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PNN-Talk im Potsdam Museum: Jakobs will neuen Bürgerdialog

Demokratische Werte verteidigen und dabei die Religionsgemeinschaften einbeziehen: Darum ging es im PNN-Talk im Potsdam Museum. Auch Ex-Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) saß auf dem Podium.

Wie steht es um das weltoffene Potsdam im Jahr 2019? Was muss passieren, damit demokratische Werte gestärkt werden – gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Fremdenfeindlichkeit? Und welche Rolle können Religionsgemeinschaften dabei spielen? Das waren die Themen bei der Diskussionsveranstaltung „Glaube in Potsdam – Der Talk“ mit Experten aus Politik, Religion und Wissenschaft, zu der die PNN gemeinsam mit der Landeshauptstadt im Rahmen der Internationalen Wochen gegen Rassismus eingeladen hatten. Rund 120 Zuhörer kamen dazu am Dienstagabend ins Potsdam Museum.

Auf den Errungenschaften des Bündnisses „Potsdam bekennt Farbe“, das zum Beispiel 2016/2017 tausende Potsdamer für Demonstrationen gegen die fremdenfeindliche „Pogida“-Initiative mobilisieren konnte, könne man sich nicht ausruhen, sagte Jann Jakobs (SPD), ehemaliger Oberbürgermeister und der Ehrenvorsitzende des Bündnisses. Um Vorurteile – etwa zur vermeintlichen Bevorzugung von Flüchtlingen – abzubauen, müsse man miteinander reden. Dafür brauche es neue Diskussionsforen in der Stadt – und er werde ein solches entwickeln, kündigte er an: „Wir fangen an.“ Die Politik sei nicht allein gefragt, auch die Kirche könne dabei eine Rolle spielen.

Jakobs erinnerte an das enorme Interesse der Bürger an den Informationsveranstaltungen zur Einrichtung von Flüchtlingsunterkünften nach der Flüchtlingswelle 2015 – in Babelsberg waren mehr als 1000 Menschen gekommen. Damals sei ihm klar geworden, dass es oft nicht wirklich um Fragen zu den 80 Flüchtlingen in der Nachbarschaft ging, sondern um die Möglichkeit zum Gespräch: „Dass da mal politische Hanseln sitzen, denen man was sagen kann.“ Wichtig für das Klima in der Stadt sei, „dass alle das Gefühl haben, alles ansprechen zu können“, sagte Jakobs. Wenn sich Dinge verändern, müsse das von Politik und Verwaltung vor Ort erklärt werden. „Hier haben wir noch Luft nach oben.“

Rund 120 Zuhörer waren zum PNN-Talk gekommen.
Rund 120 Zuhörer waren zum PNN-Talk gekommen.

© Manfred Thomas/PNN

„Auch in Potsdam ist ,Jude’ ein parates Schimpfwort“ 

Der Antisemitismusexperte Gideon Botsch vom Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam (MMZ) warnte davor, sich in Potsdam in Sicherheit zu wiegen. Zwar seien die Zustände nicht mehr mit 2005 vergleichbar, als Neonazis unter dem Schlagwort „Summer of Hate“ zur Jagd auf Linke aufgerufen hatten. Antisemitismus sei aber ein Thema: Jedes Jahr gebe es ungefähr acht strafrechtlich relevante Fälle von antisemitischen Angriffen – die Dunkelziffer dürfte aber höher liegen, so Botsch: „Auch in Potsdam ist ,Jude’ ein parates Schimpfwort.“ Wer sich durch sein Äußeres – etwa durch eine Kippa oder ein Kopftuch – als einer bestimmten Religion zugehörig erkennbar macht, „kann mit Anfeindungen rechnen“. Bei antisemitischen Angriffen gebe es in 90 Prozent der Fälle einen rechtsextremen Hintergrund. 

Das rechtsextreme Potenzial zeige sich auch bei den Wahlen, sagte Botsch mit Verweis auf die Ergebnisse der AfD. Der Brandenburgische Landesverband sei „deutlich beherrscht von Rechtsextremen“, betonte er. Das müsse auch so benannt werden. „Wir haben da alle zu wenig hingeschaut und uns vom glatten Auftreten beruhigen lassen“, räumte er mit Blick auf den Umgang mit der Partei in den Medien und der Öffentlichkeit ein. „Ich hätte mir zum Beispiel gewünscht, dass der Brandenburger Verfassungsschutz klarer macht, worum es sich handelt.“

Kleger fordert mehr politische Bildung an Schulen

Angelika Zädow, seit Herbst Superintendentin des evangelischen Kirchenkreises Potsdam, sprach sich für einen Dialog zwischen religiösen Gruppen, aber auch mit Nichtgläubigen aus. Sie wolle bestehende Formate, wie das „Interreligiöse Gebet“ oder die Veranstaltungsreihe „Anders als du glaubst“ – dieses Jahr im Mai und Juni – fortführen und ausbauen.

Für eine Stärkung der demokratischen Werte müsse die politische Bildung an den Schulen einen höheren Stellenwert bekommen, forderte Heinz Kleger, Politikwissenschaftler und Mitgründer der Initiative „Neues Potsdamer Toleranzedikt“: „Wir müssen sehr viel früher anfangen mit einer demokratischen Schule.“

Die Vermittlung von demokratischen Werten beginne bereits im Kindergartenalter, sagte auch Angelika Zädow. Bei einer früheren Arbeit in einer kleinen Gemeinde, deren Kita 28 Kinder aus elf Nationen besuchten, habe sie damit gute Erfahrungen gemacht: „Die Kinder gehen ganz spielerisch damit um, wenn sie sich begegnen.“ Kinder seien neugierig auf ihr Gegenüber und stellten unbefangen Fragen, während Erwachsene oft durch Erfahrungen oder Erziehung vorgeprägt seien: „Wir verlernen, neugierig zu sein auf das, was mir entgegenkommt.“

Bei der Diskussion um die mögliche Rolle der Kirchen dürfe auch deren Gewaltpotenzial nicht vergessen werden, mahnte Heinz Kleger an und verwies unter anderem auf den Bosnienkrieg in den 1990er Jahren oder den Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche. Eine Tendenz zu Ausgrenzung und Fanatisierung gebe es immer dann, „wenn eine Religionsgemeinschaft meint, sie alleine hätte die Wahrheit gefunden“, sagte Zädow. Gerade darum sei Austausch so wichtig.

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