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Seit Jahren erhitzt die Debatte um die Garnisonkirche die Gemüter.

© Ottmar Winter

Gastbeitrag | Debatte um Garnisonkirche: „Potsdam benötigt keine weitere Großkirche“

Es ist absolut zwingend, sich zuerst über den Inhalt und danach über die Form zu verständigen. Ein Gastbeitrag von Christian Seidel (SPD), ehemaliger Vorsitzender des Bauausschusses.

Christian Seidel (SPD) ist ehemaliger Vorsitzender des Gemeindekirchenrats und langjähriger Vorsitzender des Potsdamer Bauausschusses.

Seit Beginn der 1990er-Jahre gehört das Areal der ehemaligen Potsdamer Hof- und Garnisonkirche zu den umstrittensten Orten der Landeshauptstadt. Von Anfang an standen sich die Protagonisten von Pro und Kontra Wiederaufbau unversöhnlich gegenüber.

Da es um eine Kirche geht, sollte zunächst der Potsdamer evangelischen Kirche und der Landeskirche ein gewichtiges Wort zustehen. Bereits Mitte der 1990er-Jahre hat der Gemeindekirchenrat der Heilig-Kreuz-Gemeinde – nämlich der Kirchengemeinde, welche die Kapelle im Turmstumpf als Gottesdienstraum bis zur Sprengung 1968 nutzte – in einer Stellungnahme festgestellt, dass die Gemeinde keine zusätzlichen Räume und Potsdam keine weitere Großkirche benötigt. Diese Stellungnahme wurde seinerzeit vom Kirchenkreis und der Landeskirche übernommen. Nachdem zwischenzeitlich die Position der evangelischen Kirche in dieser Frage m. E. etwas diffus erschien, freut es mich, dass inzwischen wieder eine klare Aussage vorliegt: Potsdam benötigt keine weitere Großkirche.

Wenn also kein Gottesdienstraum, welche Funktion könnte dem ehemaligen Kirchenschiff dann zukommen? Einen zweiten Konzertsaal benötigt Potsdam ebenso wenig. In seinem Kubus ein (kirchlich getragenes) internationales Friedens- und Begegnungszentrum zu etablieren, war für mich eine faszinierende Idee – allerdings sind entsprechende Überlegungen an der finanziellen Realität gescheitert. Welcher Inhalt dann und wie finanziert?

Christian Seidel (SPD).
Christian Seidel (SPD).

© Andreas Klaer

Die Geschichte der Hof- und Garnisonkirche ist vielschichtig – auch die Irrwege der protestantischen Staatskirche sind mit ihr verknüpft. Spätestens im Kaiserreich war sie ein herausgehobenes Symbol des Bündnisses zwischen Thron und Altar (noch dazu mit einer kriegerischen Attitüde). Ich bin sicher, die Ausstellung und das Bildungsprogramm im wieder aufgebauten Turm werden sich in überzeugender Weise damit auseinandersetzen. Es ist richtig, auch die ersten frei gewählten Potsdamer Stadtverordneten tagten 1806 in der Garnisonkirche. Aber ein Symbol der Demokratie war sie nie – ganz im Gegenteil, in der ersten deutschen Republik eher ein Zentrum monarchistischer und militaristischer Kreise. Deshalb hat es für mich hohe Symbolkraft, wenn an diesem geschichtsbelasteten Ort ein Haus der Demokratie errichtet würde.

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Ich persönlich kann mit Leerstellen im Stadtraum leben, wenn es für deren Füllung noch keine überzeugende Vorstellung gibt – warum sollen die Nachgeborenen keinen Gestaltungsspielraum haben? Am Ort der früheren Garnisonkirche finden wir aber (nun) eine andere Situation vor. Zum einen zwingt die befristete Nutzung des ehemaligen Rechenzentrums zu Entscheidungen, zum anderen hat der Oberbürgermeister gemäß des Auftrags der Stadtverordnetenversammlung mit Vertreter*innen der am Ort aktiven Gruppen und Einrichtungen einen Kompromiss erreichen können, der mit dem Haus der Demokratie eine wegweisende Lösung beinhaltet. 

Alle Parteien haben sich dabei zu Abstrichen von ihren jeweils aus Überzeugung getragenen Vorstellungen durchringen müssen. Das ist eine demokratische Erfahrung, die für die Zukunft hoffen lässt. Würden doch hier mit der alternativen Kunstszene in einem teilweise erhaltenen Rechenzentrum einerseits und der Bespielung des Turmes durch die Stiftung Garnisonkirche andererseits zwei sehr unterschiedliche Vertreterinnen der Potsdamer Stadtgesellschaft im „täglichen Leben“ aufeinander treffen – vermittelt durch ein Haus der Demokratie, welches im besten Sinn eine Potsdamer Agora werden könnte.

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Der erreichte Kompromiss über beabsichtigte Nutzungsformen auf dem Areal zweier „Ehemaliger“, der Garnisonkirche und des Rechenzentrums, eröffnet für mich Zukunftsperspektiven, welche es verdienen, weiter verfolgt und geprüft zu werden. Damit dies gelingt, sollte die Mehrheit der jeweiligen Gruppen bereit sein, ihren Verhandlungsführer*innen auf dem Weg des Kompromisses zu folgen. Ich verstehe, dass dies für einige nicht ohne Schmerzen möglich ist. Aber ohne Schmerzen auf allen Seiten wird es auf diesem historisch und emotional aufgeladenen Areal keine Lösung geben.

Auch nach dem Kompromiss zur Nutzung ist offensichtlich noch ein weiter Weg zu gehen. In der besonderen Situation um die ehemalige Garnisonkirche halte ich es aber geradezu für zwingend, sich zuerst über den Inhalt und danach über die Form zu verständigen. Zwei Baukörper, welche für unterschiedliche Epochen und Geisteshaltungen stehen, durch ein Haus der Demokratie zu verbinden, ist eine großartige Vision; dafür eine überzeugende architektonische Umsetzung zu finden, ist eine riesige Herausforderung.

Christian Seidel

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