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Rugby in Potsdam und im Iran: Völkerverständigung mit dem Leder-Ei

Die weibliche U22-Rugbynationalmannschaft des Iran gastierte in Deutschland. Bei dem sportlichen und kulturellen Austausch war auch das neu gegründete Rugbydamenteam des USV Potsdam involviert. Sowie die Turbine-Fußballerinnen.

Von Tobias Gutsche

Donnerstagabend, Stadion Buschallee in Berlin-Weißensee. Das Flutlicht schien hinab auf den Rasenplatz, wo eine Mannschaft besonders grell in ihren neongrünen, an die Farbe eines Textmarkers erinnernden Trikots erstrahlte: das weibliche U22-Rugbynationalteam des Iran. Die jungen, Kopftuch tragenden Damen waren vergangene Woche zu einer deutsch-iranischen Jugendbegegnung – organisiert vom Verein „Bürger Europas“ sowie dem Auswärtigen Amt – in Berlin zu Gast und lernten dabei auch Potsdam kennen.

Zum einen in sportlicher Hinsicht. Am Donnerstag trainierten die Iranerinnen zunächst gemeinsam mit den Rugbyfrauen des USV Potsdam, Berliner SV und gastgebenden RK 03 Berlin, ehe anschließend ein Viererturnier gegeneinander ausgetragen wurde. Ein Fernsehteam des ZDF begleitete das Geschehen und hielt im Interview mit USV-Akteurin Lena Grabow deren Hochgefühl vor dem internationalen Vergleich fest. „Das ist total Wahnsinn und eine Ehre, gegen sie spielen zu dürfen. Wir freuen uns darauf“, sagte sie. 0:26 mussten sich die Potsdamerinnen dann der Iran-Auswahl geschlagen geben. Anstrengend, hart, aber sehr fair sei es gewesen, urteilte Grabows Mitspielerin Katharina Gerth.

USV-Damenteam aus dem universitären Leben hervorgegangen

„Und insgesamt ein tolles Erlebnis“, ergänzte Christian Schubert wenige Tage später im Gespräch mit den PNN. Er ist der Trainer des USV-Frauenteams, das erst seit September existiert und – wie so oft bei dieser Sportart – ein Produkt des universitären Lebens darstellt. Schubert, selbst Spieler und Leistungsträger des Potsdamer Männerzweitligisten, arbeitet im Hochschulsport der hiesigen Uni und bietet dort regelmäßig Rugbykurse an. „Da haben sich dann etliche Mädels formiert und so viel Lust daran gehabt, dass wir schließlich meinten: Kommt, lasst uns eine richtige Mannschaft gründen“, sagte der 35-Jährige. 18 Frauen zählt die Truppe aktuell. Zwischen 16 und 33 Jahren sind sie alt, der Kern ist Anfang bis Mitte zwanzig. Zuvor habe es in Potsdams Rugbysport, der 2016 sein 60-jähriges Bestehen feierte, nur vereinzelt weibliche Aktive gegeben. „Die wurden in die Jungsmannschaften eingebunden. Ab 16 Jahren lässt das Regelwerk das aber nicht mehr zu. Die Perspektive fehlte also für die Mädchen.“

Das ist jetzt mit dem eigenständigen Team anders. Dieses wurde auch bereits in den Regionalliga-Spielbetrieb, wo die olympische Sieben-gegen-sieben-Variante praktiziert wird, aufgenommen und wusste dort mit Platz drei in einem der mehreren Saisonturniere zu überzeugen. Den Rugbymitstreitern aus Berlin war es nun zu verdanken, dass die USV-Ladies zum Jahresabschluss an dem deutsch-iranischen Austauschprojekt partizipieren durften. „Sie haben uns dazu eingeladen“, sagte Coach Schubert. „Schön, Teil des Ganzen gewesen zu sein.“

Frauenrugby erfreut sich im Iran sehr großer Beliebtheit

Jenes Ganze – also der Besuch aus dem Mittleren Osten im Herzen Europas, der nächstes Jahr in die Gegenrichtung durchgeführt werden soll – zielte vor allem darauf ab, das Bewusstsein für die jeweils andere Kultur zu schärfen. Und das über die Schiene des Rugbysports. Völkerverständigung mit dem Leder-Ei. „Unser Sport ist sehr verbindend. Er mag zwar von außen hart aussehen, aber wird innen durch klare Regeln gefestigt. So entsteht ein ganz ausgeprägter Fairness- und Ethikgedanke, den ich in dieser Form bislang bei keinem anderen Sport erlebt habe“, meinte Christian Schubert und sagte über die Begegnung mit den Iranerinnen: „Es war extrem bemerkenswert, wie selbstbewusst und stark sie aufgetreten sind. Man muss ja bedenken: Sie kommen aus einem Land, in dem die Wertvorstellung gegenüber Frauen anders ist als hier bei uns.“ Deshalb dürfte man eigentlich erwarten, dass dort gegen viele Widerstände angekämpft werden muss, wenn es darum geht, als Mädchen oder Dame Rugby zu spielen. Doch dem ist nicht so. Acht Jahre nach den zarten Anfängen verzeichnet das Frauenrugby im Iran einen steten Aufschwung. 2000 Spielerinnen – so viele wie in Deutschland – werden mittlerweile gezählt, in 21 der insgesamt 31 Regionen besteht die Möglichkeit für die weibliche Zunft, diesem Sport nachzugehen.

Seitdem gemäßigtere Kräfte die Politik des Iran bestimmen, sei an sich ein regelrechter Boom im Frauensport zu verzeichnen, betonte Rugbyverbandspräsident Hassan Mirzaaghabaik: „Schwimmen und Turnen sind nach wie vor schwierig, aber Ballsportarten sind total angesagt.“ Rugby beispielsweise. Damit kommen Frauen im Iran sehr früh in Berührung. Bereits in den Kindergärten und Grundschulen werden die Jüngsten langsam an den athletisch sowie taktisch anspruchsvollen Sport herangeführt. So hat das Land eine Art Frauenrugby-Vorreiterrolle in der muslimisch geprägten Welt übernommen. „In Singapur, Malaysia oder auch in Thailand gibt es inzwischen viele Frauen, die Rugby spielen wollen, weil sie gesehen haben, dass Iranerinnen auf internationalem Niveau spielen“, sagte Mirzaaghabaik.

Potsdam-Programm: Sanssouci, Luftschiffhafen, Turbine

Der Besuch in Berlin, bei dem auch zwei Testspiele gegen die deutsche Nationalmannschaft stattfanden (beide Teams gewannen je einmal), zieht womöglich eine weitere Niveausteigerung des iranischen Frauenrugbys nach sich. Viele aufschlussreiche Erfahrungen habe man gesammelt, befand Spielerin Parissa Grawandi. Erfahrungen, die auf dem Weg zum großen Ziel des Verbandes – die Olympiateilnahme 2028 – helfen können.

Doch auch fernab des Sportlichen brachte der Trip nach Deutschland den 15 Rugbydamen sowie den mitgereisten Funktionären eine Menge Erkennt- und Erlebnisse. Das umfassende Kultur- und Geschichtsprogramm führte den Tross unter anderem auch nach Potsdam, wo Schloss Sanssouci besucht wurde. Auf der Stippvisite in Brandenburgs Landeshauptstadt wurde zudem Halt am Luftschiffhafen gemacht, um den Bundesliga-Fußballerinnen vom 1. FFC Turbine bei ihrem Training zuzuschauen. Anschließend folgte eine Gesprächsrunde mit Olympiasiegerin Tabea Kemme sowie deren Teamkolleginnen Stefanie Draws und Viktoria Schwalm. Starke Frauen unter sich. mit dpa

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