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Wie das Rote Kreuz in Babelsberg gleichgeschaltet wurde: Vom Roten Kreuz zum Hakenkreuz

In Babelsberg kam es unter den Nazis zur Gleichschaltung von DRK und SS. Markus Wicke hat die Geschichte des einstigen DRK-Präsidiums am Griebnitzsee erforscht.

Potsdam - Es ist ein mächtiges Gebäude. Schlicht, aber wuchtig, mit einem optisch abgesetzten, mittigen Eingangsportal, das über alle Etagen reicht, und zwei langgestreckten, gegliederten Flügeln, klassische Schlösserarchitektur. Aber hier wohnte nie ein Monarch. Hier residierte der Präsident des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) für zwei Jahre, von 1943 bis Kriegsende. Heute gehört es zum Uni-Campus Griebnitzsee. Ein Gebäude, dem man seine Geschichte nicht gleich ansieht, höchstens erahnt.

Einer, der es genau wissen wollte, ist Markus Wicke. Als Student der 1991 neu gegründeten Uni hatte er sich oft die Frage gestellt: Was war da früher drin, was hatte es damit auf sich? Zusammen mit einer Arbeitsgruppe hatte er zur Geschichte des Hauses und des gesamten Areals zu forschen begonnen. Am Mittwochabend hielt Wicke, Babelsberger und Vorsitzender des Fördervereins des Potsdam Museums, für die Studiengemeinschaft Sanssouci einen mit vielen historischen Fotos bebilderten Vortrag: „Der Reichsarzt SS und der Neubau des DRK-Präsidiums in Potsdam Babelsberg 1939 – 1943“.

Gleichschaltungskurs des DRK mit der SS

Die Geschichte beginnt auf Deutschlands Schlachtfeldern. Mitte des 19. Jahrhunderts gründen sich deutschlandweit die ersten Frauenvereine „zur Pflege verwundeter Krieger“, Rot-Kreuz Landesverbände und schließlich 1879 das „Zentralkomitee der deutschen Vereine vom Roten Kreuz“. 1921 wird schließlich das Deutsche Rote Kreuz gegründet. Die Zentrale Verwaltung zieht nach Berlin. Als die Nazis an die Macht kommen, beginnt ein Gleichschaltungskurs des DRK mit der SS. Ab Mitte der 1930er-Jahre sind fast alle Posten von SS-Männern besetzt, in Doppelfunktionen. 1936 kommt schließlich der Reichsarzt SS, Ernst Robert Grawitz, an die DRK-Spitze. Der Präsident ist in Personalunion nun auch oberste medizinische Instanz der SS, sein Dienstherr ist Heinrich Himmler.

Potsdam kommt bereits 1896 ins Spiel. Der preußische Landesverein DRK braucht einen Ort für ein zentrales Lager. In Neu-Babelsberg ist Platz und es gibt einen Bahnhof – den heutigen Bahnhof Griebnitzsee – mit praktischer Laderampe. Im Areal zwischen S-Bahn, der Bahnlinie von Drewitz und der Stahnsdorfer Straße entstehen Lagerhallen mit moderner Logistik, Verwaltungsgebäude, Druckerei und Schmiede, 1940 sogar eine Kfz-Halle für ein mobiles Krankenhaus, das auf Abruf bereitsteht. Bald wird ganz Deutschland mit allem, was man für Hilfseinsätze braucht – vom Schnellverband bis zur Krankentrage, mit Uniformen und sämtlichen DRK-Drucksachen – von Neu- Babelsberg aus versorgt. Geplant war damals sogar eine komplette Stadt, ein neues Babelsberg als kleines Germania in Nachbarschaft der Ufa-Filmstadt, sagt Wicke.

Bis 1990 sind die meisten Gebäude, jahrelang im Sperrgebiet der innerdeutschen Grenze, noch erhalten, selbst die roten Kreuze auf den Dächern, die sie vor Bombenangriffen schützen sollen, sind noch erkennbar. Die meisten weichen dem Uni-Neubau, der neuen Straßenführung am Bahnhof, dem Hasso-Plattner-Institut. Erhalten blieben etwa das Depot mit Bekleidung für DRK-Helfer und Schwestern, das heute Uni-Bibliothek ist, und das beeindruckende Präsidium.

"Lieber raus aus der Großstadt"

Dass auch die Führung des DRK aus Berlin nach Potsdam verlegt wurde, lag wohl an dem drohenden Krieg, sagt Wicke. „Man dachte sich, lieber raus aus der Großstadt.“ Das Präsidium soll, ganz im Sinne der Nazi-Architektur, ein beeindruckender Bau werden. Es wird nicht gespart, man baut großzügig: repräsentative Büros, ein klimatisierter Vortragssaal, Kantine und Kasino. Eine Empfangshalle für Appelle oder öffentliche Auszeichnungen, in der, so vermutet Wicke, zu Kriegsende Zyankalikapseln an die Führungsriege verteilt werden. Im Haus werden edle Materialien, Marmorböden, Parkett und moderne Aluminiumbeschläge und Türklinken verbaut. Dass Deutschland im Krieg ist, spürt man hier nicht. Aber es gibt Fotos, die Kriegsgefangene bei der Arbeit zeigen, Kartoffelanbau auf Rasenflächen rund um das Gebäude, DRK-Personal beim Einkleiden und Packen, auf dem Bahnsteig vor der Abreise in die Kriegsgebiete.

Erst Robert Grawitz kann das neue Präsidium für sich und seinen Führungsstab für nur zwei Jahre nutzen, 1943 wird es fertig. Als Ende April 1945 die Russen nach Potsdam kommen, sprengt sich Grawitz, der als oberster SS-Arzt auch die Euthanasie und medizinische Experimente mit KZ-Häftlingen zu verantworten hat, in seiner Villa in der heutigen Karl-Marx-Straße 59, damals Straße der SA, in die Luft. Die Russen übernehmen das DRK-Gelände, bis Anfang der 1950er-Jahre die Akademie Staat und Recht in den pompösen Bau einzieht. Der breite Balkon, gedacht als Winke-Balkon für einen Führerbesuch, wird – Ironie der Geschichte – erst nach 1945 fertig.

Später interessiert sich die Filmindustrie für das Haus, hier entstehen Szenen für den oscar-prämierten Film „Mephisto“, Rolf Hoppe empfängt als „Ministerpräsident“ in einem riesigen, eindrucksvollen Büro. Heute sind alle Nazi-Relikte längst verschwunden. Wo über dem Portal einst der Reichsadler mit Hakenkreuz auf der Brust auf einem roten Kreuz saß, gibt es nur noch eine leere Steintafel.

Markus Wicke hat zur Geschichte des Ortes ein Buch geschrieben: „SS und DRK“, erschienen 2002 bei Books on Demand.

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