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Immerhin: Weihnachtliche Beleuchtung gibt es in Potsdam.

© ZB

Kolumne | Pyanissimo: O du fröhliche 50 Cent

Es muss nicht immer die volle Dröhnung zu Weihnachten sein. Auch ohne Glühweinstand und Blaskapelle kommt Stimmung auf. Der Zauber liegt manchmal im Kleinen.

Mein erster Weihnachtsmoment in diesem Jahr kam unverhofft.  Gesucht habe ich ihn nicht, wo soll man auch suchen, dachte ich, wenn es nichts gibt. Kein Markt, keine Beschallung, kein Gedränge. Kein Bukett aus Frittieröl und verkochendem Glühwein. Selbst das Wetter – uneindeutig. Und als ich am alten Babelsberger Rathaus vorbeilief, vermisste ich meine Turmbläser. Vom Himmel hoch, da kam nichts her – ich hatte sie so sehnlichst erwartet.
Mein Ziel war der Kurzwarenladen in der Garnstraße, ein familiengeführtes aus der Zeit gefallenes Geschäft, das es irgendwie schon immer gab. 

So ein Dings zum Einfädeln

Ich suche so ein Dings zum Einfädeln, sagte ich zu der Verkäuferin und zeigte dabei mit den Fingern den Abstand von drei Zentimetern. Sie wusste sofort, was ich meinte. 50 Cent, sagte sie, und reichte mir den Einkauf. Das Papiertütchen mit dem fragilen Teil in der Hand, verweilte ich noch einen Moment zwischen all dem Näh- und Strickzubehör, es gab auch einen Kleiderständer mit Nachtwäsche, ein Regal mit Strumpfhosen und bequemer Unterwäsche. Hier und da Schnickschnack und im Eingang eine Art Katzentisch mit Sonderposten: Spielzeug und Kinderbesteck. Als ich gerade gehen wollte, nahm ich plötzlich die leise Weihnachtsmusik im Hintergrund wahr. „O du fröhliche“ sang ein Chor ganz klassisch. Und es klang genau wie die Musik aus Loriots Weihnachtssketch.

Früher war alles besser?

Das haute mich um. Mitten im Kurzwarenkosmos mit der Anmutung der 1970er-Jahre erinnerte ich mich an das Weihnachtsgefühl meiner Kindheit. An kleine aber erfolgreiche Einkäufe wie diese, an seltsame Gemischtwarenläden mit wuchtigen Tresen unter zweckmäßiger Beleuchtung. An die Sachlichkeit der Verkäuferinnen. Und an das Gefühl, wie froh man war, eine Zeitlang in der Wärme stehen zu können, bevor man wieder raus musste auf die graue Straße. 

Steffi Pyanoe ist freie Mitarbeiterin der PNN. Sie lebt in Babelsberg.
Steffi Pyanoe ist freie Mitarbeiterin der PNN. Sie lebt in Babelsberg.

© Sebastian Gabsch

An alle, die sich den Osten wieder zurückwünschen: So sparsam beleuchtet, ohne Gedöns, Bespaßung und Gastronomie an jeder Ecke, so war es damals, jedenfalls in der Kleinstadt, in der ich wohnte, und das war normal. Wer sich draußen an der frischen Luft aufhielt, der tat das in der Regel nicht, um abzufeiern, sondern um etwas zu erledigen. Man suchte, man sammelte, man trug nach Hause, meist zu Fuß. Geschenke, Alltagsdinge, Lebensmittel. Es gab ja alles – nur wo und wann und würde es reichen, bis man dran war? Man reihte sich prophylaktisch in die Schlange vor dem Geschäft, Kind, geh mal zur Tür gucken, gibt’s hier Apfelsinen? Die guten? Dafür lohnten sich kalte Hände und kalte Füße allemal.

Mit dem Butterberg an der Kasse

Heute stehen wir wieder an. In der Schlange vor dem Biobäcker mit 30 Sorten Brötchen, wo die Entscheidungen schwerfallen und entsprechend Zeit brauchen, kommen Nachbarn ins Gespräch, eine Frau macht Yogaübungen. Mein Mann stapelt derweil im Supermarkt unter den missbilligenden Blicken der Kassiererin einen Butterberg aufs Kassenband. Nur weil er außerdem Puderzucker und Mehl kauft, kommt er damit durch, ah, das große Backen ist gerettet! Abends kalte Füße beim Glühwein in Nachbars Garten, zu viert an der Feuerschale. Zeit für Gespräche, wie es sie sonst nie gegeben hätte. Wir sind alle auch Gewinner in diesen Tagen. Und außerdem habe ich jetzt wieder eine Einfädelhilfe. Für 50 Cent.

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