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Meinung: Alter ist kein Verdienst

Zwangsruhestand mit 65? Weniger Urlaub für Berufsanfänger? Wir brauchen neues Recht

Sie sind 65 und möchten gerne in ihrem angestammten Beruf ein paar Jahre weiterarbeiten? Oder Sie sind 31, möchten zum ersten Mal studieren und dafür Bafög beantragen? In vielen Fällen geht beides nicht. Weil entweder Tarifverträge einen Zwangsruhestand vorsehen. Oder weil eine Bafög-geförderte Ausbildung „vor Vollendung des 30. Lebensjahrs“ beginnen muss.

Lange hatte sich niemand an solchen Regeln gestört. Das ändert sich gerade. In Bayern hat ein Landespolitiker gegen die dortige Regel geklagt, dass Bürgermeister bei einer Wahl jünger als 65 sein müssen. Das Urteil wird am heutigen Mittwoch verkündet. Die Chancen, dass die Altersgrenze fällt, stehen ganz gut. In einem ähnlichen Fall hatte kürzlich das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main entschieden, dass hessische Staatsanwälte nicht mit 65 in Zwangsrente geschickt werden dürfen, wenn damit kein „erkennbar legitimes Ziel“ verfolgt wird. Und 2011 hatte bereits ein Pilot die Altersbeschränkung für seinen Berufsstand kippen lassen.

Dass Altersgrenzen wie diese jetzt reihenweise fallen, ist nur konsequent. Denn Alter ist zunehmend weniger eine Kategorie, wenn es um Leistungsfähigkeit oder Lebensplanung geht. Das Senioritätsprinzip kann dabei in die eine oder andere Richtung diskriminierend wirken: zum einen, wenn sich Menschen noch nicht am Ende ihrer Schaffenskraft wähnen. Aber auch, wenn jüngeren Menschen Optionen vorenthalten werden. Denkt man den Grundsatz der Gleichbehandlung konsequent zu Ende, dann gelangt man zu dem Plan, den die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen gerade verfolgt. Wie in vielen Wirtschaftsbereichen üblich erhalten ältere Landesbedienstete dort zurzeit mehr Urlaubstage. Diese Staffelung soll verschwinden, stattdessen soll der Urlaubsanspruch generell bei 30 Tagen pro Jahr liegen.

Wenn alle gleichbehandelt werden sollen, dann bedeutet dies also auch, dass Vorrechte fallen müssen. Alter wird nicht mehr automatisch ein Verdienst sein. Und es impliziert auch, dass ein neuer Interessenausgleich zwischen alten und jungen Arbeitnehmern gefunden werden muss. Denn es mag zwar sein, dass in vielen Bereichen bereits jetzt Fachkräfte fehlen und deshalb auf das Wissen der Älteren nicht verzichtet werden kann. Es gibt aber auch genügend Fälle, wo junge Arbeitnehmer selbst mittelfristig nicht in eine halbwegs sichere Beschäftigung gelangen. Auch dies ist eine Form von Altersdiskriminierung.

Auf diesen Zusammenhang hatten die Frankfurter Richter in ihrem Urteil hingewiesen. Demnach können Altersgrenzen gerechtfertigt sein, wenn mit den dadurch frei werdenden Stellen jungen Menschen der Berufseinstieg ermöglicht wird. So entpuppen sich die Klagen gegen Altersgrenzen als Vorboten eines neuen Verteilungskonflikts um den demografischen Umbau der Gesellschaft. Auch dabei wird es Verlierer und Gewinner geben: Für den einen ist es ein Graus, bis ins hohe Alter zu arbeiten. Der andere kann sich nichts Erfüllenderes vorstellen.

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