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© Ottmar Winter

Kolumne | PYAnissimo: Sex und Bratkartoffeln

Endlich mal wieder Saltimbocca bei Signore oder Tafelspitz auf dem Pfingstberg - dafür würde sich unsere Kolumnistin sogar ein Teststäbchen in die Nase rammen.

Wenn ich meinen eigenen Kindergeburtstag feierte, musste es auch Eis geben. Erst Torte und Malzkaffee, abends Schnittchenplatte als Rausschmeißer. Und dazwischen dicke Eisbecher. Um das etwas abwechslungsreicher zu gestalten, kamen meine Eltern auf die Idee, dass wir Kinder Eisdiele spielen könnten. In die Küchentür wurde ein Tisch gestellt, dahinter stand eine von uns als Eisverkäuferin – es war mangels Personal Selbstbedienung. 

Die Eisverkäuferin wachte über ein Arsenal von Herrlichkeiten und Zubehör: ein Turm Kompottschälchen, bunte Plastiklöffel, zwei Eissorten, Schoko und Vanille, ein Topf Schlagsahne, kostbare Dosenananas aus dem Westen, Pflaumenkompott aus eigener Herstellung und bunte Streusel. Die anderen Mädels standen in einer Schlange an und wer dran war, durfte seine Zutaten auswählen. Mit dem Eisbecher setzte man sich dann an einen der zwei Kinderzimmertischchen.

Gastronomie im Wohnzimmer! Und jeder wollte am liebsten Eisverkäuferin sein, weil man da so nett aussah. Die Eisverkäuferin trug eine sogenannte Ungarnbluse, ein Top mit Puffärmeln und Folklorestickerei, und bekam eine Schürze mit Rüschen umgebunden. Aber auch als Gast war es großartig – wir waren sieben oder acht Jahre alt und fühlten uns so erwachsen.

Es schmeckt zwar, aber...

Vielleicht kriege ich die Choreografie ja noch mal zusammen für ein Remake. Weil mir das Ausgehen in Cafés und Restaurants langsam wirklich schmerzhaft fehlt. Wir haben es mit Abholung versucht, aber das machte es nur noch schlimmer, denn man steht am Ort der Begierde auf der Schwelle, es duftet so gut, die Kellner scherzen und nennen einen beim Namen, buona sera, wie geht’s – ach, alles ist zum Greifen nah, aber man darf nicht hinein. Zu Hause isst man aus der Alufolie, weil es sonst zu schnell kalt würde, und man wird zwar satt, aber nie schmeckt es auch nur halb so gut wie bei Signore.

Was soll nur werden? Jahrelang habe ich mir mühsam antrainiert, das Weinglas nur am Stiel anzufassen, und jetzt klemmen wir mit halben Arschbacken auf dem Fensterbrett einer Imbissbude, neben dem Schild „Hier bitte nicht sitzen“, um wenigstens den Anschein einer Beherbergung zum Verzehr heraufzubeschwören. Kinder sitzen mit Eiswaffeln auf der Bordsteinkante, wie damals im Osten. Kein Tisch zu kriegen, alles reserviert. Wenn man überhaupt rein kam. 

Steffi Pyanoe ist freie Mitarbeiterin der PNN. Sie lebt in Babelsberg.
Steffi Pyanoe ist freie Mitarbeiterin der PNN. Sie lebt in Babelsberg.

© Sebastian Gabsch

Der Schriftsteller Eugen Ruge schreibt im Potsdam-Roman „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ über den Versuch von Vater (aus Potsdam) und Sohn (aus Berlin), im Winter 1979 in Berlin irgendwo einzukehren: „Gaststätte Vineta. An der Tür hing ein handgemaltes Schild: Wegen technischer Probleme geschlossen. Auch das Restaurant auf der anderen Straßenseite war geschlossen: Montag Ruhetag…. Goldbroilergaststätte. Neonlicht und Tische aus Sprelacart. 

Die Schlange ging bis vor die Tür. ,Mein Gott, hier muss es doch irgendwo was zu essen geben‘, sagte Kurt. ,Balkan Grill‘, sagte Sascha … die Gaststätte war voll besetzt. ,Wie lange warten Sie schon‘, fragte Sascha das Paar, das vorn in der Reihe stand. ,Treißisch Minuden‘… ,Is ja allet zu‘, ergänzte ein anderer Mann, wejen de Energiekrise!“

Potsdam kommt, gastronomisch, in dem Buch gar nicht vor, bis auf einen Diskoabend in den legendären Weinbergterrassen, heute eine Ruine. Kurt fährt 1979 auf dem Rückweg von Berlin bei seiner Geliebten in Potsdam-West vorbei. Für Sex – und Bratkartoffeln.

Dagegen ist nun nichts zu sagen. Aber für ein Saltimbocca bei Signore, Tafelspitz auf dem Pfingstberg oder Currywurst plus frisch Gezapftes bei Hiemke würde ich mir sogar ein Teststäbchen in die Nase rammen. Soll ja schnell gehen. Treißisch Minuden. Höchstens.

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