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Modedesigner Wolfgang Joop.

© Sebastian Gabsch

Exklusiv

Das große Interview mit Wolfgang Joop: "Heute fühle ich mich wirklich in Potsdam zu Hause"

Modedesigner Wolfgang Joop über seine Heimat Potsdam, die Jugend, das Alter, Selfie-Alarm, die Primitivität der AfD - und natürlich Heidi Klum.

Herr Joop, vor sechzehn Jahren sind Sie nach Potsdam zurückgekehrt. Es ist eine besondere Beziehung, die Sie mit dieser Stadt verbindet. Und nun sind Sie hier alt geworden. Hadern Sie?

Das nicht. Aber alt zu werden ist positiv und negativ zugleich. Ungewohnt ist es für mich, dass es auf einmal ständig zum Thema gemacht wird.

Pardon, Sie werden in diesem Jahr 75 …

Ich erlebe das zum Glück auch anders. Ich war vor vier Wochen im Fitnessstudio...

… in Potsdam …

… und wie immer bin ich aus Bornstedt mit dem Rad hingefahren, durch den Park Sanssouci, obwohl es auch noch regnete. Im Studio standen drei Typen. Man staunt ja, wie groß und wie gutaussehend die jungen Männer heutzutage sind. In meiner Jugend hatten alle Pickel und fettiges Haar. Heute sind sie immer getrimmt, anscheinend mit Schablone. Machen diesen Körperkult mit, ohne zu wissen, dass er aus dem Orient kommt. Jedenfalls steckten diese drei perfekten jungen Männer die Köpfe zusammen. Ich fragte sie direkt: Na, worüber redet ihr? Über eure Frisuren?

Und?

Sie antworteten: ,Wir haben uns unterhalten, wie alt dit ist.’ Dann zeigten sie auf mich, auf meinen Körper, ohne Kopf (lacht). Sie fanden das Stück erstaunlich gut erhalten. Und wollten deshalb wissen, wie alt ,dit’ ist. Das hatte ich noch nie gehört. Früher hätte man gefragt: Darf ich fragen, wie alt Sie sind? Nee, es wurde einfach das Stück Körper abgeschätzt. Sie sehen, ich nehme das alles mit Humor. Kann ich auch. Schon meine Mutter sagte immer: Erst im Alter sieht man die guten Gene!

Haben die drei Sie erkannt?

Das weiß ich gar nicht. Man macht in Potsdam kein Getue, trifft man einen sogenannten Promi. Ich habe gerade meine Autobiografie geschrieben, eine anekdotische, bewusst keine historische, keine chronologische. Man denkt vielleicht, im nächsten Kapitel geht es um New York, aber ich bin dann plötzlich im Berlin der Achtziger. Auch da kommen zwei, drei Anekdoten vor, wie man mich in Potsdam erkannte und integrierte, nämlich cool.

Zum Beispiel?

Als ich 2003 ankam, sprach mich mal eine ältere Dame auf dem Wochenmarkt am Bassinplatz an: ,Hast Dir wohl verkleidet, wa? Hab Dir aber trotzdem erkannt!’ Da fiel nicht einmal der Name. Das ist typisch für die Potsdamer Mentalität.

Sie hatten, als Sie in aller Welt unterwegs waren, immer Sehnsucht nach Potsdam, der Stadt Ihrer Kindheit. Das hatte auch etwas Verklärendes, Idealisierendes. Folgten die Ernüchterung, der Realitätsschock?

Mit der Sehnsucht ist es wie mit dem Glück. Vielleicht ist man am sehnsüchtigsten, am glücklichsten, bevor man das endgültige Ziel gefunden hat. Es gibt ja auch die Wünsche, mit denen die Götter einen bestrafen, wenn sie sie erfüllen. Ein bisschen war es bei mir und Potsdam so.

Inwiefern?

Es war sehr viel Arbeit, in Potsdam nach Hause zu kommen. Es lief nicht so glatt, wie ich es gedacht hatte. Das hatte zunächst sehr viel mit dem Tod von Tante Ulla zu tun, die 2002 starb.

Die Schwester Ihrer Mutter war einer der wichtigsten Menschen in Ihrem Leben, wohnte mit Ihren Eltern in Bornstedt, hatte sich zu DDR-Zeiten um das Anwesen gekümmert, nachdem Ihre Familie 1954 nach Braunschweig gezogen war.

Tante Ulla war immer die, die mir als Person Heimat ausmachte. Heimat ist ja kein geografischer Ort. Es ist der Ort, wo man willkommen ist, wo jemand auf Dich wartet. Dieses Heimatgefühl, dieses Zuhause sein, das hatte ich vorher nie trainiert. Ich bin ja immer abgehauen. Das war mein Leben. Ich war nie der Typ, der ankommt, ich war mehr der Vagabund. Aber zu Tante Ulla zu kommen – das war eine Gewohnheit, die es immer gab. Sie hatte die Kraft, jeden Tag diesen Garten und das Haus zu unterhalten, und wir waren immer willkommen, egal, wen ich mitbrachte. Und auf einmal war sie fort. Das hat mich zutiefst berührt. Ich werde dieses Begräbnis, ihren Tod, für mein Leben nicht vergessen. Es war ein Jahr vor meiner Rückkehr.

Wie haben Sie es persönlich verarbeitet?

Auch mit meinem Roman ‚Im Wolfspelz', der 2003 erschien. Dort habe ich die Szene beschrieben, wie bei der Beerdigung plötzlich ein dunkler Schmetterling über den Sarg flog. Alle haben ihn gesehen, nicht ich allein. Er gilt als Zeichen der Metamorphose, der Veränderung. Nach dem Tod von Tante Ulla war für mich nichts mehr wie es war. 2010, als meine Mutter starb, folgte der nächste Schock. Obwohl man sich darauf hätte vorbereiten können, sie war ja 94 geworden. Ein Jahr vorher war sie noch hier, auf diesen Stufen, Ostern gestürzt. Sie hatte einen Arm und Knochen im Gesicht gebrochen, aber mit ihrem starken Willen ausgeheilt, in vier Wochen. Damals hat meine Mutter mich gewarnt: Wolfgang, tu was! Sie hatte Angst um diesen Ort, um unseren Ort. Ich verstand damals nicht, was sie meinte. Es waren ja alle da. Alles war geregelt. Ich hatte das Anwesen, weil ich in New York lebte, teilweise an beide Töchter verteilt.

Doch es gab Streit, dann haben Sie sich entschieden, selbst in diesem Haus zu leben – es ist Ihr Ort.

Es fiel mir trotzdem schwer. Da war überall noch Tante Ulla, ich konnte anfangs nicht ins Haus gehen. So sehr hat es mich mitgenommen. Dass ich ankommen konnte, habe ich vor allem auch Edwins emotionaler Unterstützung zu verdanken.

Edwin Lemberg, Ihr Partner, der Rationale in Ihrer Beziehung, mit dem Sie seit mehr als 30 Jahren zusammenleben und zusammenarbeiten.

Er hat in seiner pragmatischen Art gesagt: Komm, es muss hier ohnehin renoviert werden! Er hat gewagt, einen anderen Fußboden reinzutun, die Fenster zu begradigen, und auch ein bisschen – es waren ja Hamburger Architekten, die es saniert hatten – diese Idee von Sylt, die Mitte der 1990er- Jahre eingezogen war, wieder rauszukriegen. Auch diese Renovierung war für mich sehr emotional. Aber sie war dann eine wirklich geglückte Investition, in einen Neuanfang.

Der ist gelungen?

Ja, wie Sie sehen. Nach all den Jahren, wo ich hier bin und doch nie wirklich ankam, fühle ich mich heute wirklich in Potsdam zu Hause. Mit der Erkenntnis: Zuhause, Heimat muss man sich erarbeiten, so, wie man sich auch die Liebe und den Respekt seiner Kinder erarbeiten muss. Man geht immer davon aus, dass sich in einer Familie alle lieb haben. Das ist ein verbreiteter Irrtum. Dabei schafft gerade die Nähe, die man von Geburt an kennt, oft auch den Wunsch nach Distanz.

Und jetzt praktizieren Sie alle ein Joopsches Mehrgenerationen-Familienprojekt.

Wir leben hier zusammen mit Florentine und ihren drei Kindern, insgesamt sogar vier, ihr Mann Sebastian hat auch noch eins mitgebracht, auf zwei Häuser verteilt. Es war auch meine Arbeit, dass Florentine und ihr Mann hierbleiben. Dazu gehört nämlich, es ihnen auch so anzubieten, dass es auch das ihre ist. Sie sind unter unserer Beobachtung und wir unter ihrer Beobachtung (lacht).

Das funktioniert?

Ja, aber es ist nicht ganz ohne. Aber das war auch schon zwischen Tante Ulla und meiner Mutter nicht ohne Konflikte. Wir alle haben ja diesen starken Individualitätsanspruch. Wir alle sind nicht erzogen, uns in etwas hineinzufügen. Karin sagte neulich …

… Karin Joop-Metz, Ihre ehemalige Frau, die auch in Bornstedt lebt …

… sie sagte, als wir uns über unsere damaligen Zeiten in der DDR unterhielten, über unsere Reisen dorthin, als sie sich in ihren zukünftigen Mann verliebte, ganz richtig: Wir waren es nicht gewohnt, was andere in der DDR lernten. Nämlich, es nicht auszusprechen, was wir wollten. Wir waren es nicht gewohnt, es nicht zu sagen, was wir wollten. Wir waren nicht gewohnt, nicht zu lieben, wen wir wollten. Und wir waren Kinder der 70er, der Endsechziger. Wir lehnten Autoritäten, auch Vorschriften ab. Ganz tief saß das.

Ich habe gerade meine Autobiografie geschrieben. Auch da kommen zwei, drei Anekdoten vor, wie man mich in Potsdam erkannte und integrierte, nämlich cool.

Wolfgang Joop

Wie tief?

Wir konnten auch mit Geschäftspartnern nicht so gut umgehen, wenn sie diesen altmodischen, autoritären Stil hervorholten. Die Leute sagen oft, der größte Fehler meines Lebens sei gewesen, dass ich das Unternehmen Joop verkaufte. Man vergisst immer, dass ich auch Partner hatte. Der Verkauf war genau diesem Verhältnis geschuldet, was sich aufgebraucht hatte.

Wie gelingt es Ihnen, Großvater zu sein?

Ich gehe jeden Tag kurz rüber. Wenn die Enkel wollen, kommen sie her. Es ist ja ein offenes Haus. Sie haben volles Programm. Sie machen Karate, sie haben Klavierunterricht. Es gab Phasen, wo sie jeden Sonntag zu mir kamen, wir gemeinsam im Haus am Heiligen See waren oder gezeichnet haben. Insofern: Ich will Großvater sein. Ich sehe meine Rolle als Familienoberhaupt. Ich glaube, dass die Enkelkinder, dadurch dass sie hier wohnen, auch begreifen, dass es ihre Heimat ist, dass es kaum einen besseren Ort auf der Welt gibt. Das ist einfach so. Ich hatte die große Chance, es testen zu dürfen. It’s the best place.

Als wir vor fünf Jahren miteinander sprachen, haben Sie gesagt, dass Sie Potsdam jetzt endlich richtig entdecken wollen. Wie weit sind Sie damit?

Ich schaffe das immer noch nicht (lacht). Aber ich habe mehr entdeckt als Edwin, glaube ich. Denn ich fahre ja nur Fahrrad, meist zum Gym. Das liegt ideal. Ich komme über Potsdam-West rein, über die alte Lennéstraße. Das ist so schön, dass ich immer wieder atemlos bin und denke: Ich habe noch nicht genug von dieser Torte gegessen.

Schwärmen Sie ruhig weiter!

Wenn wir aus Berlin kommen, oder aus L.A., wo auch immer her, dann ist mein Potsdam-Gefühl immer: Alternativlos! Kein Zweifel! Potsdam is the right place to be! Es ist auch immer noch ein gewisser Stolz dabei, in Gesprächen sagen zu dürfen: Ja, meine ganze Familie, meine ganzen Vorfahren kamen auch aus Potsdam.

Sie sind angekommen. Doch in Potsdam gibt es nicht wenige, die das Gefühl haben, ihre Heimat zu verlieren, weil sie sich so verändert, die Bilder ihrer ostdeutschen Kindheit verschwinden, weil sie sich ihre Stadt nicht mehr leisten können. Können Sie das verstehen?

Ja, ich sage aber auch: Dass die Mieten hier so hoch sind, man kein günstiges Zimmer findet, keine günstige Wohnung, das ist eine Entwicklung, die in anderen Städten schon lange so verläuft. Es gibt einfach nicht mehr Wohnungen. Und wenn etwas rar ist, dann ist es teuer. Das ist mit allen Dingen so. Was wäre denn die Alternative? Eine Rückkehr zur DDR? Ich sehe dies immer deutlich an diesem Holländerviertel. Es ist inzwischen zauberhaft belebt, mit kleinen Cafés und Boutiquen, Arts and Crafts. In meiner DDR-Erinnerung schien es an den Boden gedrückt, aus Angst, abgerissen zu werden. Das Holländerviertel war damals so still, als wäre es eingeeist. Wenn ich vor 1989 nach Potsdam kam, hieß es oft: Es ist bald dran, abgerissen zu werden. Dieser deutsche Fortschrittsglaube, der schon längst pleite war, einen Leichengeruch hatte, der ist weg. Gott sei Dank!

Wie ist es heute?

Ich bin froh, dass man diesen Respekt vor der Schönheit dieser Stadt wiederentdeckt. Ich glaube, dass das Bedürfnis, das alte Potsdam zu erhalten, stärker geworden ist als früher. Da wird es nicht mehr so viele Stimmen geben, die gegen den Wiederaufbau der Garnisonkirche sind. Es wird nicht mehr so viele Stimmen geben, Potsdams Mitte total neu entwerfen wollen. Das hat auch mit einzelnen Personen zu tun, die sich zu dieser Stadt bekennen. Ich tue das ja auch. Vielleicht nicht so intensiv wie Herr Plattner, ich baue keine Gebäude. Ich war der erste Potsdamer, der auf internationalem Parkett für diese Stadt Reklame machte. Und damals war selbst in Hamburg, wo ich lebte, den Leuten nicht bewusst, dass Potsdam eben Potsdam ist. Und um die Ecke liegt. Was, da fährst Du hin? Sprichst Du denn deren Sprache? Das ist wirklich passiert.

Was stößt Sie in Potsdam ab?

Manche neue Siedlungen, die an Piefigkeit nicht zu überbieten sind. Dass man vor diesen Developern und Architekten solch einen Kotau macht, regt uns schon lange auf, ehrlich gesagt. Aber nach einer Weile legt sich der Zorn, allerdings nur, weil man gar nicht so lange zornig sein kann.

Wenn Sie doch mal dazu kommen sollten: Was würden Sie als erstes erkunden?

Rehbrücke!

Wie bitte?

Ja, meine Großmutter kam aus Rehbrücke, ein Teil der Ebert-Familie meiner Tante Ulla wohnte in Langerwisch. Viele von denen waren noch richtig echte Bauern. Ich war nach meiner Rückkehr noch nie dort. In meinen Kindheitserinnerungen sind dort viele Familienfeste gewesen. Ich habe die Bilder aus der Nachkriegszeit im Kopf.

Man könnte Sie als Zeitzeugen an Schulen schicken.

Es ist für mich selbst erstaunlich, welche Wege und Umwege ich als Mensch gemacht habe, der gewissermaßen in zwei Diktaturen geboren wurde. Ich habe das letzte Jahr des Faschismus als Windelkind erlebt. Es folgte die andere Diktatur, die dann schon so lange dauerte, dass wir dachten, wir müssten uns lebenslang daran gewöhnen.

Sie sind auch vor 1989 regelmäßig in der DDR gewesen. Wie haben Sie die Verhältnisse wahrgenommen?

So schön die Sommer auch waren: Es war immer auch eine Angst unter den Leuten, was als Nächstes passieren könnte. Dieses System hatte, bis ins Private hinein, eine vergiftete Atmosphäre geschaffen. Und wie es immer ist mit den Deutschen: Man wird überfallen, es gibt keine kollektive Entscheidung. Deutschland wird überfallen von den Nazis. Dann wird es überfallen von den SEDisten. Und Bumms, plötzlich ist keiner mehr von denen da.

Wir sind beim Politischen. Wie sehen Sie das, was in Deutschland passiert, das Erstarken der AfD?

Man hört diese ziemlich rechten Stimmen jetzt leider oft. Aber ich muss klar sagen, auch wenn mich Verwandte und Bekannte eher bremsen: Ich kann immer wieder nachvollziehen, dass Frau Merkels erste Reaktion so human und humanistisch war, die Flüchtlinge ins Land zu lassen. Das war die einzig mögliche Entscheidung. Da stehen Kinder und Leute vor der Grenze, und wissen nicht wohin. Das haben meine Eltern, meine Großeltern ja auch erlebt. Aber natürlich sollte ein Politiker Situationen vorausschauen und für so eine Situation auch einen Plan haben. Ich bin da auf der Seite von Sahra Wagenknecht, die ich neulich getroffen habe. Und ich kann, so wie sie es formuliert, auf der Basis der deutschen Philosophen und Humanisten, ganz gut nachvollziehen, was sie meint, wenn sie sagt, dass der Bürger auch geschützt werden muss. Gleichzeitig sehe ich diese Dörfer, die verlassen werden, diese Gegenden, die auszusterben drohen, und ich denke: Da wäre ein bisschen Basarkultur gar nicht schlecht! Auf Populisten falle ich Gottseidank nicht herein.

In Brandenburg wird dieses Jahr gewählt. Können Sie sich vorstellen, dass Sie danach vielleicht in einem Land leben, wo jeder Fünfte die AfD wählt?

Das wäre eine Katastrophe! Die AfD ist keine Antwort auf die Probleme, die wir haben. Wenn ich diese Leute schon sprechen höre, kann ich sie gar nicht ernst nehmen. Was die von sich geben, ist so grotesk. Und das ist, glaube ich, genau die Gefahr. Man kann sich nicht vorstellen, wohin das führen kann: Wenn diese Primitivität über uns hereinfällt, dann Gnade uns Gott!

Was ist ins Rutschen geraten?

Ich spüre deutlich, dass bei vielen Leuten die Idee der Demokratie ausgedient hat. Niemals hätte ich mir das vorstellen können. Ich war Student in den 68ern. Genau zu der Zeit kam ich ja auf die Uni. Ich weiß noch, wie erschreckend wir es fanden, es war die Zeit des Vietnam-Kriegs, dass einfach weitergemacht worden ist von den Erwachsenen, die wir beschuldigten. Wir haben gedacht, dass Faschismus nie wieder passieren kann. Wir haben es so oft aufgearbeitet, wie dieses Deutschland der Humanisten, der Dichter und Denker plötzlich ein völlig anderes Gesicht bekommen hatte, wie die Deutschen damals so verführbar waren. Heute denke ich: Ich war damals schon auf der Welt. Solange ist es also nicht her. Ich weiß aus diesen Erfahrungen, aus den Erzählungen meiner Familie, wie schnell Stimmungen umkippen können. Und jetzt erlebe ich, dass die Leute sich von der Idee der Demokratie verabschieden und dass überall Autokraten auf dem Vormarsch sind. Ich meine damit übrigens nicht nur die, die wir sehen. Es gibt auch die Unsichtbaren. Ich denke da an Amazon, an Mobilfunkkonzerne. Das sind die, die mitregieren. Wir sehen das noch gar nicht. Dagegen wiederum kommt mir ein AfD-Auflauf wie eine mittelalterliche Marktvorführung vor.

Sie haben immer versucht, nah am Zeitgeist zu sein. Was kann man gegen wachsenden Ungeist der Zeit tun?

Man kann zumindest sagen: Nobody can change the world, but you can change yourself! Das ist mein Ansatz. Lebe bewusst! Das tue ich. In meinem persönlichen Verhalten habe ich mich verändert. Ich gehe sehr aufmerksam mit meiner Zeit um, auch um stark und kräftig genug zu bleiben. Das Fitness- und das Ernährungsprogramm gehören zu meinem Alltag. Während ich früher, in New York, Paris oder Monaco, immer und überall dabei sein wollte, sammle ich jetzt meine Kräfte, um Kreatives zu tun. Um etwa ein Buch zu schreiben. Das war ein Kraftakt, knapp ein halbes Jahr.

Wie weit sind Sie damit?

Ich bin bei den letzten Sätzen. Und einen Titel habe ich auch schon. Manchmal fiel es mir schwer, weiterzumachen. Manchmal dachte ich, du verrennst Dich. Manchmal fing ich an abzudriften, weil mir plötzlich wieder ein Name einfiel, der erwähnt werden wollte, aber eine extra Geschichte verlangte. Sie tauchen dann nämlich auf, die Geister, die du rufst. Da drängelt sich schon wieder einer vor. Es sind jetzt 600 getippte Seiten geworden. Tausend handgeschriebene Seiten habe ich weggeworfen.

Sie schreiben per Hand?

Ja, ich kann kein Manuskript in den Computer tippen. Ich brauche den Prozess mit der Hand. Aber danach will ich es abgetippt sehen, das muss ein Anderer machen, und ich lese es wie ein Fremder.

Was werden Sie enthüllen?

Ich habe nichts zu gestehen. Ich habe nichts zu korrigieren. Aber ich möchte erzählen von diesem Menschen mit dem Narzissmus jedes Kreativen, der als Kind zu viel und auch zu wenig Aufmerksamkeit bekam. Das ist immer die Voraussetzung für dieses Narzisstische, das dich später antreibt, dir Anerkennung zu holen, die dich tröstet und deine Karriere wird.

Ihr Antrieb?

Ja. Arnold Schwarzenegger hat dies neulich auf Arte gut beschrieben. Er wurde gefragt, warum es nur wenige Leute wie ihn gibt, was der Unterschied zu den anderen Muskelmonstern ist. Seine Antwort lautete: The Drive! Er wollte aus seiner kleinen Welt entkommen, in der alles vorgezeichnet war, so wie ich auch. Er wollte raus, ich auch. Er sollte Tischler werden, ich Kunsterzieher. Das wünschte mein Vater. Da blieb nur eins, mit Karin bin ich abgehauen.

Das blieb nicht die einzige Flucht …

… als es mir dann im neuen Deutschland auf einmal so komisch wurde, weil man meinte, ich sei Stasi gewesen, diese irre Geschichte, da bin ich eben in Amerika geblieben.

Das hat Sie damals verletzt: Es gab Schlagzeilen, weil Sie Geschäfte mit der DDR gemacht hatten. Warum eigentlich?

Es ging mir allein um ein Visum. Ich wollte nicht jedes Mal warten müssen auf die Einreisegenehmigung, um meine Tante Ulla zu besuchen. Ich habe den Textilkommerz beraten, auch die Manufaktur in Meißen.

Sie gehören einer aussterbenden Spezies an. Nun ist auch Karl Lagerfeld tot.

Das macht demütig. Noch vor kurzem habe ich gesagt, dass Karl Lagerfeld der Einzige ist, der uns hoffentlich alle überlebt. Jetzt ist auch er nicht mehr da. Alle, die wie ich damals eine Firma gegründet haben, sind verschwunden. Es gibt keine Jil Sander, keinen Helmut Lang, keinen Versace, keinen Calvin Klein. Vielleicht braucht man diese Art von Modestars auch gar nicht mehr, vielleicht ist diese Zeit einfach vorbei.
Aber Sie machen immer weiter. Aus Angst vor dem Ruhestand?
Überhaupt nicht. Ich habe ja immer noch ein anderes Tool, ich kann den nächsten Knopf ziehen. Ich kann Farben mischen und anfangen, ein Bild zu malen. Ich habe mich hingesetzt, nebenbei eigentlich, und ein Buch geschrieben. Ich bin nicht der Typ für Ruhestand. Das gelingt mir nicht. Ich habe die Kraft und den Wunsch, mich auf die neue Zeit einzulassen.

Was ist der Grundansatz?

Man muss heute schneller sein, um auf Zeitgeschmack zu reagieren. Also musst Du sechs, sieben kleine Kollektionen machen, die produziert und ausverkauft werden, um auch Reste zu vermeiden. Dann machst Du was Neues! Es muss grüner, transparenter und am besten kompostierbar sein, auch ethisch vertretbar. Es geht mir darum, dass man Dinge auch länger behalten oder auch weitergeben kann, die sich vielleicht auch anpassen, oder dass man Dinge weitergibt, die aber nicht umweltschädigend sind. Das erfordert viel Know-how.

Nachhaltigkeit und Klimaschutz sind es, die heute junge Leute politisieren. Da mobilisiert eine 16-Jährige, Greta Thunberg aus Schweden, Millionen Jugendliche über Social Media. Nehmen Sie das auf?

Natürlich. Das alles passiert vor meiner eigenen Haustür. Meine Enkel fragen mich: Sag mal, gibt es bald keine Fische mehr, schwimmen dann nur noch Plastikflaschen? Trotzdem sind wir noch nicht bereit, die Wahrheit wirklich zu ertragen. Ich kenne viele, die davon nichts wissen und sich damit schützen wollen. Ich tue das nicht. Ja, es geht mir unter die Haut. Es geht mir auf die Haut. Deshalb engagiere ich mich auch im Tierschutz, gründe in Potsdam ein Tierheim, esse seit Jahren kein Fleisch mehr. Früher lebte man mit Tieren, opferte sie auch, um zu leben. Aber dass Tiere wie Fabrikmüll betrachtet werden, das geht nicht mehr. Ich sehe es so: Wer zu viel konsumiert, wer zu viel frisst von diesem Billigstzeug, der darf sich nicht beschweren, dass er sich nicht gut fühlt. Ich finde, wir müssen uns Standards anpassen, die gesund, vernünftig und modern sind. Es ist eine Frage der Kultur und einer neuen Erziehung, wie wir mit der Natur umgehen.

Sie leben intensiv. Wie spielt Ihre Konstitution, Ihre Gesundheit mit?

Ich merke manchmal, physisch nehmen die Kräfte ein bisschen ab. Ich könnte nicht mehr wie früher die ganze Nacht auf der Fashion Week durchfeiern und danach ein Interview geben. Fliegen fällt mir schwerer als früher, danach merke ich meinen Kreislauf, der unter der Aircondition leidet. Man wird einfach empfindlicher. Meine Mutter hat ihre aktuelle Befindlichkeit am Tag angemeldet: Mir tut der Kopf weh, mir tun die Füße weh. Mir tut der Rücken weh. Ich habe schlecht geschlafen. Das kennen wir ja von den alten Damen. Eigentlich möchte ich meine Wehwehchen auch jeden Tag wenigstens anmelden. Aber es wird mir nicht erlaubt. Edwin sagt dann sofort: Das habe ich doch gestern schon gehört! (lacht) Also lass ich’s. Momentan bin ich dabei, mich selber zu erziehen, nicht wehleidig zu werden.

Sie sind Gast-Juror in der Heidi-Klum-Sendung „Germanys next Topmodel“. Warum lassen Sie sich dort zum „Wolle“ machen?

Das war Heidi. Die hat das in Umlauf gebracht. In der Schule in Bornstedt wurde ich auch schon so genannt. Aber gefallen hat es mir schon damals nicht. Ich mache die Sendung gern. Mich berührt sehr, dass die Mädchen dort das unbedingt, unbedingt machen wollen. Natürlich locken sie die Aufmerksamkeit, die Reisen. Trotzdem: Es ist ein gehobenes Bootcamp.

Dort erlebt man Sie sehr emotional. Haben die Deutschen Sie erst über diese Sendung richtig kennengelernt?

Ich verstelle mich nicht. Ich denke, gerade mit dieser Sendung, mit der großartigen Heidi Klum als Gegenspielerin, haben die Leute in Deutschland mich entdeckt wie ich wirklich bin. Und es hat mir wiederum ganz neue Fans eingebracht. Der Selfie-Alarm findet heute statt, wenn ich junge Mädchen treffe. Das gibt mir Rückenwind, mich damit auseinanderzusetzen, für diese Generation etwas zu machen. Denn das ist die Kundin, die ich jetzt kenne. Die davor, die mit der riesigen goldenen Kreditkarte, die kannte ich gar nicht so genau.

Begegnen Sie den neuen Fans auch in Potsdam?

Ständig, neulich war wieder vorm Friseur in der Friedrich-Ebert-Straße ein großer Auflauf von jungen Mädchen, die alle GNTM schauen.

Bleiben wir gleich dort, in der Friedrich-Ebert-Straße, in Potsdams Innenstadt: Der neue Oberbürgermeister Mike Schubert möchte den alten Stadtkanal aufgraben lassen. Eine gute Idee?

Eine tolle Idee! Es wäre wunderbar. Als kleiner Junge habe ich den Stadtkanal noch gesehen, mit den Figuren dran. Dann war er verschwunden. Jetzt sind nur Reste da, die keinen Sinn ergeben.

Sie würden das unterstützen?

Ich hatte zwar noch keine Gelegenheit, den neuen Oberbürgermeister kennenzulernen. Ich sage aber: Sofort!

Oder sollte die Stadt lieber das Tierheim finanzieren?

In Potsdam kriegt man beides hin. Hier leben so viele wohlhabende Leute. Diese Stadt ist ja wirklich privilegiert.

Sie lieben Kunst. Sie machen Kunst. Sie sammeln Kunst. Was hat Ihnen in Hasso Plattners Museum Barberini bisher am besten gefallen?

Die DDR-Ausstellung. Ich finde es gut von Herrn Plattner, dass er gerade diese Ausstellung gemacht hat, die sehr, sehr wichtig ist.

Sie haben ein Faible für DDR-Künstler?

Ich habe ein Faible für außergewöhnliche Kunst. Ich habe mich schon früher mit DDR-Kunst auseinandergesetzt. Als ich kurz studierte, war ich ja malerisch mehr im Realismus zu Hause als im Abstrakten oder in der Pop-Art, eher wie Neo Rauch …

… einer der bedeutendsten Vertreter der Neuen Leipziger Schule.

Ich sollte ihn mal anrufen. Ich kenne ihn persönlich, ich mag ihn wahnsinnig gern. Ich fand auch Mattheuer toll. Karin hat noch einen Tübke. Aber ich habe eben auch gespürt, als ich durchs Barberini ging, dass manche Bilder eine Idylle hatten, die ich aus der DDR kannte. Die Partei ließ einen ja in Ruhe, wenn Du friedlich, mit langen Haaren nur Deine Idylle lebtest. Andere wiederum, die Auftragskünstler waren, die Fassaden mit dem magischen Kommunismus-Realismus malten, sind stigmatisiert worden, genau wie die faschistische Kunst. Auch die kann sehr schön sein. Ich stehe auf Künstler, die im Konflikt stehen.

Zum Beispiel?

Ich bin ein begeisterter Sammler von Richard Müller, dem Lehrer von Otto Dix und George Grosz, der erst in der Nazizeit Probleme hatte, dann auch in der DDR. Er hatte einfach immer Probleme. Er ist ein unglaublicher Maler.

Warum?

Richard Müller war Direktor an der Kunstakademie in Dresden. Er kam aus Breslau, es gibt keine Literatur über ihn. Er hat, als es die erste Entarteten-Ausstellung gab, damals gesagt: Es gibt ein paar Maler, die können gar nicht malen, aber glauben unter dem Mantel der entarteten Kunst existieren zu können. Das hat man ihm ausgelegt als wäre er ein Nazi. Er war in der NSDAP auch kurz drin, ist aber rausgeworfen worden, weil er Jesus als Juden gemalt hat. Seine Kunstrichtung kann man nicht einordnen. Es ist magischer Realismus, Surrealismus, Fotorealismus, auch alles auf einmal. Die DDR hat die ganzen Bilder verscheuert nach Amerika, für Devisen. Die Bilder sind schwer zu verstehen, ehrlich gesagt. Aber er ist ein unglaublicher Maler. Ich setze mich mit der Vita, mit Problemen der Künstler auch auseinander. Manche fallen wie Designer einfach durch, sind technisch vielleicht grandios, aber es ist die falsche Zeit, das falsche Publikum.

In Potsdam geht die Auseinandersetzung weiter, wie viel DDR-Architektur bleiben soll, bleiben muss. Wie sehen Sie das?

Ich hatte mich an das Stadtbild mit der DDR-Architektur gewöhnt. Ich hatte kein Feindbild. Aber wenn man es genau nimmt, ist vieles medioker, also mittelmäßig, schlechte Qualität. Und diese Stadt hat nun einmal ihre Balance im 18. und 19. Jahrhundert gefunden, mit Lenné und Persius, mit Knobelsdorff und Schinkel. Große Geister haben hier Architektur hinterlassen, Einstein, Siemens, die Langenscheidts. Eine Zeitlang war ich im Zwiespalt. Aber jetzt bin ich wirklich eindeutig dafür, dass wir dem Stadtbild von Potsdam nachhelfen können mit Garnisonkirche und Stadtkanal. Auch Potsdam mit dem Weltkulturerbe ist in seinen Kontrasten am besten. Potsdam ist nun mal Potsdam.

Nach dem Tod von Tante Ulla war für mich nichts mehr wie es war.

Wolfgang Joop

Das Interview führte Sabine Schicketanz, Mitarbeit Thorsten Metzner.

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