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Landeshauptstadt: Trennung von Bürger und Soldat

Nach dem Rückzug des Militärs sieht der Militärhistoriker Martin Rink große Wachstumschancen für Potsdam. Ein Rückblick auf die Entwicklung der Garnisonstadt seit dem „Soldatenkönig“

Nach Ansicht des Militärhistorikers Martin Rink „hat Potsdam jetzt gigantische Möglichkeit zum Wachsen – weil das Militär weg ist“. Nie habe die Stadt normal wachsen können, erklärt der Forscher am Potsdamer Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften (ZMS) der Bundeswehr – ehemals Militärgeschichtliches Forschungsamt – gegenüber den PNN. Eingezwängt von Kasernen und militärischen Speergebieten sei sie über Jahrhunderte konserviert worden – und dies bis in die jüngere Geschichte. „Autostraßen hätte man durch das Militärstädtchen Nr. 7 nicht bauen dürfen.“ Da der Norden Potsdam bis 1994 militärisch genutzt wurde, habe Potsdam sich dorthin nicht ausdehnen können. Daher seien die Neubaugebiete der DDR-Zeit auch in den sumpfigen Nuthe-Niederungen entstanden.

Dabei steht am Anfang der Geschichte des Militärs keineswegs die Einkreisung Potsdams durch das Militär; vielmehr waren die Soldaten zunächst Teil der Stadt, Seite an Seite untergebracht mit der Zivilbevölkerung. Rink: „Bürgerhäuser dienten auch als Soldatenwohnungen.“ Aller Anfang bildet das Jahr 1713, als Friedrich Wilhelm I. König in Preußen wurde, später als „Soldatenkönig“ bezeichnet. 1713 hatte Potsdam gerade einmal 1500 Einwohner und 560 Soldaten, so der Historiker. Der neue König habe „das gnadenlose Ziel verfolgt, sein Garderegiment hier zu lokalisieren“, die Langen Kerls. Friedrich Wilhelm I. bei einer Ansprache an seine Minister: „Mein Vater fand Freude an prächtigen Gebäuden, großen Mengen Juwelen, Silber, Gold und äußerlicher Magnifizienz – erlauben Sie, dass ich auch mein Vergnügen habe, das hauptsächlich in einer Menge guter Truppen besteht.“ Preußen wurde unter seiner Ägide viertstärkste Militärmacht in Europa. 1738, zwei Jahre vor Amtsantritt Friedrich II., zählte Potsdam bereits 5600 Einwohner plus 3500 Soldaten. Bis ins 19. Jahrhundert lebten die Soldaten mitten in der Stadt, sie hatten für ein bis zwei Monate im Jahr für Militärübungen und Wachendienste bereitzustehen, den Rest des Jahres gingen sie einem Kleingewerbe nach „um sich über Wasser zu halten“, erklärt Rink. Manche bekamen einen „Liebstenschein“, das waren dann „Soldaten in geduldeten festen Partnerschaften, einem Konkubinat oder auch wilde Ehe“. Wer sogar verheiratet war, wohnte dann in der „Kaserne für Beweibte“, etwa in der Lindenstraße 28 bis 30, erbaut 1753 von nach den Plänen von Jan Bouman, oder in der Hegelallee 33 bis 36, errichtet 1782 nach Entwürfen von Heinrich Ludwig Manger. Selbst im Stadtschloss waren Soldaten einquartiert, von der Zeit Friedrich Wilhelm I. bis ins 18. Jahrhundert, etwa Meldereiter und Leibgardisten.

Angesichts der Lebensrealität einquartierter Soldaten, die ihren Lebensunterhalt etwa durch den Betrieb einer Greneadierschenke bestritten, wirft Historiker Rink die Frage auf: „Ist der gehorsame, geprügelte Soldat ein Propagandabild, ist die ,geprügelte Maschine’ eine ideologische Überformung?“ Natürlich gab es den Korpsgeist, auch den Spießroutenlauf hat es gegeben, und doch: „Wir sehen lebendige Menschen in den Quellen.“

Die ersten richtigen Kasernenbauten – noch innerhalb der Stadt – entstehen Ende des 18. Jahrhunderts beispielsweise für die Gardes de Corps, der berittenen Leibwache Friedrich II. Und zwar in der Berliner und der Behlertstraße, bis zum 31. Januar 2012 Sitz der Bundeswehr-Standortverwaltung Potsdam, dann außer Dienst gestellt. Doch zunächst bilden sich Mischformen zwischen Wohnhaus und Kaserne heraus, heute noch zu sehen an den Hiller-Brandtschen Häusern, von Georg Christian Unger 1769 erbaut. Während die beiden, durch die Schaufassaden extrem repräsentativen Hauptgebäude von Bürgern bewohnt wurden, entsteht der Verbindungsbau in der Mitte als „Kaserne für Soldaten“ – die Trennung von Zivilgesellschaft und Militär nimmt seinen Anfang. Beispiele für große militärisch genutzte Bauten in der Innenstadt sind das Große Holländische Haus für den Kommandanten des Königsregiments in der Lindenstraße 54 und das Lazarett der Leibgarde in der Lindenstraße 25, im Jahr 1772 errichtet nach Plänen Ungers.

Anfang des 19. Jahrhunderts beginnt Rink zufolge der Bau von Kasernen außerhalb der Stadt. Direkt am heutigen Luisenplatz, damals noch außerhalb der Stadt, entsteht in den 1820er-Jahren eine Wohnkaserne der 3. Eskadron des 1. Garde-Ulanen-Regiments in Potsdam. Heute befindet sich darin eine Geschäftsstelle der Mittelbrandenburgischen Sparkasse (MBS). Eine weitere Garde-Ulanen-Kaserne wird 1861/62 an der Jägerallee gebaut – im normannischen Burgenstil. Heute wird die Kaserne unter anderem von der Deutschen Kreditbank (DKB) genutzt. Weitere große Kasernenbauten dieser Zeit sind die Ruinenbergkaserne, An der Einsiedelei 6, und die Rote Kaserne an der Nedlitzer Straße, erbaut 1892 bis 1895.Für Militärhistoriker Rink hat diese Verlagerung des Militärs aus der Stadt heraus, die Konzentration der Truppe auf einen Fleck, mehrere Gründe: „Die Disziplinierung der Truppe ist einfacher“, auch verlaufe die Ausbildung reibungsfreier. Noch in der Zeit der Einquartierung bei den Bürgern sei es immer „ein Orcus“ gewesen, die Truppe zu versammeln. Ein weiterer Grund: Die vielen Pferdeäpfel in der Stadt waren unerträglich. Die Mittelallee der heutigen Hegelallee – damals Jäger-Communikation und Brandenburger Communikation genannt – war durchzogen von Pferdestellen der Armee. Die „Trennung der Lebenswelten von Bürger und Soldat“ ist Rink zufolge auch eine Folge der Funktionsdifferenzierung und der Professionalisierung des Militärs. Schon in der Garde-Ulanen-Kaserne an der Jägerallee bot sich ein innerstädtisch kaum zu findenden Flächenbedarf. Dort wurde eine Reithalle errichtet, damit Reiter mit Lanzen trainieren konnten, „eine Modewaffe“, so Rink. Mit der Motorisierung der Armee in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren die riesigen Fuhrparks erst recht nicht mehr in der Innenstadt unterzubringen. Die letzten großen Kasernenprojekte waren die 1934 bis 1941 für das Infanterieregiment Nr. 9 entstandene „Adolf-Hitler-Kaserne“ sowie die Heeresreit- und Fahrschule Krampnitz, eingeweiht am 1. September 1939, dem ersten Tag des Zweiten Weltkriegs.

Tatsächlich kann Potsdam nun nach Norden wachsen: Auf dem Gelände der ehemaligen Kramnitz-Kaserne soll in den kommenden Jahren ein neuer Stadtteil entstehen. Das Militär aber, sagt Rink, hat sich dahin zurückgezogen, „wo man es nicht mehr sieht – bis auf weiße Fahrschulautos“. Guido Berg

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