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Brandenburg: „Wir sind Vorreiter bei der Energiewende“

Brandenburgs Wirtschaftsminister Albrecht Gerber über Perspektiven für die Lausitz, den langen Abschied von der Braunkohleverstromung und Brandenburgs Beitrag zum Klimaschutz

Herr Gerber, wie sieht Ihre Zukunftsvision für die Lausitz aus?

Mit Visionen ist das immer so eine Sache. Ich orientiere mich eher an den aktuellen Gegebenheiten. Die Lausitz hat in den letzten 25 Jahren ja schon einen grundlegenden Strukturwandel hinter sich gebracht. Von ungefähr 100 000 Menschen, die 1990 in der brandenburgischen und der sächsischen Lausitz in der Energiewirtschaft gearbeitet haben, sind jetzt noch ungefähr 10 000 übrig. Daran sieht man schon, dass dort erhebliche Veränderungen stattgefunden haben. Gleichzeitig haben wir zum Beispiel in Schwarzheide und im Industriepark Schwarze Pumpe moderne, neue Industrien ansiedeln können. Die Kraftwerke in der Lausitz sind modernisiert worden und gehören zu den effizientesten in Deutschland. Gleichwohl wird es irgendwann eine Zeit nach der Kohle geben. Ich glaube aber, dass das noch viel länger dauern wird, als manche glauben.

Wie bereitet sich denn die Lausitz auf die Zukunft ohne Kohle vor?

Zum einen wird die Region weiter auf Energie setzen, mit und neben der Kohle. Wir haben an der BTU Cottbus-Senftenberg beachtliche wissenschaftliche Kompetenz zu diesem Thema, auch was Energienetze und die Entwicklung von Stromspeichern angeht. Die Lausitz ist eine Region, die sich in den vergangenen Jahrzehnten sehr bewusst als Energieregion verstanden hat. Dort gibt es das Bewusstsein, dass Energieversorgung etwas Notwendiges und Wichtiges ist, und es gibt einen gewissen Stolz, an der Bewältigung dieser wichtigen Aufgabe beteiligt zu sein. Das ist heutzutage in Deutschland schon ein Alleinstellungsmerkmal. Daneben entwickelt sich die Region mehr und mehr zu einem attraktiven Reisegebiet, die Touristenzahlen wachsen. Das Lausitzer Seenland, das größte binnenländische Seengebiet in Deutschland, nimmt mehr und mehr Gestalt an. Was die Lausitz dringend braucht, ist eine bessere Verkehrsanbindung. Der zweigleisige Ausbau der Eisenbahnstrecke Cottbus- Berlin ist unerlässlich, aber auch die Verbindungen in die sächsische Landeshauptstadt Dresden müssen besser werden.

Der Potsdamer Klimaforscher Hans-Joachim Schellnhuber hat ein Investitionsprogramm vorgeschlagen, damit in der Lausitz so etwas wie ein Silicon Valley für neue Technologien entstehen kann. Was halten Sie davon?

Ich weiß nicht, ob wir uns mit dem Silicon Valley messen sollten. Richtig ist aber, dass wir bei dem Thema Forschung und Entwicklung sowie bei der Implementierung neuer Technologien im Energiebereich eine führende Rolle spielen können. Das wollen wir als Landesregierung nach Kräften unterstützen. Und wir setzen natürlich auch darauf, dass die Bundesregierung ihren Teil dazu beiträgt.

Die Energiewirtschaft der Lausitz hat ja auch viel mit dem Klima zu tun. Was für Konsequenzen wollen Sie in Brandenburg aus dem neuen Weltklimavertrag ziehen?

Ohne Ostdeutschland hätte es seit 1990 keine nennenswerten CO2-Reduktionen in Deutschland gegeben, hier ist der Löwenanteil erbracht worden. Deutschland hat seinen CO2-Ausstoß seit 1990 massiv reduziert, während er in China um 300 Prozent gestiegen ist. China ist mit Abstand der größte CO2-Emittent der Welt. Deutschland hat insgesamt bei Energie, Wärme und Verkehr einen Anteil von 2,2 Prozent am weltweiten CO2-Ausstoß. Wir sind Vorreiter bei der Energiewende und beim Klimaschutz. Das können wir aber nur bleiben, wenn unsere Industrie auch weiterhin genug Geld verdient, um wettbewerbsfähig zu bleiben und auch in Forschung und Entwicklung investieren zu können. Eine Tonne Stahl wird in China mit einem viel höheren CO2-Ausstoß produziert als in Deutschland. Deswegen bringt es nichts, jetzt die deutsche Stahlindustrie mit neuen Reglementierungen in die Knie zu zwingen und dafür Stahl aus China zu importieren. Damit lässt sich die deutsche CO2-Bilanz auf dem Papier vielleicht ein wenig aufhübschen. Das Weltklima würde aber sogar zusätzlich belastet.

Was könnte man trotzdem in Brandenburg tun, um das Weltklima zu retten?

Wir sind derzeit dabei, unsere Energiestrategie 2030 zu evaluieren, um sie fortzuschreiben. Dabei werden wir natürlich auch die Diskussionen vom Pariser Klimagipfel mit berücksichtigen. Wir haben in unserer Energiestrategie schon jetzt sehr ambitionierte Ziele formuliert, wollen bis 2030 eine Verringerung des CO2-Ausstoßes um 72 Prozent erreichen. Gemessen am Referenzjahr 1990 haben wir bereits mehr erreicht als die meisten anderen Bundesländer. Aber wir müssen auch vernünftige Rahmenbedingungen für eine wettbewerbsfähige Wirtschaft und eine wettbewerbsfähige Industrie erhalten.

Herr Schellnhuber hat zum Klimaschutz einen Ausstieg aus dem Braunkohletagebau bis etwa 2030 gefordert. Wann kommt das Aus für die Kohle in Brandenburg?

Bei diesem Thema halte ich gar nichts von Jahreszahlen. Theoretisch zumindest, dafür gäbe es natürlich keine Mehrheiten, könnten wir beschließen, wieder in die Atomkraft einzusteigen und damit unsere Energieversorgung zu gewährleisten. Technisch jedenfalls würde das funktionieren. Dass wir unsere Energieversorgung ab einem Tag X komplett auf erneuerbare Energien umstellen, ist dagegen vorerst überhaupt nicht möglich. Dazu bedarf es noch erheblicher Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen bei den Netz- und bei den Speichertechnologien. Wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht, kommen wir derzeit ohne die konventionellen Energieträger nicht aus. Wir können erst dann auf die Kohle als Brückentechnologie verzichten, wenn es möglich ist, Strom aus erneuerbaren Energien zuverlässig rund um die Uhr bereitzustellen. Das ist keine Frage des politischen Wollens, sondern der technischen Machbarkeit. Ich kenne keinen seriösen Politiker oder Wissenschaftler, der mir ein verlässliches Datum nennen kann, wann wir diesen Stand erreicht haben. Statt über Ausstiegsdaten zu diskutieren, sollten wir alles daran setzen, die Energiewende weiter voranzubringen. Wenn wir das geschafft haben, dann ist auch die Zeit der Kohle vorbei. Aber ob das ab 2040 oder 2050 oder wann auch immer ist, das weiß ich nicht.

Welche Fortschritte gibt es denn da?

Seit dem vergangenen Sommer ist die sogenannte Stromautobahn beschlossene Sache, also der Bau von Gleichstromtrassen von Nord nach Süd, um den Windstrom aus dem Norden in die Verbrauchszentren im Süden zu bringen. Diese Anlagen müssen jetzt aber erst einmal gebaut werden. Auch dagegen gibt es teils Widerstände. Zudem wird weiter daran gearbeitet, Speichertechnologien im industriellen Maßstab zu entwickeln. Kürzlich war ich beispielsweise dabei, als in Feldheim im Landkreis Potsdam-Mittelmark der größte Lithium-Ionen-Batteriespeicher Deutschlands in Betrieb genommen worden ist. Dieser Speicher, dessen Bau wir im Rahmen unserer Speicherinitiative unterstützt haben, ist mit einer Gesamtleistung von zehn Megawatt nicht nur der größte seiner Art in Deutschland, sondern ein Meilenstein für die Systemintegration der erneuerbaren Energien.

Das Interview führte Yvonne Jennerjahn.

Albrecht Gerber (SPD, 48) ist seit November 2014 Minister für Wirtschaft und Energie des Landes Brandenburg. Nach dem Abitur studierte er Politische Wissenschaft in Bonn und Berlin.

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