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LEICHTS Sinn: Eine ganz andere Weihnacht Die Hirten tranken weder Sekt noch Glühwein

Wenn man sich über den alljährlichen Weihnachtsrummel verstimmt zeigt, gilt man schnell als Spielverderber. Kein Wunder, denn der Rummel funktioniert ja nur, weil die Leute sich freiwillig darauf einlassen – auch wenn sie bisweilen die Angst ankommt, auf den Weihnachtsmärkten erdrückt zu werden.

Wenn man sich über den alljährlichen Weihnachtsrummel verstimmt zeigt, gilt man schnell als Spielverderber. Kein Wunder, denn der Rummel funktioniert ja nur, weil die Leute sich freiwillig darauf einlassen – auch wenn sie bisweilen die Angst ankommt, auf den Weihnachtsmärkten erdrückt zu werden.

Wohl wahr, es wirkt wie Sauertöpferei, wenn man diesen überteuerten Massenausschank an miserablem Glühwein tadelt, die vielen verbrannten Bratwürste, den Verkauf von Deko-Schrott. Aber es ist ja nicht nur der Trivialkommerz, den man mit elitärem Abstand auch eher komisch finden könnte. Denn, wie Franz Josef Strauß gesagt haben würde, es feiert der Konsumrausch nicht nur auf der „Leberkäs-Etage“, sondern auch auf der „Champagner-Suite“ Urständ.

Für mich fängt dieser Veitstanz bereits an, wenn an den Bushaltestellen ab Mitte November alle Jahre wieder die Models mit den minimalisierten Dessous plakatiert werden, als handle es sich bei diesen luftigen „petits riens“ um klassische Winterware – wo unsereins sich schon seit Kindheitstagen mit dem Kälteeinbruch eher nach langen Unterhosen umsah.

Doch jedem Tierchen sein Pläsierchen! Wenn nur nicht das ganze Treiben der Sache selber total zuwiderliefe. Die Weihnacht ist nämlich das blanke Gegenteil dessen, was wir aus Weihnachten gemacht haben. Und selbst in den Kirchen traut man sich nur selten, das mit der gebotenen Deutlichkeit zu sagen, denn wer will schon die Einmal-Christen, die gerade noch an Heiligabend vorbeikommen, vor den Kopf stoßen? Aber vielleicht sollte man ebenso deutlich wie freundlich die Wahrheit sagen, anstatt ungewollt Beihilfe zu leisten zu jahreszeitlichen, ein wenig christlich verbrämten Sentimentalitäten. Und vielleicht hätte man den Hörern dann auch etwas zu sagen, nämlich etwa dieses:

Die Weihnachtsgeschichte erzählt das ganz und gar Andere. Der Autor, den wir Lukas nennen, schreibt ungefähr 60 Jahre nach der Ermordung des wehrlosen, ehrlosen Jesus am Kreuz auf, wie er sich vorstellt, dass dieser Mann, an den er als den Gekreuzigten, Auferstandenen und Retter der Welt glaubt, in diese Welt gekommen ist. Und siehe da, wie das Ende, so der Anfang: niedrigst und verachtet! Dass ausgerechnet dieses Bettelkind, dass diese ausgepeitschte, angespuckte und ans Kreuz genagelte Kreatur wirklich Gottes Sohn gewesen sein soll, muss für die Menschen der Antike, muss für die ersten Leser des Evangeliums eine durch nichts zu überbietende Provokation gewesen sein. Wir können uns diese Wucht der Umwertung aller Werte kaum noch vorstellen – und wir können sie aus unserer Art, Weihnachten zu feiern, auch nicht mehr heraushören.

An Weihnachten feiert sich heutzutage eine verbürgerlichte Gesellschaft selber, mit den jahreszeitlich gebotenen Stimmungsaufhellern. Aber die ersten Hörer des befreienden Rufs „Fürchtet euch nicht!“ – das waren die Ausgestoßenen der damaligen Zeit, die schlechter als mit Hartz IV gestellten, groben, unterbezahlten – und wohl auch zuweilen (klein-)kriminellen – Hirten, die nächtlings in der Saukälte Schafe, die ihnen nie gehörten, vor den wilden Tieren zu schützen hatten. Gerade noch drei kluge Ausländer zieht es von weit her zu dieser Geburt.

Wenn wir uns auf diese Geschichte wirklich einließen, käme uns der allgegenwärtige Weihnachtsrummel nicht nur ästhetisch fragwürdig vor. Aber diese Geschichte versteht man wohl nur, wenn man sich kleiner und ärmer macht und machen lässt, als wir dies alle gerne sein wollen.

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