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Meinung: Beglückung – auf Kosten der Beglückten

„Erweiterte Mütterrente ist eine Wohltat mit Beigeschmack“

Gerechtigkeit schaffen zu können auf Kosten anderer, das ist eine feine Sache, vor allem, wenn man sich selbst hinterher als Wohltäter feiern lässt. Was sich wie eine halbkriminelle Methode der Umverteilung liest, ist genau das, was die große Koalition zum Arbeitsauftakt in Sachen Renten gerade beschlossen hat. Eigentlich wäre zum 1. Januar 2014 eine deutliche Senkung der Beiträge zur Rentenversicherung von 18,9 auf 18,3 Prozent fällig gewesen, weil die Nachhaltigskeitsrücklage, also quasi die Reserve der Rentenversicherung, auf anderthalb Monatsausgaben gestiegen war. Das Ergebnis wäre für beide Tarifpartner eine Entlastung der Lohnnebenkosten gewesen, und für die abhängig Beschäftigten damit genau jenes berühmte mehr Netto vom Brutto, das für den dringend nötigen Anschub der Binnenkonjunktur hätte verbraucht werden können.

CDU, CSU und SPD stoppten diese Entlastung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern aber am Donnerstag im Bundestag, weil mit dem höheren Beitragsaufkommen die Besserstellung von Müttern finanziert werden soll, die ihre Kinder vor 1992 bekommen haben. Das macht zwischen 25 und 28 Euro im Monat bei der Rente aus, ein Bonus, von dem bislang nur jene Mütter profitieren, die ihre Kinder nach 1992 bekommen haben.

Das ist ungerecht – keine Frage. Es ist genauso ungerecht wie jede andere Stichtagsregelung auch. Immer fühlen sich, absolut verständlich, all jene benachteiligt, deren Anspruch zum Beispiel auf günstigere steuerliche Regelungen oder Zulagen erst nach dem Stichtag entstanden und damit unberücksichtigt geblieben ist.

Dass eine Regierung gegen Ungerechtigkeiten kämpft, ist eine gute Sache. Wenn sie sich aber ihrer Wohltaten auf Kosten anderer berühmt, ist das unschön und in diesem Fall vielleicht sogar ein klarer Rechtsverstoß. Die Bundesvereinigung der Arbeitgeber nannte das Vorgehen von Schwarz-Rot gestern ein „verfassungswidriges Gesetzesvorhaben“.

Natürlich hätte es einen korrekten Weg gegeben, die älteren Mütter den jüngeren gleichzustellen. Der Differenzbetrag hätte aus dem Steueraufkommen finanziert werden müssen. Frauen einen Ausgleich in der Rente für die Zeiten der Kindererziehung zu geben, in denen sie vielleicht weniger oder zeitweise gar nicht arbeiten und Beiträge zahlen konnten, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Schließlich basieren alles staatliche Miteinander und die Aufteilung der Verantwortungen auf der Generationenabfolge. Werden keine Kinder mehr geboren, gibt es keine Jungen mehr, die sich um die Alten kümmern könnten, wachsen keine Arbeitskräfte mehr nach, die den Wohlstand des Landes erhalten könnten, bricht das gesellschaftliche Miteinander also zusammen. Das Kinderkriegen kann der Staat nicht erzwingen, jedenfalls versucht er das in Demokratien vernünftigerweise auch gar nicht, er kann es nur honorieren.

Dieses Honorar aber müssten alle zahlen, nicht nur die Beschäftigten der freien Wirtschaft, sondern auch die Selbstständigen und die Beamten. Sie alle zahlen Steuern. Deshalb ist die Finanzierung gesamtstaatlich notwendiger Maßnahmen auch die vornehmste Aufgabe aller Steuerzahler. Die große Abkassier-Koalition wollte es anders, sie wollte die Steuern nicht erhöhen und auch nirgendwo Ausgaben sparen. Eines von beidem wäre aber nötig gewesen, um die Ausdehnung der Mütterrente auf alle, die Kinder geboren haben, finanziell solide abzusichern.

Ein Betrug an den Rentenversicherten insgesamt ist es auch, weil es ja keinerlei Hoffnung gibt, dass in Zukunft wesentlich mehr Kinder geboren werden. Dazu ist die Zahl der Frauen im gebärfähigen Alter – ein furchtbar bürokratisches Wort – schon seit Jahrzehnten zu gering. Wo es aber keine potenziellen Mütter gibt, können eben auch keine Kinder kommen.

Verständlich und nachvollziehbar ist eine andere Neuregelung der Rentenversicherung: dass Menschen, die 45 Jahre Beiträge gezahlt haben, dann auch mit 63 Jahren in Rente gehen dürfen. Das sind in der Regel jene durch das Erwerbsleben besonders beanspruchten Mitbürger, die ohne lange Ausbildungszeiten von Jugend an berufstätig waren. Wenn aber hier Zeiten der Arbeitslosigkeit dennoch in Zeiten verwandelt werden, die zur Rentenberechnung herangezogen werden, gilt erneut: dann muss dies aus Steuergeldern ausgeglichen werden.

Zumindest in diesem wichtigen Punkt hat Schwarz-Rot einen schlechten Start gehabt. Die Wohltat hat einen bitteren Nachgeschmack.

Gerd Appenzeller

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