der Entscheidung, das Fachhochschulgebäude abzureißen, nicht einverstanden sind. Diese Auseinandersetzung wird an der Fachhochschule nicht akademisch unter anderem in Form einer Diskussion ausgetragen, wie das bei ähnlichen Anlässen üblich ist, sondern die Polizei geholt, die mit 180 Beamten die Hochschule räumt. Niemandem wäre ein Schaden entstanden, wenn die Besetzer dort etliche Tage auf ihr Begehren aufmerksam gemacht hätten.

Als Steuerzahler fragt man sich, was die Verantwortlichen zu diesem völlig unverantwortlichen Verhalten gebracht hat. Hier werden öffentliche Mittel verschleudert, der demokratischen Diskussion ein Bärendienst erwiesen und Polizisten völlig überflüssig strapaziert.

Ekkehart Schöll, Potsdam

Der Abriss der Fachhochschule Potsdam wäre nicht nur ein städtebaulich-architektonischer Fehler, sondern auch ein Versagen jeglicher ökonomischer und ökologischer Vernunft. Außerdem birgt er ein so hohes Schadensrisiko für das Umfeld, also auch für Kirche und Schloss, weil die unterirdischen Gebäudeteile bombensicher gebaut sind und die notwendigen Sprengungen nicht ohne Auswirkung auf die umliegenden Gebäude ausgeführt werden können. Ich bin kein sogenannter Besserwisser oder Berufsprotestierer. Seit 50 Jahren arbeite ich im Bereich Stadt- und Gebäudesanierung, habe schon erfolgreich und mehrfach ausgezeichnet Stadtsanierungsprojekte und Großobjekte realisiert. Bei der Initiative „Potsdamer Mitte neu denken“ habe ich mitgearbeitet und dort in wochenlanger Arbeit nachweisen können, dass im Bestand sowohl ein sehr gutes Dienstleistungs- und Einkaufszentrum im EG als auch außergewöhnliche Wohnungen in den Obergeschossen untergebracht werden können und dass die Kosten für Abriss und Neubau höher sind als für Sanierung und Umnutzung des Bestandes. Auch die gestalterische Qualität des Gebäudes, jetzt durch Versäumnisse bei der Unterhaltung und Pflege und den eigenartigen Dachaufbau sehr beeinträchtigt, ließe sich durch wenige bauliche und gestalterische Maßnahmen sowie durch eine einfache Instandsetzung der Fassade wie selbstverständlich in das Stadtbild integrieren. Ich schreibe diesen Brief nicht, um Werbung für mich zu machen. Ich bin über 80 Jahre alt und habe nicht mehr vor, an so großen Projekten zu arbeiten.

Detlef Grüneke, Werder (Havel)

Die Diskussion über die Potsdamer Mitte ist fast so alt wie ich selbst und es scheint fast so, dass sie mit fast 30 Jahren in ihre erste Midlife-Crisis kommt. Nach dem abgelehnten Bürgerentscheid Mitte des letzten Jahres und der darauf folgenden Anpassung der Sanierungsziele im alten neuen Stadtzentrum von Potsdam hoffte man, die Gemüter befriedet zu haben. Ich muss ehrlich zugeben, auch ich habe eher zwecks Erhalt des Mercure-Hotels denn der Fachhochschule oder des Staudenhofs unterschrieben. Nichtsdestotrotz scheint es, als wenn die Frage über die zukünftige Identität des Zentrums der Landeshauptstadt nach wie vor ein fortwährender Findungsprozess ist. Aber wie könnte es auch anders sein?

„Zwischen nicht mehr und noch nicht“ – dieser Spruch stand damals auf einer literarischen Beigabe zu meiner Jugendweihe. Und auch wenn diese Zeit für die Potsdamer Mitte schon lange vorbei ist, so hat sie ihre Identität noch nicht gefunden. Der Diskussionsprozess und die Bürgerbeteiligung rund um die zukünftige Gestalt des neuen „Zentrums“ haben in den letzten Jahren gezeigt: Die Persönlichkeitsbildung ist ein fortwährender Prozess. Es gilt jedoch, demokratische Entscheidungen anzuerkennen und in diesem Sinne ist die Besetzung der Fachhochschule vor allem eins: undemokratisch und schädigend für die Stadtgesellschaft.

Die Initiatoren der Besetzung berufen sich darauf, dass ihre Aktion das letzte Mittel sei, um den öffentlichen Raum zu schützen. Fakt ist aber auch: Strafbare Handlungen fördern nicht die demokratische Diskussion und Abwägung unterschiedlicher Meinungen in der Stadtentwicklung. Sie bewirken genau das Gegenteil, sie fördern und verhärten individuelle Standpunkte und führen dazu, dass die Personen sich voneinander entfernen und nicht annähern.

Stadtentwicklung ist niemals einfach – sie ist eine ständige Diskussion, Abwägung und Kompromissfindung. Städtebau ist keine Frage der persönlichen Wahrnehmung von Ästhetik, sondern Ausdruck des Zeitgeistes und der Verbindung von der gebauten Wirklichkeit zu ihrem Umfeld unter Berücksichtigung der aktuellen Anforderungen an den öffentlichen Raum, das Verhältnis von Licht und Schatten sowie einem menschlichen Maßstab. Es ist sicherlich streitbar, inwiefern ein historischer Stadtgrundriss in der Potsdamer Mitte diese Anforderungen erfüllt. Dennoch ist anzuerkennen, dass hier Räume entstehen sollen, welche Wohn- und Arbeitsräume für alle Teile der Stadtgesellschaft schaffen.

In diesem Kontext scheint die Analogie zur Midlife-Crisis ganz treffend. Der demokratische Willensbildungsprozess ist abgeschlossen, die Ziele sind klar und wohin die Richtung gehen soll auch, nur ob das Ergebnis einen ganz individuell zufriedenstellt, das muss die Zeit zeigen.

Der Stadt ist in diesem Zusammenhang auf jeden Fall zu wünschen, dass sie ein glücklicheres Händchen aufweist als bei der Auswahl des Entwurfs für die neue Schwimmhalle am Brauhausberg. Aber wer weiß, vielleicht ist die Meinung über diese in ein paar Jahren auch schon wieder eine ganz andere. Denn auch dieses „neue“ Quartier muss erst zu sich selbst finden und ist, wie so vieles in Potsdam, in einem Prozess zwischen nicht mehr und noch nicht.

Ken Gericke, Potsdam

Zum Kommentar „Demokratie nicht verstanden“ vom 14. Juli:

Da gehen unsere Kenntnisse und Auffassungen von Demokratie offenbar weit auseinander. Zur wirklichen Demokratie gehören neben Legislative, Exekutive und unabhängiger Jurisdiktion schließlich auch Bürgerentscheide und eine wirklich unabhängige Presse ohne einseitige Stigmatisierung und Pauschalisierung. Beides durfte ich in der Brandenburgischen Hauptstadt mit ihrem immer noch preußisch-bürgerlich und autoritär geprägten Machtgefüge in den vergangenen 15 Jahren leider viel zu wenig erfahren. Einen Bürgerentscheid zum konkreten Umgang mit dem FH-Gebäude und zur Entwicklung der Stadtmitte hat es in meiner Erinnerung nie gegeben, diese für Potsdam so wichtigen Entscheidungen sind weitgehend ohne Beteiligung der Bürger gefällt worden. Davon abgesehen ist es weltfremd, zehn bis 15 Jahre im Voraus über das Schicksal eines so zentralen, wenn nicht des wichtigsten städtebaulichen und stadtfunktionalen Standortes entscheiden zu wollen, ohne die weitere Entwicklung in der Folge zu berücksichtigen. Bedauerlicherweise wurden die Freiräume in der Stadt seitdem stark weiter dezimiert, es gibt zu wenig Möglichkeiten der Selbstentfaltung von Stadt und Bürgern. Alles wird gelenkt, (fast) alles wird der kommerziellen, meistbietenden Verwertung unterworfen. Die Folge wäre eine museale Stadt ohne nennenswertes eigenes Leben.

Aber zum Glück gibt es die Initiativen, wollen viele Bürger ihre Stadt selbst beleben und suchen die entsprechenden Freiräume. Die FH mit ihrer eleganten Architektur wäre ein wunderbarer Ort mit einer lebendigen Geschichte, den es zu diesem Zweck zu erhalten gilt. Es waren ganz alleine die FH und ihre Studenten, die die Stadtmitte über Jahrzehnte lebendig gehalten haben. Nun bietet sich die Chance einer lebendigen Weiterentwicklung des Standortes, die es zu denkbar geringen Kosten zu ergreifen gilt! Wenn eine angemessene Bürgerbeteiligung nicht auf konventionell-demokratischem Wege passiert, braucht es eben andere Formen, und zu denen gehört auch der (ebenfalls in der Demokratietheorie verankerte) „zivile Ungehorsam“, wie die Besetzung. Nachzulesen zum Beispiel bei Hannah Arendt.

Axel Dierich, Potsdam

Respekt und Anerkennung zu Ihrem glasklaren Kommentar – genauer lässt es sich nicht auf den Punkt bringen! Leider ist es so, dass verzögerte Umsetzungen von Plänen immer Probleme bringen. Die Fachhochschule ist ein Paradebeispiel: Vor zehn Jahren hätte es diese Zuspitzung nicht gegeben. Inzwischen weiß kaum noch jemand, welche Rolle und welche Motivation gerade der Umgang mit der Bausubstanz des historischen Potsdams bei der friedlichen Revolution 1989 gespielt hat! Außerdem empfehle ich jedem, auf den Turm des Heilig-Geist-Stifts zu fahren und sich die Stadt anzusehen. Wer dann noch behauptet, die Architektur der DDR würde beseitigt, der hat diese bestimmten Früchte auf den Augen!

Christian Seidel, Potsdam

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