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Meinung: Drin oder draußen

Die EU verbietet Plastiktüten – statt die eigenen Fehlentscheidungen aufzuarbeiten

In Europa herrscht Massenarbeitslosigkeit, und was macht die EU? Sie verbietet die Plastiktüten. Die Welt geht unter und Brüssel misst die Gurken nach. Vielleicht ist es sogar geschickt, sich so zu präsentieren: als altbekannte, banale Bevormunder, die doch unser aller Wohl im Herzen tragen. Dabei geht es bei der Europäischen Union schon lange nicht mehr um Tüten, Gurken oder Staubsauger. In den kommenden Jahren entscheidet sich die Zukunft der Union, es geht um Geld und Macht, und die Glaubwürdigkeit eines historischen Projekts. Wer die Mitspieler sein werden, zeichnet sich langsam ab: eine große Koalition in Deutschland und möglicherweise ein deutscher EU-Kommissionspräsident von Merkels Gnaden, Martin Schulz.

Im Frühjahr kommt das Parlament dazu, das dann neu gewählt wird. Aus Deutschland könnte zum ersten Mal eine euro-kritische Partei ins Europäische Parlament einziehen. Doch was sollte die da? Durch hohe Spesen die EU in den Ruin treiben? Eine Opposition im EU-Parlament müsste versuchen, ihren Einfluss zu vergrößern – und diesen dann nutzen, um die eigene Macht zu beschränken. Ein widersinniges Unterfangen. Jede EU-Wahl ist, wie sollte es auch anders sein, eine Affirmation der EU.

Wäre es anders, hätte das EU- Parlament – als ein Instrument der Selbstkorrektur – darauf bestanden, in einem Untersuchungsausschuss die Umstände zu untersuchen, die zur Aufnahme Griechenlands in die Euro-Zone geführt haben. Warum hat das Parlament dazu nicht all die Beteiligten befragt? Weil ihm ein wachsendes, sich weiter integrierendes Europa genauso Vorteile verschafft wie den anderen europäischen Institutionen. Und deshalb ist Kroatien nun Mitglied der Union, und deshalb werden die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, die sich außenpolitisch wie eine Axt im Wald aufführt, immer weiter geführt.

Die Europäische Union ist ein unvollendetes Projekt. Und auch in dieser Wendung zeigt sich ihr hermetischer Charakter: „Die Rhetorik der Unvollendetheit hat eine stark kritikrelativierende oder gegen Kritik immunisierende Funktion“, wie der Soziologe Franz Heschl schreibt. So kann man das Versprechen stets auf die Zukunft verschieben: Dass die Euro-Zone im Moment nicht funktioniert, ist kein Problem, denn jetzt wissen wir ganz genau, was wir machen müssen, damit sie funktioniert. Wer daran glaubt, ist drin, wer daran zweifelt, dass es dieselben, die schon bei Griechenland alles genau wussten, diesmal besser können, der ist draußen.

Martin Schulz preist den Lissabon-Vertrag, weil er dem EU-Parlament mehr Einfluss bei der Wahl des Kommissionspräsidenten zubilligt. Er tut dabei so, als ob das demokratische Defizit dieses Projekts gelöst werden könnte, wenn man die Macht auf europäischer Ebene nur anders, besser verteilt. Doch das ist ein Missverständnis. Ein System, in dem alle Beteiligten vom Zustimmen profitieren, lässt sich niemals kontrollieren.

In den Gurken-Zeiten war die Frage, wer die Macht in Europa hat. Heute lautet die – entscheidendere – Frage, wie viel Macht Europa wirklich haben soll. Denn offenbar kann die Union alles integrieren, nur politische Opposition nicht.

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