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Werder (Havel): Vom Weinberg direkt in den Tank

Nach einer Zeit des Hoffen und Bangens ist die neue Werderaner Kelterei jetzt offiziell eröffnet worden

Werder (Havel) - Der erste Müller-Thurgau des Jahrgangs 2012 ist erfolgversprechend. Frisch und fruchtig wurde er am Dienstag direkt aus den nagelneuen glänzenden Tanks ausgeschenkt. Werders Winzerfamilie Lindicke hatte zur offiziellen Eröffnung ihrer neuen Kelterei am Plessower Eck eingeladen. „Ein hartes Stück Arbeit, Hoffen und Bangen liegen hinter uns“, sagte Weinbauexperte Manfred Lindicke. Jetzt liegen alle Trauben von den beiden Wachtelbergen in Werder und Phöben im Fass. Ein Mostgewicht von fast durchweg über 80 Grad Oechsle – das ist ein guter Zuckergehalt für hiesige Verhältnisse – lässt auf sehr gute Qualitätsweine hoffen. Die Menge blieb jedoch hinter den Erwartungen zurück. Nur 35 Tonnen Weiß- und Rotwein konnten in Werder und Phöben gelesen werden – das ist deutlich weniger als im vergangenen Jahr. Eine eisige Frostnacht im Februar hat größere Schäden angerichtet als zunächst angenommen. Im Fachjargon heißt es, der Wein ist verrieselt, viele kleine Blüten wurden vorzeitig abgestoßen. „Das genaue Ausmaß der Schäden sieht man immer erst zur Lese“, so Lindicke. Weinanbau bleibt ein Abenteuer.

Bangen mussten die Lindickes auch um die termingerechte Fertigstellung ihrer neuen Kelterei. Bisher wurden die Trauben vom gut sechs Hektar großen Werderaner Weinberg zur Verarbeitung alljährlich in das sachsen-anhaltinische Landesweingut Kloster Pforta gebracht. Zunehmend habe es laut Lindicke jedoch Probleme bei der Kooperation gegeben – auch der lange Anfahrtsweg war nicht optimal. „Im September 2011 wurde uns klar, dass wir eine eigene Kelterei bauen müssen, um als Unternehmen zu überleben“, so der Winzer. Danach musste alles sehr schnell gehen, denn alljährlich im September beginnt die Lese. Beim Landratsamt wurde Anfang Januar ein Antrag auf Umnutzung der vorhandenen Weinlagerhalle am Plessower Eck gestellt – erst ein halbes Jahr später wurde die Baugenehmigung erteilt. „Die Bearbeiter hatten wenig Verständnis dafür, dass die Natur uns antreibt“, so Lindicke.

Mehr Unterstützung gab es indes von Stadtverwaltung und Landratsamt bei der Beantragung der Fördermittel. Gut eine halbe Million Euro hat die Firma Havelland-OWS GmbH mit Geschäftsführerin Bettina Lindicke in die Kelterei investiert, 45 Prozent davon flossen als Zuschuss aus den Fonds der Europäischen Union und des Landes Brandenburg. Anteilseigner der neuen Kelterei ist auch der Gastronom Jens-Uwe Poel, der das kleine Weinanbaugebiet auf dem benachbarten Phöbener Wachtelberg betreibt. In drei bis vier Jahren sollen zudem auch die ersten Trauben vom wiederbelebten Werderaner Weinanbaugebiet auf dem Galgenberg verarbeitet werden. Wie berichtet will Werders Weinbauförderverein in Zusammenarbeit mit Lindicke dort künftig auf 1,4 Hektar Wein anbauen.

Die Kapazität des neuen Weinkellers liegt bei 80 000 Liter – in diesem Jahr wird sie vor allem wegen der Ernteausfälle bei Weitem nicht ausgeschöpft. Die Winzerfamilie hätte sich einen optimaleren Start gewünscht. „Wir sind aber noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen“, schätzt Lindicke ein.

Landrat Wolfgang Blasig (SPD) lobte deshalb auch den Mut der Werderaner Winzerfamilie zur Investition. Sie trage dazu bei, das Havelland weiter als Genussregion zu entwickeln, sagte er. Die Kommunikation zwischen seiner Behörde und dem Investor sei in der Genehmigungsphase indes verbesserungswürdig gewesen, räumte Blasig ein.

Siegfried Boy, Präsident des Weinbauverbande Saale-Unstrut, zu dem auch die Werderaner Lage gehört, zeigte sich gewiss, dass die eigene Kelterei in Werder noch einmal zu einem Qualitätsaufschwung führen werde. „Für den Winzer ist es immer besser, wenn er direkten Einfluss auf die Verarbeitung hat und lange Wege vermieden werden“, so Boy. Manfred Lindicke ist der einzige brandenburgische Weinbauer im Vollerwerb – in den vergangenen Jahren hat er schon viele Preise für seine Weine bekommen. Besonders stolz ist er auf eine Prämierung beim internationalen Müller-Thurgau-Wettbewerb am Bodensee. 2002 wurde auf dem Werderaner Wachtelberg eine Straußwirtschaft mit Weinausschank und Imbissangebot eröffnet, die seitdem jährlich das Ziel von Tausenden Touristen ist.

In den nächsten Tagen werden nun die ersten Flaschen Müller-Thurgau unter Aufsicht des neu eingestellten Kellermeisters Sören Siegmund abgefüllt, damit sie zum Weihnachtsgeschäft in den Handel kommen. Interessenten sind am kommenden Sonntag, dem 4. November, von 9 bis 18 Uhr zum Tag der offenen Kelterei eingeladen. Auf dem Programm stehen Führungen, Proben vom jungen Wein, Livemusik und gleich nebenan ein Fest auf dem Obsthof Lindicke.

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