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Meinung: Der kleine Sieger

In Zukunft wird sich Angela Merkel mehr um ihre Basis in der CDU kümmern müssen

Von Antje Sirleschtov

Es war ein entlarvender Satz, der Angela Merkel da entglitten ist. Nachdem man nun fast drei Monate zur Regierungsbildung gebraucht habe, mahnte die Bundeskanzlerin, müsse „jetzt endlich mal gearbeitet werden“. Nur eine Frau wie Merkel, pragmatisch und lösungsorientiert wie ein Topmanager, kann die politische Willensbildung von Parteien, die demnächst vier Jahre lang koalieren wollen und dafür einen Vertrag aushandeln, als vertane Zeit abtun. Wo Merkel regiert, da wird nicht lange abgewogen, da muss es funktionieren. Und wenn nicht, dann wird ein Kompromiss gezimmert. Bis zum nächsten Problem, das wieder mit einem Kompromiss beseitigt wird.

Dass nicht alle in der CDU diese Auffassung von Politik haben, quillt in diesen Tagen aus einigen Löchern der Partei hervor. Der Wirtschaftsflügel der Union und die Jungen: Es gibt noch Leute in Merkels CDU, die sich daran erinnern, dass es ihre Partei war, die beinahe mit absoluter Mehrheit die Wahl gewonnen hat – und die beim Blick in den Koalitionsvertrag doch eher wie der kleinere Sieger aussieht.

Mindestlohn, abschlagsfreie Rente mit 63, Frauenquote und doppelte Staatsbürgerschaft: Das alles sind Überschriften aus dem SPD-Programm, die es in den Koalitionsvertrag geschafft haben. Müsste Merkel und nicht Sigmar Gabriel jetzt ein Votum ihrer Mitglieder einholen, sähe es wahrscheinlich düster aus für die CDU-Vorsitzende. Denn es stimmt ja, was über die Gewichtung im Vertrag gesagt wird: Viel – auffallend viel – SPD. Und das, was CDU ist, also Schuldenstopp und Verzicht auf Steuererhöhungen, ist äußerst konjunkturabhängig.

Und es trägt, politisch gesehen, großes Konfliktpotenzial in sich. Am vergangenen Wochenende hat der neue FDP-Chef Christian Lindner bereits den Finger in die Wunde gelegt: Wo ist eigentlich das Versprechen der CDU geblieben, die kalte Progression einzudämmen? Jedes Jahr eine „heimliche Steuererhöhung“, hatte Wolfgang Schäuble die kalte Progression genannt, als er vor einem Jahr für seinen Gesetzentwurf im Bundesrat warb. Danach hat niemand mehr darüber gesprochen.

Aber ob heimlich oder offen – eines ist bereits klar: Das erste von zwei CDU-Versprechen ist schon mal gebrochen. Und das zweite auch schon ein bisschen. Schäuble hatte nämlich vor der Wahl versprochen, ab 2016 die finanziellen Überschüsse zum Schuldenabbau zu verwenden. Jetzt wird das Geld verkonsumiert. Es ist dem Kompromiss zum Opfer gefallen, weil die SPD investieren und Merkel regieren will. So ist man sich einig geworden.

Dass die Abgeordneten und Funktionäre der CDU dem Koalitionsvertrag dennoch zugestimmt haben, war nicht anders zu erwarten. Wer regieren will, schluckt bittere Pillen. Aber ihren Mitgliedern und den Wählern hat die CDU schon in der letzten Amtszeit eine Menge zugemutet. Der Atomausstieg, der Abschied von der Wehrpflicht und schließlich die Finanzierung bankrotter Euro-Staaten. Es mag sein, dass die Bundeskanzlerin Angela Merkel ab kommendem Dienstag, wenn sie wohl vereidigt wird, „endlich“ mal wieder arbeiten kann. Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel wird sich mehr mit Politik für ihre Partei beschäftigen müssen. Denn ewig wird ihr die Basis wohl nicht gehorchen.

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