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Homepage: „Stärker auf Leistung achten“

HPI-Direktor Christoph Meinel über Mathe-Defizite der Schüler und Änderungen in der Bildungspolitik

Herr Meinel, die Brandenburger und Berliner Grundschüler haben im Ländervergleich in Mathematik nicht sonderlich gut abgeschnitten. Machen Sie sich Sorgen um den Nachwuchs für die Informatik?

Am HPI haben wir eine privilegierte Situation, dass wir mit einer relativ kleinen Anzahl von Studienplätzen attraktiv für eine große Zahl an Schülern sind. Wir können uns unsere Studierenden also auswählen. An vielen anderen Universitäten allerdings scheitern viele Studenten am Fehlen elementarer mathematischer Fähigkeiten. Das betrifft nicht nur die Informatik, sondern auch Ingenieurfächer. Wenn man bedenkt, dass in Deutschland bislang der Reichtum der Gesellschaft über Ingenieurleistungen erbracht wurde, dann stimmt mich das sehr nachdenklich. Wir müssen alles daran setzen, den Nachwuchs befähigt auszubilden.

Was unternehmen Sie gegen den Mangel an Mathematikkenntnissen?

Wir bieten einen freiwilligen dreiwöchigen Vorkurs vor Studienbeginn, in dem Mathematikstoff aus dem Schulunterricht noch einmal wiederholt wird. Das wir sehr rege angenommen, rund 80 Prozent unserer Anfänger belegen die Kurse. Offensichtlich gibt es also einen Nachholbedarf.

Welche Unterschiede zwischen den Abiturienten verschiedener Bundesländer zeigen sich?

Wir können keine statistischen Angaben machen, dazu ist unsere Studierendenzahl zu gering. Dennoch können wir Unterschiede erkennen. Studienanfänger aus den südlichen Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg kommen mit gefestigteren Mathekenntnissen zu uns. Auch Sachsen steht hier besser da. Was mich betrübt, ist dass in den Studien Berlin und Brandenburg am unteren Rand der Tabelle liegen.

Welche geschlechtsspezifischen Unterschiede gibt es?

Wir haben mit 15 bis 20 Prozent Frauen eigentlich nur eine unterkritische Masse. Die, die bei uns studieren, fallen allerdings sehr positiv auf. Die haben eine gefestigte Vorstellung, was von ihnen erwartet wird. Und das ist in der Informatik natürlich auch die Mathematik.

Ihrer Branche mangelt es grundsätzlich an weiblichen Studierenden.

Das geht der Informatik und auch dem ganzen Bereich der mathematisch-naturwissenschaftlichen Studienfächer so. Interessant ist, dass von unseren wenigen Studentinnen bei Abschluss des Studiums ein prozentual gleich hoher Anteil wie bei den Männern unter den Besten zu finden ist. Die Frauen sind also offensichtlich erfolgreicher als die Männer.

Was muss sich in der Bildungspolitik ändern?

Wir brauchen eine zentralisierte Beschreibung der Anforderungen an die Schüler, damit es nicht mehr im Belieben eines Schülers liegt, welche Fächer er belegt. Und auch nicht mehr im Belieben eines Lehrers, ob und welche Klausuren er schreiben lässt. Hier muss ein Anforderungsniveau beschrieben werden, dass die jungen Menschen befähigt, die verschiedenen Studienangebote und dann auch Berufe insbesondere auch in den Ingenieurfächern zu ergreifen. Zum anderen muss generell in Deutschland das Ansehen der Lehrer wieder steigen. Wenn die Achtung vor diesem Beruf fehlt, geht auch dessen Attraktivität verloren. Das ist eine komplizierte Kausalkette: Wenn die Lehrer nicht geachtet werden, verliert der Beruf für den Nachwuchs an Attraktivität, wird am Ende auch dem Schulstoff weniger Bedeutung beigemessen.

Was würden Sie empfehlen, um die Mathekenntnisse der Schüler zu verbessern?

In erster Linie, dass wieder stärker auf Leistung geachtet wird. Wir wissen heute, dass man durch Spaß und Freude besser lernt. Aber wenn der Leistungsgedanke dabei verloren geht, dann schwindet das Interesse der Schüler am Lehrstoff wieder. Dann zählt plötzlich nicht mehr, wer etwas kann, sondern nur noch wer wie aussieht oder welche Klamotten trägt. Ich vergleiche das gerne mit dem Sport: Leistungssportler finden Bestätigung in ihrem Können und haben so ein erfüllteres Leben. An unseren Schulen, insbesondere auch in unserer Region hat es seit Jahren eine Vernachlässigung des Leistungsgedankens gegeben, das schlägt sich vor allem in den sogenannten „harten“ Fächern nieder und leider dauert es Jahre, das zu berichtigen.

Hirnforscher und Pädagogen sagen, dass der Frontalunterricht ausgedient hat. Selbstständiges Lernen der Kinder zeige die besten Ergebnisse.

Wenn man das Leistungsgefälle der deutschen Schulen von Süd nach Nord betrachtet, dann bleibt für mich als einzige plausible Erklärung, dass im Süden weniger reformiert wurde als im Norden. Vielleicht ist das Altmodische doch gar nicht so schlecht. Ob jede Reform zu einer Verbesserung geführt hat, halte ich für sehr zweifelhaft. Wenn der Anspruch sinkt, sinkt das Engagement der Kinder, dann fehlt der Wettbewerb und die Leistungen werden schlechter. So entsteht ein Kreislauf nach unten, der nur schwer zu durchbrechen ist. Um also insbesondere in Richtung Asien global wettbewerbsfähig zu bleiben, sind große Anstrengungen der ganzen Gesellschaft nötig.

Mathematik hat eine grundlegende Bedeutung für das Informatikstudium.

Nicht nur für die Informatik und für alle Ingenieurwissenschaften, sondern auch weit darüber hinaus. Was die Informatik betrifft, so braucht man hier Mathe gar nicht so sehr, weil sich alles um das Rechnen und um Rechner dreht. Es geht vielmehr um die spezifische Denkweise, die Mathematik ausbildet: Nämlich den sicheren Umgang mit in ihrer Bedeutung exakt festgelegten Begriffen und das strukturierte logische Denken, das diese Begriffe zueinander in Beziehung setzt. So etwas wird in der Schule am stärksten im Mathematikunterricht trainiert.

Was bedeutet das konkret?

Die konkreten mathematischen Begriffe aus dem Mathe-Unterricht stehen eigentlich gar nicht so sehr im Mittelpunkt. Sie bieten lediglich altbewährte Bausteine, mit denen man das logische Denken am einfachsten entwickeln und trainieren kann. Die beim mathematischen Beweisen eingeübte Argumentationskultur ist für alle Wissenschaften wichtig, und natürlich ganz besonders für die Informatik. Hier muss man mit seinen Programmen den Computer befähigen, nach klar strukturierten Algorithmen hochkomplexe Rechenprozesse auszuführen. Um solche Programme entwerfen zu können, ist die Fähigkeit zu strukturiertem Denken eine elementare Voraussetzung.

Was müssen Ihre Studierenden lernen?

In der Mathematik geht es immer um lückenlose Beweisketten, in denen die einzelnen, aufeinander aufbauenden Argumentationsschritte logisch exakt beschrieben sind. Da darf es keinen Fehler oder Lücken geben. Ohne diese Fähigkeit kann man in der Informatik später keine Programme schreiben. Auch müssen die Studierenden mathematische Strukturen erfassen und beschreiben können. Das befähigt sie, Probleme – und zwar nicht nur mathematische Probleme – in ihrer Komplexität zu erfassen und zu verstehen. Genau darum drehen sich die Mathematikvorlesungen und Übungen, intensiv wird das mathematische Denken und die Struktur- und Modellbildung gelehrt. Glücklicherweise können wir dabei auf einen über lange Zeit bewährten Kanon von mathematischen Theorien zurückgreifen, der sich über Jahrhunderten herausgebildet und bewährt hat.

Sollten Schüler, die später Informatik studieren wollen, auf solche Fähigkeiten besonders achten?

Nicht nur die. Allgemein ist es wichtig, dass viel aus dem Mathematikunterricht mitgenommen wird. Es müsste überhaupt mehr Anstrengungen in der Schule geben, den Schülern klarzumachen, dass diese Fähigkeiten später so wichtig sind. Egal in welche Richtung man sich beruflich entwickeln will. Für den Bereich IT ist es natürlich unerlässlich, dass mathematische Fähigkeiten zum strukturierten logischen Denken und klaren Formulieren mitgebracht werden.

Ist der Mathe-Unterricht heutzutage vielleicht zu trocken?

Ich denke manchmal, dass das Rechnen heute zu wenig geübt wird. Zu schnell ist der Taschenrechner bei der Hand. Das Lernen und Anwenden des kleinen und großen Einmaleins sorgt dafür, dass gewisse Verknüpfungen im Gehirn ausgebildet werden, die auch für andere Dinge sehr wichtig sind. Gerade Rechnen kann man auch sehr spielerisch vermitteln. Am HPI versuchen wir mit unserem HPI-Schülerkolleg, Unterrichtsmodule zu entwickeln, die anspruchsvoll sind und trotzdem oder gerade deswegen Spaß machen. Wir zeigen den Schülern, dass die Fähigkeiten zu logischem und strukturiertem Denken Sinn machen, weil man damit spannende Erkenntnisse erlangen kann, etwa logische Schaltungen bauen oder lokalisierte Web-Dienste konzipieren. Das machen wir zusammen mit dem brandenburgischen Bildungsministerium, damit Lehrer diese spielerischen Ansätze wieder zurück in die Schulen tragen.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

Christoph Meinel

(Jg. 1954) ist wissenschaftlicher Direktor und Geschäftsführer des Hasso-Plattner-

Instituts für Softwaresystemtechnik (HPI) an der Universität Potsdam.

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