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Potsdam-Mittelmark: Vergessene Ehrenbürger

Ergebnisse neuer Recherchen stoßen Auseinandersetzung mit Teltows Stadtgeschichte an

Von Eva Schmid

Teltow - Der eine kam nach Teltow um die Bevölkerung aufzuhetzen, der andere, um sie zu befreien. Der eine steht für das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte, auf den anderen ist man heute stolz: Die Personen, die von den Teltower Stadtvätern im vergangenen Jahrhundert zu Ehrenbürgern ernannt wurden, könnten unterschiedlicher nicht sein: Zu ihnen zählen der einstige NS-Propagandachef Joseph Goebbels ebenso wie der russische Soldat Konstantin Fjodorowitsch Tschaika. Das haben Recherchen der Arbeitsgemeinschaft Ehrenbürger jetzt ans Licht gebracht. Bisher fand sich im offiziellen Archiv der Stadt nur ein Ehrenbürger wieder: Landrat Ernst von Stubenrauch, der Anfang des 20. Jahrhunderts die Entwicklung der Stadt maßgeblich vorangetrieben hat.

Jetzt hat die Arbeitsgemeinschaft unter Leitung der Historikerin Gabriele Bergner diese Lücke in Teltows Geschichtsschreibung geschlossen. Am Dienstagabend wurden im Teltower Rathaus insgesamt fünf weitere Personen vorgestellt, denen von der Kaiserzeit bis zum Jahr 1975 die Ehrenbürgerschaft zugesprochen wurde. Von entsprechenden Urkunden fehlte bislang offenbar jede Spur.

Gefunden wurde bei den Recherchen auch eine Tagebuchaufzeichnung Goebbels über seinen Besuch in der Stadt im Oktober 1927. Darin schreibt er: „Heute Abend in Teltow. Ein überfüllter Saal. Draußen auf der Straße standen noch die Leute. Ich habe gesprochen wie selten. ’Lenin oder Hitler?’. Zwei Bonzen abgeschmiert. Es war eine Freude. Unsere Leute haben gequiekt vor Vergnügen.“ Insgesamt 14 Mal taucht Teltow in den persönlichen Aufzeichnungen des Reichspropagandaleiters und NSDAP-Gauleiters von Berlin und Brandenburg auf. Einige Fundstellen würden sich aber auch auf den Kreis und nicht die Stadt Teltow beziehen, erklärte AG-Mitglied Christian Bergner. 1936 haben die Teltower Stadtväter Goebbels die Ehrenbürgerschaft verliehen, überreicht wurde ihm die Urkunde zusammen mit Teltower Rübchen.

Die Urkunde fand auch Bergner nicht, dafür jedoch Zeitungsartikel aus dem Teltower Kreisblatt von 1936 sowie den Beschluss der Stadtverordneten. Im Archiv des Kreises habe sie die Protokolle der Stadtverordnetensitzung Seite um Seite, Jahr um Jahr durchstöbert. Ihr Ansporn: Trotz dünner Dokumentenlage wollte sie Gewissheit. Gerade in der Zeit rund um den Zweiten Weltkrieg gebe es große Lücken. Das hatte auch der Leiter des Stadtarchivs, Walter Tzschach, vor Jahren schon erfahren: Viele Papiere mit Hakenkreuzen seien nach dem Krieg weggeworfen worden.

Seit Jahren hielten sich die Gerüchte, dass auch ein hochrangiger Nazi zu den Ehrenbürgern zählt, so Gabriele Bergner. Unklar war, ob es sich um Hitler oder Goebbels handeln würde. Bergner vermutete schon zu Recherechebeginn Goebbels, da er einen engeren Bezug zu Teltow hatte. „Teltow war vor der Machtergreifung der Nazis rot, deshalb wurde dort kräftig Propaganda betrieben.“

Die Stadt Teltow steht mit ihrer Auszeichnung für Goebbels nicht allein da. Laut Bergner wurde er von mindestens 1000 anderen deutschen Kommunen geehrt. Hitler kommt auf rund 4000 Urkunden. Die Teltower Arbeitsgemeinschaft empfiehlt nun, Goebbels und dem einstigen NSDAP-Gauleiter Wilhelm Kube (siehe Kasten) die Ehrenbürgerschaft auch symbolisch abzuerkennen, obwohl sie mit dem Tod bereits automatisch erloschen sei. So haben es schon viele andere Kommunen und erst jüngst die Stadt Goslar im Fall Adolf Hitler getan. Teltows Bürgermeister Thomas Schmidt (SPD) kündigte an, das Thema in die Stadtverordnetenversammlung zu bringen. Der Zeitgeist gebiete es, dass sich eine Stadt dazu positioniere, sagte er.

Eine ganz andere und mutige Geschichte eines Ehrenbürgers kam bei den Recherchen jetzt auch zum Vorschein: Konstantin Fjodorowitsch Tschaika erreichte als einer der ersten russischen Soldaten zum Ende des Zweiten Weltkriegs die Berliner Stadtgrenze. Der 22-jährige Leutnant schlug sich mit seinem Stoßtrupp im April 1945 bis zum Teltowkanal durch. Dort wurde er bei einem Granatenangriff lebensgefährlich verletzt: Er verlor ein Auge, Granatsplitter verletzten Becken und Oberschenkel.

Dreißig Jahre später fragte ein Moskau-Korrespondent des DDR-Fernsehens den mittlerweile zum Sekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion erhobenen Tschaika, ob er die DDR kenne. Die kenne er zwar nicht mehr, aber dafür Teltow – seine knappe Antwort. Der damalige Direktor des Teltower Carl-von-Ossietzky-Werks sah den Fernsehbeitrag und lud Tschaika 1975 nach Teltow ein, um gemeinsam den Tag der Befreiung zu feiern. Teltows Stadtväter ernannten ihn im gleichen Jahr zum Ehrenbürger. Dreimal reiste Tschaika danach noch nach Teltow. Trotz seiner Kriegserfahrung habe er jeden Tag gelacht, erinnert sich Bernd Muck von der Brandenburgischen Freundschaftsgesellschaft. Er hatte ihn noch persönlich kennengelernt. Die Historikerin Bergner stieß auf Tschaika, weil Muck über ihn in einer Betriebszeitschrift einen Artikel veröffentlicht hatte.

Neben Tschaika und Goebbels wurden noch drei weitere Ehrenbürgerschaften aufgetan (siehe Kasten). Das sei ein Auftakt, sich mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen, sagte Bergner. Sie empfiehlt zudem, einen Kriterienkatalog zu erstellen, der regelt, wer künftig geehrt werden kann. Und immerhin könnte es nach 30 Jahren mal wieder so weit sein. „Es könnte auch mal eine Frau geehrt werden“, so Bergner.

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