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Leserpost: Bürgern mehr Mündigkeit zutrauen

Soll man Bücher mit neurechten Verschwörungstheorien aus den Sortimenten öffentlicher Bibliotheken verbannen? 

„Umstrittene Bücher in der Bibliothek“ vom 27. Dezember

Ich habe den Bericht mehrmals gelesen, weil ich nicht glauben wollte, was da stand. Es war wie ein Déjà-vu-Erlebnis. In welchem Land, in welcher Stadt, in welcher Zeit lebe ich eigentlich, fragte ich mich verwundert. Mein Mann, gelernter Bibliothekar, hat die Verbreitung des Braunbuchs über den Reichstagsbrand 1933 mit vier Jahren Zuchthaus, anschließend KZ und Strafbataillon bezahlt. In der DDR wurde er wegen seines Einsatzes für Meinungsfreiheit mehrmals schwer gemaßregelt und starb schließlich nach seinem letzten Parteiverfahren wegen der aus der BRD mitgebrachten Bücher, u. a. Solschenizyns „Archipel Gulag“ und Rosa Luxemburgs „Die russische Revolution“, an einem Herzinfarkt. Als Studentin der Kulturwissenschaft an der Humboldt-Uni scheiterte ich regelmäßig an dem "Giftschrank" der Staatsbibliothek, wenn ich Bücher wie Egon Friedells "Kulturgeschichte der Neuzeit" oder Titel von Arnold Toynbee entleihen wollte. Weder der Nationalsozialismus noch der Sozialismus gewährten die Freiheit der Gedanken, der Rede, der Presse. „Freiheit des Andersdenkenden“ war eine Hauptforderung der Bürgerbewegung in den 80erJahren, die wir mit dem Mauerfall endlich, endlich erreicht zu haben glaubten. Und jetzt kommen wieder wie einst sich als Volkserzieher aufspielende Ideologen daher, die uns diesmal im Namen von Toleranz und Demokratie das Denken abgewöhnen und uns vor dem "Bösen" bewahren wollen. Bücher, die ihrer beschränkten Weltsicht widersprechen, werden einfach als rechtsextrem verteufelt. Von dem italienischen Schriftsteller Ignazio Silone (1900–1978) stammt das Wort: „Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: ,Ich bin der Faschismus.’ Nein, er wird sagen: ,Ich bin der Antifaschismus.’“

Sigrid Grabner, Potsdam

Mit Interesse habe ich Ihren Artikel über die „neu-rechten“ Bücher in der Stadt- und Landesbibliothek (SLB) gelesen. Ich finde das Engagement gegen menschenverachtende und Verschwörungstheorien ja sehr löblich, aber denke, dass es hier einen Schritt zu weit geht.

Erstens hat eine öffentliche Bibliothek den Auftrag, dass sie so bestückt ist, dass sich der normale Bürger seine eigene Meinung über unterschiedlichste Themen bilden kann. Was wäre denn die Alternative zu der Anschaffung eines Leihexemplares? Dass sich jeder Interessierte die Bücher selber kauft und somit die Autoren noch unterstützt? Das kann es ja wohl nicht sein

Noch bedenkenswerter aber finde ich die Grundargumentation in diesem Beitrag: Ohne zu wissen, um welche Inhalte es geht, finde ich es krass, dass aufgrund eines aktuell angesagten Weltbilds eine andere Ideologie oder Weltanschauung „verboten“ oder sagen wir mal „zurechtgestutzt“ werden soll. Meines Erachtens ist genau das der Weg hin zu einem ungesunden Gesellschaftskonsens. Immer dann, wenn man andere Meinungen (und wenn sie noch so quer im Stall stehen) verbietet oder aus den Meinungsforen verbannen will, dann erlaubt man keine ernsthafte Auseinandersetzung damit. Ich, als normaler Bürger Potsdams, traue mir durchaus zu, diese Bücher zu lesen und den darin geäußerten Verschwörungstheorien nicht auf dem Leim zu gehen, sondern mir eine eigene Meinung zu bilden. Und da brauche ich keinen „Schutz“ von einem selbsternannten Ideologiejäger. Der SLB wäre ich (wenn ich denn diese Bücher überhaupt lesen wollte) sehr dankbar, dass ich das Buch dort leihen kann und nicht kaufen muss.

Es würde mich freuen, wenn sie in dieser Angelegenheit den Bürgern von Potsdam ein bisschen mehr Mündigkeit zutrauen.

Christoph Funk, Potsdam

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