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Neues Palais Potsdam: Zutritt nur mit preußischem Stempel

Wie lebte es sich als prominente Familie im Neuen Palais? Der Potsdamer Buchautor Jörg Kirschstein hat dazu geforscht und bietet eine neue, unterhaltsame Sicht auf das Wilheminische Kaiserreich.

Das Klagen über die baulichen Zustände im Neuen Palais ist keine Erfindung der Schlösserstiftung. 1858 schreibt ein Hofbeamter, dass das Schloss seinem „gänzlichen Verfall entgegen“ gehe. Seine Mängelliste ist lang, Tapeten, Dekorationen, Spiegel und Gardinen seien in schrecklichem Zustand, heißt es, außerdem „die Meubles vom Wurm zernagt“. Der Grund der Inventur: Kronprinz Friedrich Wilhelm hatte geheiratet und suchte eine Wohnung. Und so holte man Handwerker ins Haus, die das etwas verlotterte Neue Palais – jahrelang war es nur sporadisch genutzt worden – bezugsfähig machen sollten. Im Mai 1859 konnte die junge Familie endlich einziehen. Gattin Victoria von England hatte trotzdem noch Wünsche, vor allem sollten endlich die sanitären Anlagen modernisiert werden, aus ihrer Heimat kannte sie moderne Wasserklosetts.

Das dauerte in Potsdam allerdings etwas, erst in den 1860er Jahren wurden Bäder eingebaut, bis 1874 immerhin zehn Toiletten in den prinzlichen Wohnräumen – schließlich wuchs die Familie. Zeitgleich mussten die Heizungsanlagen und Kamine renoviert werden.

Fast von Anfang an ein Sanierungsfall

All das sind Fakten, die der normale Besucher des Neuen Palais’ nie erfährt. Jetzt gibt es ein Buch, das das Leben der Hohenzollern nach Friedrich dem Großen im Neuen Palais thematisiert. „Das Neue Palais in Potsdam. Familienidyll und kaiserlicher Glanz“ von Jörg Kirschstein erschien im August im Bebra-Verlag. Kirschstein, Hohenzollernexperte, studierter Archivar und heute Kastellan im Schloss Babelsberg, schaut hier auf das Neue Palais der Wilhelminischen Zeit bis zur Nachkriegszeit und hat vor allem zum Alltag in diesem größten Potsdamer Schloss geforscht. Das Buch stand lange auf seiner To-do-Liste, erzählt er in seinem Büro im Schloss Babelsberg. Als Schüler hatte er einen Ferienjob als Aufsichtskraft im Neuen Palais, später führte er hier Touristen. Und immer häufiger fragte er sich: Wo hatten die Herrschaften ihre Badezimmer und wie sahen sie aus? Wie dekorierten sie ihre privaten Gemächer? Wie wurde geheizt und wo spielten sie Tennis? Und vor allem, wie bekam die Familie den Spagat zwischen Öffentlichkeit und Privatsphäre organisiert?

„Denn die Hohenzollern waren vielleicht die wichtigste Familie Deutschlands, aber schließlich auch Privatleute“, sagt Kirschstein. Im Neuen Palais wurde regiert, repräsentiert, aber es wurden auch Kinder geboren und Prinzengeburtstage gefeiert. Dem Schloss, so wie es heute der Besucher erlebt, ist das kaum anzusehen. Etwa 50 Prozent der Räumlichkeiten bekommt der Museumsgast zu sehen, darunter vor allem repräsentative Räume. Vieles ist nach wie vor versteckt hinter verschlossenen Türen. „ Es ist ja alles noch da, es muss nur gelüftet werden“, sagt Kirschstein.

Schaukel und Wippe für die königlichen Kinder

Viel Zeit verbrachte der Autor allerdings in Archiven, hauptsächlich im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz. In den Journalen des Hof-Fouriers, der für die Logistik bei Hofe und mehr als 500 Mitarbeiter zuständig war, wurde alles und jedes protokolliert, sagt Kirschstein. Wer wann wohin reiste, wer zu Besuch kam und was der Prinz den ganzen Tag machte: „3.30 Uhr fuhren Seine Majestät zur Pirsch in den Wildpark und erlegten drei Hirsche“, wird an einer Stelle festgehalten.

„Das war viel Spaß, aber auch viel Arbeit“, sagt Kirschstein zur Archivrecherche. Die alten Bücher, die im Übrigen jedermann einsehen kann, werden zum Lesen am Tisch auf Schaumstoff gebettet, damit die Bindung keinen Schaden nimmt. Mit Bleigewichten werden die aufgeschlagenen Seiten festgehalten. „Da sitzt man dann stundenlang – natürlich ohne Teepott – und schreibt alles von Hand ab.“ Weitere Quellen waren zahlreiche Briefe, die vor allem die weiblichen Mitglieder der Hohenzollern schrieben und die oft sehr persönliche und berührende Einblicke in das Privatleben erlauben. So schreibt Victoria 1863 an ihre Mutter über den neu eingerichteten Privatgarten der Familie: „Ich habe verschiedene Verbesserungen vorgenommen – so habe ich eine Schaukel, eine Wippe und einen großen Durchgang für die kleinen und großen Kinder aufstellen und auch einen Crockett-Platz anlegen lassen.“ Auch die Bildauswahl zeigt die Familien als das, was sie jenseits vom höfischen Protokoll waren: Mutter, Vater, Kinder. Zauberhaft sind die Familienporträts, in denen Friedrich II. als auch Wilhelm II. als zärtliche Väter im Familienkreis, mit kleinen Prinzen und Prinzessinnen auf dem Schoß, dargestellt sind.

Dampfheizung und elektrisches Licht für den Palast

Nach Friedrich III. und Victoria ziehen Wilhelm II. und Auguste Victoria ein und die Renoviererei geht weiter. Eine Dampfheizung wird installiert, elektrisches Licht und wieder werden die Badezimmer modernisiert. Sieben Kinder werden es mal sein. Kirschstein hat Unterlagen zu den Kinderzimmern gefunden und zeigt im Buch auch seltene private Momentaufnahmen aus dem Kinderalltag.

Im Buch findet sich zudem eine Fülle an Bildern, die die damals zeitgemäße Inneneinrichtung dokumentieren. „Ich war überrascht, wie geschmackvoll und wohnlich man eingerichtet war, mit Teppichen, Grünpflanzen, manchmal schon mit Fotokunst an den Wänden.“

Straßensperrung und Wachen: Volk blieb auf Sicherheitsabstand

Kirschstein beschreibt auch personelle und bauliche Maßnahmen für mehr Sicherheit: So wird die einst direkt am Schloss entlangführende Straße gesperrt und verlegt – dahin, wo sie heute noch ist. Dennoch passierte es immer wieder, das Privatpersonen sich dem Schloss nähern konnten. Das gab natürlich Ärger. Zeitweise wurden Legitimationskarten – nur echt mit königlich-preußischem Stempel – ausgegeben, die Zutritt zum Schlossareal erlaubten und von den Posten im Wachhäuschen kontrolliert wurden.

Das letzte Kapitel widmet sich dem Schloss nach 1918, als vorübergehend eine Tanzschule einzog, der preußische Staatsrat hier unterm Hakenkreuz tagte und im Schlosshof Hermann Göring die Ehrenformation von SA und SS abschritt.

„Da ist so vieles noch nicht aufgearbeitet“, sagt Kirschstein. Sein Buch soll eine Anregung sein, zu schauen, „was da alles im Neuen Palais passiert ist“. Eine politische Auseinandersetzung ist spätestens im kommenden Jahr fällig, wenn im Neuen Palais an 100 Jahre Abdankung des letzten Kaisers erinnert wird.

Buchvorstellung mit Jörg Kirschstein am 28.9. um 18 Uhr im Potsdam Museum

Jörg Kirschstein: Das Neue Palais in Potsdam. Familienidyll und kaiserlicher Glanz. Bebra-Verlag 2017, 192 Seiten, 170 Abbildungen, teils farbig, gebunden. 26 Euro.

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