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Exklusiv: Litauen kritisiert Brandenburgs Regierungschef: „Wir sind verwundert“

Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke gerät wegen seiner Äußerungen über die US-Truppenverlegung nach Polen unter Druck und beschmipft sogar seinen Koalitionspartner. Der Nato-Verbündete Litauen zeigt sich irritiert von der Debatte in Brandenburg.

Potsdam - In Polen und bei den Balten hat die von Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) angestoßenen Debatte über die Verlegung von US-Truppen Irritationen ausgelöst. Litauens Botschafter in Berlin, Deividas Matulionis, wollte dies zwar nicht näher kommentieren, sagte den PNN aber: „Wir sind erstaunt über die Reaktionen in Brandenburg.“ Er könne die Kritik aus Deutschland nicht verstehen. Man müsse darüber sprechen, warum die US-Operation „so wichtig für uns ist“. Dialog mit Russland sei richtig, dürfe aber kein Selbstzweck sein und funktioniere nur zusammen mit Abschreckung.

Woidke, der seit drei Jahren auch Polen-Beauftragter der Bundesregierung ist, hatte in der vergangenen Woche vor einem Aufrüsten auf beiden Seiten und einer Verschlechterung des Verhältnisses zu Russland gewarnt – und vor allem einen stärkeren Dialog mit dem Kreml angemahnt, ohne aber auf die Sorgen der Nato-Verbündeten in Polen und im Baltikum einzugehen. Wörtlich hatte er gesagt: "Es hilft uns nicht weiter, wenn Panzer auf beiden Seiten der Grenze auf und ab fahren." Dann versuchte der Ministerpräsident, die Aufregung wieder einzufangen, sprach davon, dass er „Befindlichkeiten in Polen“ kenne, für die er Verständnis habe. Vor allem aber sprach er weiter über mehr Dialog mit Russland. Was genau die Polen und Balten bewegt und warum das US-Militär über Brandenburg dorthin verlegt wird, erklärte der Ministerpräsident nicht.

Keine Truppen für Polen und Balten wären Einladung an den Kreml

Litauens Botschafter sagte den PNN, die Truppenverlegung gehe auf eine gemeinsame Entscheidung der Nato zurück. „Wir sind alle Verbündete, wir wollen alle Sicherheit“, sagte Matulionis. „Wir sind an der Grenze zu Russland, wir wollen gute Beziehungen zu Russland, wir wollen Frieden.“ Aber nicht zu handeln und keine Truppen zu verlegen, wäre eine offene Einladung an Moskau, die Nato weiter herauszufordern. Die US-Truppen seien sehr wichtig für die osteuropäischen Nato-Mitglieder angesichts der Ängste dort und der Äußerungen aus Russland über Einflusssphären. Es gebe keine akute militärische Bedrohung durch Russland, „aber es gibt eine Unberechenbarkeit, die uns große Sorgen macht, nachdem was in der Ost-Ukraine und auf der Krim passiert ist“, erklärte der Botschafter. Er erinnerte daran, dass die USA mit der Berlin-Brigade bis zur Wiedervereinigung Deutschlands die Sicherheit der Stadt garantiert habe. „Damals war Berlin die Grenze, jetzt sind wir die äußere Grenze“, sagte der Botschafter.

Auch den Vorwurf der Kriegstreiberei kann Matulionis nicht nachvollziehen. Russland werde nicht durch das Verteidigungsbündnis Nato bedroht. „Das ist Unsinn“, sagte der Botschafter. „Die Truppenverlegung ist eine angemessene Entscheidung und sie ist abgestimmt in der Nato“, sagte Matulionis. Es gebe auch keine zweitrangigen Nato-Mitglieder, die Sicherheitsgarantien nur auf dem Papier hätten, und jene, die volle Garantien genießen. „Wir müssen Geschlossenheit zeigen und vertrauen unseren Nato-Partnern und Deutschland“, sagte der Botschafter. Dazu gehöre auch die Stationierung von Bundeswehr-Soldaten in Litauen. „Das schätzen wir sehr hoch ein, das ist eine der besten Botschaften aus Deutschland.“

Militärisch spielen die wenigen Truppen keine Rolle

Wie berichtet verlegen die USA eine Infanteriebrigade mit 4000 Soldaten und 2500 Fahrzeugen, darunter 87 Panzer, auch über Brandenburg nach Osteuropa, vor allem nach Polen. Damit soll die Ost-Flanke der Nato abgesichert werden. Sie werden nicht fest stationiert und werden nach neun Monaten durch neue Truppen mit eigenem Gerät abgelöst. Diese bilaterale Operation ist Teil der auf dem Nato-Gipfel in Wales 2014 vereinbarten Maßnahmen des Bündnisses. Zudem schickt es 4000 Soldaten unter Nato-Flagge nach Polen und ins Baltikum. Das Litauenkontingent wird von der Bundeswehr angeführt. Aus Sicht der Nato spielen die Truppen militärisch keine Rolle, sondern sollen ein Zeichen der Solidarität des Westens mit den Partnern in Osteuropa sein.

Woidke selbst wollte am Mittwoch nichts von seinen Aussagen zurücknehmen. CDU-Fraktions- und Landeschef Ingo Senftleben hatte Woidke zuvor dazu aufgefordert, als Polenbeauftragter der Bundesregierung „wesentlich sensibler und ausgewogener“ mit dem Thema umzugehen und seine Aussagen zu korrigieren. Vor allem müsse er die Sorgen der Polen stärker berücksichtigen. Zudem hatte Senftleben den Ministerpräsidenten dafür verantwortlich gemacht, dass nach seinen Äußerungen nun Linke, die AfD und „Teile der SPD“ offen Stimmung gegen die US-Truppen machen.

Linke und AfD protestieren

Tatsächlich hatte die Linke, mit der die von Woidke geführte Landes-SPD in Brandenburg seit 2009 regiert, nach Woidkes erster Äußerung in der vergangenen Woche kräftig nachgelegt. „Panzer schaffen keinen Frieden“, sagte etwa Christian Görke, Landeschef der Linken und Vize-Regierungschef. Eine „Truppenverlagerung in einem solchen Ausmaß ist Teil immer weiterer Aufrüstung und Provokationen“, erklärte Görke. Am Montagabend hielt die Linke am Übungsplatz Lehnin eine Protestkundgebung mit 150 Teilnehmern gegen die US-Truppenverlegung ab. „Kriegstreiber“ und „Ami go home“ stand auf den Plakaten. In den Reden wurde gewarnt, Brandenburg dürfe nicht Aufmarschgebiet der Amerikaner auf dem Weg nach Russland werden. Für Samstag hat die Linke in Cottbus zu weiteren Protesten aufgerufen.

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Zustimmung bekam Woidke auch von ganz rechts, wo gegen die Amerikaner im Internet Stimmung gemacht wird. AfD-Landeschef und Bundesparteivize Alexander Gauland sagte: „Es ist keine Friedenspolitik, es ist Kriegsdrohungspolitik. Wir brauchen kein Säbelrasseln in Osteuropa und wir brauchen keine zusätzlichen amerikanischen Truppen an der russischen Grenze.“

Woidke nennt Koalitionspartner Linkspopulisten

Grüne und CDU reagierten besorgt auf die Reaktionen. Grünen-Fraktionschef Axel Vogel warnte vor einer neuen „Querfront zwischen Links und Rechts“ in der Ablehnung der Nato und einer „Blauäugigkeit in Bezug auf Putins Russland“. CDU-Fraktionschef Senftleben sagte, der Regierungschef habe den Boden bereitet, sein Vize Görke treibe die Stimmungsmache gegen die US-Truppen aktiv voran.

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Woidke, zunehmend unter Druck, reagiert auf weitere Nachfragen zunehmend genervt: Er habe nichts zurückzunehmen. Dem RBB sagte Woidke: Die Angst der Polen vor Russland sei berechtigt "nach den Dingen, die die russischen Außenpolitik in den vergangenen drei Jahren vollbracht hat". Die Entscheidung der Nato sei richtig und nachvollziehbar. „Auf der anderen Seite kann es nicht die letzte Antwort sein, in eine militärische Eskalation zu gehen.“ Und Woidke erklärte am Mittwoch, er habe nur gesagt, dass trotz der Anwesenheit von Panzern auf beiden Seiten der Grenzen die Tür zum Dialog mit Russland weiter offen bleiben müsse. Wobei nun der Vorwurf im Raum steht, es gebe keinen Dialog mit Russland oder dieser sei durch US-Truppen bedroht. Und auch wer – die Nato oder Russland – was eskaliert, sagte Woidke nicht.

Um sich aus seinem Dilemma zu befreien, fährt Woidke nun Attacken gegen den Koalitionspartner - er distanziert sich von der Linkspartei. Auf Fragen zu den Protesten von AfD und Linke gegen die US-Truppen sagte er: Er wolle die – erst durch seine Äußerungen provozierten – Proteste von „Rechts- und Linkspopulisten“ nicht kommentieren.

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