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Ich habe verstanden!: Gibt es denn nicht Wichtigeres als „Wetten, dass...?“

Matthias Kalle ahnt es: Kommende Woche ist Berlin leer. Denn dann fahren alle „nach Hause“. Ist das nun gut? Eine leere Stadt? Das ist doch eigentlich nicht der Sinn von Berlin. Und wie unser Autor so nachdenkt, landet er bei „Wetten, dass...?“. Denn irgendwie landet man zurzeit immer bei „Wetten, dass...?“.

Ich fahre ja mit dem Bus ins Büro, jeden Tag, und seit Anfang dieser Woche stelle ich fest, dass täglich weniger Menschen in meinen Bus einsteigen. Auch auf den paar Metern von der Haltestelle bis zum Büro: weniger Menschen als vor einer Woche, und jeden Tag werden es noch weniger. Spätestens am Montag wird die Stadt leer sein, denn spätestens am Montag fahren die alle „nach Hause“. Dann hören für eine Weile wohl auch diese Anti-Gentrifizierungs-Aktionen auf.

Ich fahre nicht „nach Hause“, ich bin ja in Berlin zu Hause, und ich werde mich wieder über die Menschen wundern, die einem dann erzählen, wie toll es in Berlin über Weihnachten sei, wenn so viele weg sind und die Stadt so leer ist. Mhm. Eine leere Stadt: Das ist doch eigentlich nicht der Sinn von Berlin. Das wäre ja so, als wenn sich die Macher von „Wetten, dass...?“ darüber freuen würden, wenn die Show bald niemand mehr schaut – als ob sie dann dadurch besser werden würde.

Aber es soll diesmal nicht um „Wetten, dass...?“ gehen, es geht an dieser Stelle viel zu oft um „Wetten, dass...?“, und Umfragen, die ich nicht bestellt habe, kann man entnehmen, dass die Menschen die Berichterstattung über „Wetten, dass...?“ als nervig empfinden. „Gibt es denn“, steht auch in so manchem Leserbrief, den die Medien-Redaktion des Tagesspiegel bekommt, „nichts Wichtigeres als ,Wetten, dass...?' und diesen Thomas Gottschalk?“

Doch! Natürlich gibt es Wichtigeres als „Wetten, dass...?“! Die Energiewende zum Beispiel, die Sigmar Gabriel jetzt irgendwie managen muss. Laut einer Umfrage glauben 59 Prozent der Deutschen allerdings nicht an ein Gelingen – das ist ein sehr schlechter Wert. Er ist sogar noch schlechter als der Wert, den stern.de in dieser Woche in Bezug auf Markus Lanz ermittelt hat: Demnach sagen 47 Prozent, dass der Moderator noch schlechter sei, als er von der Kritik gemacht werde; 56 Prozent meinen, die Witze von Markus Lanz hätten dasselbe Niveau wie die Witze von Fips Asmussen; 77 Prozent sehen Lanz auf einer Stufe mit Wolfgang Lippert; 50 Prozent aller Befragten geben dem Format „Wetten, dass...?“ im aktuellen Zustand die Schulnoten „mangelhaft“ oder „ungenügend“.

Ähnliche Schulnoten müsste man wohl auch für das Fach „Menschenrechte in Russland“ vergeben. Und zwar nicht, obwohl Putin in dieser Woche einige Begnadigungen aussprach – sondern auch, weil er dies tat, mit einer Geste, die mit lupenreiner Demokratie sehr schwer unter einen Hut zu bringen ist – weil dieser Akt, so richtig er ist, auch genauso willkürlich scheint wie die Verurteilungen. Und weil der Zeitpunkt, wenige Wochen vor Beginn der Olympischen Winterspiele in Sotchi, so offensichtlich ist, dass man dahinter schwerlich ehrliche Einsicht vermuten kann. Eine Einsicht gab es auch nicht seitens des ZDF für die unerträgliche Stadtwette bei „Wetten, dass...?“, in der die Augsburger aufgefordert wurden, als Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer verkleidet zu erscheinen, und zwar mithilfe von „Schuhcreme, Kohle, was auch immer“. Dabei ist das Unerklärliche, dass in einer Riesenredaktion anscheinend nicht einer gesessen hat, der darauf hinwies, dass das im Zuge der Blackfacing-Debatte vielleicht keine so gute, sondern möglicherweise eine rassistische Idee sein könnte.

Ach, es ist verhext! Da beginnt man die Kolumne mit einer Stadtbetrachtung – und landet bei „Wetten, dass...?“. Dann rettet man sich zur Energiewende – und landet bei „Wetten, dass...?“. Dann schafft man den Sprung zu Putin – und landet bei „Wetten, dass...?“.

Es wird Zeit, dass die Stadt wieder ein bisschen voller wird, damit man nicht mehr so viel Zeit vor dem Fernseher verbringt. Da kommt man ja nur auf dumme Gedanken.

Kalle ist Vize-Chefredakteur des ZEITMagazins. Zuletzt erschien von ihm das Buch „Normal hält das: Vom Hausbau und anderen Katastrophen“ bei Ullstein Extra (14,99 Euro)

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