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Impressionen aus Potsdam in der Zeit der Coronakrise: Samstag in der Brandenburger Straße.

© Carsten Holm

Wie Potsdam mit der Coronakrise umgeht: Leben mit der unsichtbaren Gefahr

Abstand halten, verzichten und vernünftig sein, aber auch den Mut nicht verlieren: Ein Rundgang durch Potsdam in Zeiten des Ausbruchs des Coronavirus. 

Von Carsten Holm

Potsdam - Es ist kalt, gerade sechs bis sieben Grad Celsius, die Sonne scheint den ganzen Nachmittag. Es sind, ob im Potsdamer Zentrum oder in Babelsberg, nur wenige Menschen unterwegs. Nur ein paar wagen sich, warm angezogen, an die Tische auf den Terrassen der Cafés. Die Pandemie hat die Stadt im Griff und in weiten Teilen zum Erliegen gebracht. Die Nachricht des Tages aber formuliert Frank v. Bergen gegen Mittag an seinem Fischwagen auf dem Markt am Nauener Tor: „Die Leute sind in den vergangenen Tagen aufgewacht. Sie haben begriffen, was ihnen droht, wenn sie nicht den Empfehlungen folgen. Sie halten an meinem Stand und an den anderen hier Abstand und weisen jeden Kunden, der sich nicht daran hält, auch schon mal energisch darauf hin.“

Regierungschef Dietmar Woidke (SPD) hat am Freitag auf einer Pressekonferenz zwar eine Ausgangssperre „für die nächsten Tage“ ausgeschlossen -  aber vielen scheint klar zu sein, dass die drastische Maßnahme unumgänglich werden könnte, wenn die Bürger nicht dem Appell folgen sollten, Abstand zu wahren und in ihren Wohnungen auszuharren, damit der exponentielle Anstieg der Neuinfektionen mit dem Coronavirus gestoppt wird. „Es ist doch klar, dass das kommt, wenn die Leute unvernünftig sind“, sagt Fischhändler v. Bergen, der auch Märkte am Babelsberger Weberplatz, in Rehbrücke, in der Waldstadt sowie in Henningsdorf, Falkensee und Kremmen beschickt. Er ist optimistisch: „Es hat sich etwas getan. Auf allen meinen Märkten ist die Vernunft sichtbar.“

Markt am Nauener Tor am Samstag.
Markt am Nauener Tor am Samstag.

© Carsten Holm

Auf großformatigen Plakaten haben die Händler ihre Mahnung formuliert: „Bitte Abstand nehmen!“, heißt es etwa am Obstsaftstand, Strichmännchen  symbolisieren, dass es ein „1-2 m“ sein sollten. Süleyman Ugmaz aus Berlin, der nebenan die Obstkutsche betreibt, hat alle Mitarbeiter zum Tragen von Mundschutz verpflichtet. „Man spürt, dass die Stimmung unter den Menschen sehr bedrückt ist“, sagt er. Sein Geschäft habe unter der Coronakrise allerdings kaum gelitten. Er habe von Kunden gehört, dass sie lieber auf dem Markt, unter freiem Himmel einkaufen als in Supermärkten, „die Risiken sich zu infizieren, sind hier draußen wohl wirklich geringer“.

Schild auf dem Markt am Nauener Tor. 
Schild auf dem Markt am Nauener Tor. 

© Carsten Holm

Im Ristorante „Cancello“ direkt am Nauener Tor sitzt Andrea Schmidt mit ihrem Mann. „Wir kaufen hier ein, aber dann werden wir den Rest des Wochenendes strikt zuhause verbringen. Wir nehmen die Regeln absolut ernst“, sagt Schmidt, „und wir freuen uns, dass wir um unser Haus eine Grünfläche haben“. Da wissen sie noch nicht, dass Oberbürgermeister Mike Schubert ein paar Stunden später, am Samstagnachmittag, den Restaurants per Allgemeinverfügung untersagen wird, Außensitzplätze anzubieten

Immer mehr Potsdamer wollen sich testen lassen

Ob sie aus Risikogebieten in Österreich, der Schweiz, Italien oder Spanien kommen oder aus anderen Gründen fürchten, sich an Covid-19 erkrankt zu sein: Immer mehr Potsdamer möchten sich testen lassen. Das St. Josefs-Krankenhaus hat auf seinem Klinikgelände nahe Sanssouci ein sogenanntes Sichtungszelt in Betrieb genommen und die Stadt hat am Freitag eine weiteres Screening-Center in der früheren Kita des DRK in der Pietschkerstraße eröffnet. In beiden Einrichtungen werden aber ausschließlich Verdachtspersonen untersucht, die unter Corona-typischen Symptomen leiden und eine Überweisung ihres Hausarztes mitbringen. Bei Potsdamern mit Erkältungssymptomen wird kein Abstrich vorgenommen – und es ist für die Ärzte nicht immer einfach, die bisweilen höchst energisch formulierte Forderung nach einem Test zurückzuweisen. Mitunter hilft aber schon die bloße Anwesenheit eines uniformierten Wachmanns, um eine angespannte Lage zu beruhigen.

Der Potsdamer Hausarzt Dr. Jan-Tobias Keulen vor dem Zelt, in dem am St. Josefs-Krankenhaus in Potsdam Coronaabstriche gemacht werden.
Der Potsdamer Hausarzt Dr. Jan-Tobias Keulen vor dem Zelt, in dem am St. Josefs-Krankenhaus in Potsdam Coronaabstriche gemacht werden.

© Carsten Holm

Zu dem Potsdamer Hausarzt Jan-Tobias Keulen kamen am Samstag allein von 9 bis 14 Uhr mehr als 30 besorgte Bürger, die meisten im Alter von 30 bis 40 Jahren, in das Screening-Center in der frühere Kita Am Stern. Mehrere hatten sich in Krisenregionen aufgehalten, einer in Madrid. „Einige mussten wir wegschicken, weil sie nicht in das Raster für den Abstrich passten“, sagte Keulen.

Dr. Ulrich Wüllenkemper, Hausarzt in Potsdam, nimmt Coronaabstriche im Screening-Center Am Stern.
Dr. Ulrich Wüllenkemper, Hausarzt in Potsdam, nimmt Coronaabstriche im Screening-Center Am Stern.

© Carsten Holm

Zu Ulrich Wüllenkemper, niedergelassener Arzt in Babelsberg, kamen bis Samstagmittag 15 Patienten in das Testzentrum in der Pietschkerstraße. „Fast alle haben akzeptiert, dass wir ohne Symptome nicht testen können, weil das System überlastet ist“, sagte Wüllenkemper den PNN, „den Leuten gelingt nicht immer der Spagat zwischen angemessener Vorsicht und Angst“. Bisher arbeiten Allgemeinärzte in den beiden Zentren für Coronaabstriche. „Es wäre hilfreich, wenn sich an dieser Arbeit alle Facharztgruppen beteiligen würden“, sagt der Arzt. Denn in den Praxen der Allgemeinmediziner sei der Beratungsbedarf für Risikopatienten „immens gestiegen“.

Trickbetrug mit angeblichen Coronatabletten

Ein paar hundert Meter weiter steigt Karin Bieber aus ihrem Auto. Sie ist gerade von der Dialyse zurückgekehrt, dreimal wöchentlich wird ihr Blut im St. Josef-Krankenhaus gewaschen. „Ich bin eine absolute Risikopatientin“, sagte sie den PNN, „aber ich bin sehr vorsichtig und achte strikt auf Hygiene.“ Sollte es zu einer Ausgangssperre kommen, werde sie das aushalten: „Ich habe zum Glück zwei Söhne, die mir jetzt schon Getränkekisten in die Wohnung tragen und mich dann versorgen.“

Entsetzt ist Bieber, dass Kriminelle vor ein paar Tage am Stern versuchten, mit Straftaten ein Geschäft mit der Krise zu machen: „Sie klingelten an meiner Tür und wollten Tabletten gegen Corona verkaufen. Ich habe ihnen gesagt, dass ich keine brauche.“ Im Babelsberger Restaurant „La Copa“ an der Karl-Liebknecht-Straße sitzen die 78 Jahre alte Gudrun Schulz und ihr fünf Jahre älterer Bekannter Dieter Lemke. „Ich bin fast immer in meiner Wohnung, aber vorhin habe ich Dieter, der in der Nähe wohnt, abgeholt. Wir brauchen beide auch mal frische Luft“, sagt die Seniorin. Sie sei ein ungemein kulturell interessierter Mensch, sei Dauergast bei Veranstaltungen im Babelsberger Kulturhaus und leide sehr darunter, „dass jetzt alles geschlossen ist“. Es sei „furchtbar, ohne Kino, Theater und Vernissagen zu leben, ich wollte mir Monet im Barberini ansehen, und nichts geht mehr“.Sie tröstet sich mit Apfelspalten, die mit Ziegenkäse überbacken sind, und einem Glas Rosé. Mitarbeiter des Ordnungsamtes kümmern sich darum, dass sich die wenigen Gäste im „La Copa“ nicht zu nahe kommen. „Die kommen mitunter mehrmals am Tag vorbei“, erzählt eine Serviererin, „mal schauen sie von draußen herein, mal statten sie uns einen kurzen Besuch ab. Aber wir sorgen selbst dafür, dass  der Abstand gewahrt bleibt“.An der Langen Brücke werfen die Schüler Lennard Vogt und Luis Rimland ihre Angeln in die Havel. Für die 16 Jahre alten Jungen ist es ausgemacht, dass dies „der beste Ort in Potsdam ist, um Barsche und auch mal Zander zu angeln“, sagt Lennard, „es kommt vor, dass einer nach fünf, sechs Minuten anbeißt“. Sie besuchen die zehnte Klasse des Babelsberger Bertha-von-Suttner-Gymnasiums. Seit Mittwoch ist die Schule geschlossen, bis zum Ende der Osterferien wird sie es bleiben. Das sei, findet Lennard, „eine verdammt lange Zeit“. Es sei wegen der Bedrohung durch das Coronavirus alternativlos, Kontakte zu anderen „wann immer es möglich ist zu vermeiden“. Man treffe sich abends nur noch zu zweit: „Was bleibt, sind Computerspiele.“ Eine Ausgangssperre, sagt der Schüler, „wäre schrecklich“.Am Luisenplatz genießt ein gutes Dutzend Gäste des Cafés „Babette“ die Sonnenstrahlen. Sie sitzen, wenn sie ein Paar oder verwandt sind, im empfohlenen Abstand voneinander. Sie sind vernünftig. Aber sie ahnen noch nicht, dass sie ihr Eis oder ihren Cappuccino am Samstagnachmittag für wohl längere Zeit zum letzten Mal im Freien genießen dürfen. 

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