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Lesermeinung: Zulasten der Kolonisten

Gutachten bezichtigt Stadt Werder, Flächennutzungsplan auf das Pektinwerk zugeschnitten zu haben

Werder (Havel) - Hat die Stadt Werder bei der Aufstellung ihres Flächennutzungsplans geschummelt? Das zumindest legt ein Gutachten des Potsdamer Rechtsanwalts Uwe Graupeter nahe. Graupeter vertritt knapp 20 Bewohner der Kolonie Zern im Ortsteil Kemnitz, die sich durch den seit anderthalb Jahren gültigen Flächennutzungsplan um ihr Baurecht betrogen fühlen. Sein den Stadtverordneten zugestelltes Gutachten legt nahe, dass die benachbarte Firma Herbstreith & Fox mit ihrem Pektinwerk zulasten der Kolonisten begünstigt werden sollte. Rund 100 Bürger sind in der Kolonie Zern hauptwohnsitzlich gemeldet, darüber hinaus soll es etwa 200 „Wochenendhäusler“ geben.

Flächennutzungspläne sind die kommunale Richtschnur der städtebaulichen Entwicklung für die nächsten 15 Jahre. Mit Rücksicht auf den Bestand wird festgelegt, wo sich Wohn-, Gewerbe-, Freizeit- und Grünflächen entwickeln können. Knackpunkt für Graupeter: Die im alten Kemnitzer Flächennutzungsplan noch als Fläche für Wochenend-, Wohnhäuser und Erholung ausgewiesene Kolonie Zern wurde seinerzeit zu Grünfläche und Wald „herabgestuft“. „Das Recht auf Eigentum und Erholung wurde dabei vollständig missachtet“, sagte der Anwalt den PNN.

Zwar gilt für die Gebäude, die auf dem über 15 Hektar großen Areal an der Havel stehen, ein Bestandschutz, den auch das Pektinwerk zu berücksichtigen hat. Doch Um- und Neubauten sind in der abgelegenen Obstzüchtersiedlung nicht mehr möglich, die Bewohner dürfen sich nicht mal Bootsschuppen bauen. „Seitdem der Flächennutzungsplan wirksam wurde, gibt es auch immer häufiger Beseitigungsverfügungen der Bauaufsicht“, so Graupeter. Wo früher zum Beispiel eine ungenehmigte Sauna nachträglich legalisiert werden konnte, muss heute abgerissen werden. Einige Anwohner haben den Verfügungen bereits widersprochen.

Zu Recht, meint Graupeter. Denn bei der Aufstellung des Flächennutzungsplans hatte allein das Pektinwerk Einspruch dagegen eingelegt, dass die Kolonie ihren Status behält. Auf der anderen Straßenseite der L 90 gelegen hat man wenig Interesse an Häusern und Bungalows in der Nachbarschaft, mit denen Abgas- und Lärmgrenzwerte steigen. Dem Unternehmen sollte der Weg für die seit einigen Jahren geplante Erweiterung in doppelter Hinsicht geebnet werden, meint der Anwalt: Wunschgemäß wurde die Mischgebietsfläche, auf der die Industrieanlage steht, zur Gewerbefläche „heraufgestuft“.

In Graupeters Gutachten heißt es dazu: „Die Stadtverwaltung hat sich im Laufe des Flächennutzungsplanverfahrens immer einseitiger zugunsten des Pektinwerks und zulasten der Eigentümer und Nutzer der bebauten Grundstücke in der Kolonie Zern positioniert.“ Eigentumsrecht und Grundstücksentwertung hätten in der Abwägung keine Rolle gespielt – laut Graupeter ein Verfahrensfehler. Für eine Normenkontrollklage gegen den Flächennutzungsplan sei es zwar wegen der einjährigen Klagefristen zu spät. Graupeter hofft allerdings, mittels Gespräche den alten „Status Quo“ wieder herzustellen. Andernfalls könne die Rechtmäßigkeit des Planwerks auch für den Einzelfall geprüft werden, zum Beispiel bei der nächsten Beseitigungsverfügung. Graupeter ist guter Dinge, einen solchen Rechtsstreit zu gewinnen. Was die Kolonie Zern angeht, sei der Plan „unwirksam“.

Das Rathaus reagierte gestern knapp auf eine Anfrage zu dem Fall: „Fakt ist, dass wir einen rechtskräftigen Flächennutzungsplan haben“, sagte die 1. Beigeordnete Manuela Saß. Graupeters schriftliche Ausführungen nannte sie „ein Parteigutachten“. „Inhaltlich werde ich mich nicht dazu äußern.“ Der Bebauungsplan für die geplanten Erweiterungen des Pektinwerks steht am Dienstag auf der Tagesordnung des Kemnitzer Ortsbeirats. Es dürfte voll werden im Gemeindehaus.

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