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Potsdam-Mittelmark: Spuk in der Lungenchirurgie

Beelitz-Heilstätten war einst Sanatorium für Tuberkulose-Kranke. Hitler und Honecker waren dort. Heute sind es Horror-Touristen

Beelitz - Wer mit Irene Krause auf Entdeckungstour geht, wird erst einmal geimpft. Auf dem Gelände der ehemaligen Heilstätten in Beelitz soll schließlich keiner die Motten kriegen. „So wie die Motte die Wolle zerfrisst, zerfrisst die Tuberkulose die Lunge“, erklärt Krause. Dann verteilt die Gästeführerin Marzipankugeln mit Schokoüberzug. Die symbolische Impfung mit den „Mottenkugeln“ sorgt für gute Laune. Krause macht regelmäßig Führungen in Beelitz, wo sich vor 100 Jahren eine der größten Lungen-Heilanstalten Deutschlands, ja vielleicht sogar der Welt befand.

Die Motten haben: Das wurde früher im Volksmund über jene gesagt, die an Tuberkulose erkrankt waren; einer nicht selten tödlichen Krankheit. In Beelitz wurden die Tuberkulose-Kranken der Millionenstadt Berlin behandelt. Und das waren damals nicht wenige. Heute ist das Areal längst eine Ruinen-Landschaft, aber etliche Gebäude stehen noch – vom Heizkraftwerk bis zur Liegekur-Halle. Sogar die alten Operationssäle sind zu sehen. Betrachten darf man die Gebäude nur von außen. Ein Betreten ist allein wegen der Unfallgefahr verboten. Oft halten sich die Besucher aber nicht daran, was manchen zum Verhängnis wurde.

Gästeführerin Krause bietet die Touren seit etwa fünf Jahren an. Zwei Stunden dauert der Rundgang mit der 58-Jährigen durch die Ruinen – aber eigentlich hat man danach erst einen Bruchteil gesehen. Immerhin ist das Gelände inmitten eines Kiefernwaldes 200 Hektar groß. „Ja, die Kiefern filtern die Luft regelrecht“, erklärt Krause. Die lungenkranken Patienten konnten hier durchatmen.

Zwischen 1898 und 1930 ließ die Landesversicherungsanstalt Berlin die Kliniken in Beelitz errichten, um die Tuberkulose einzudämmen. Weite Teile der Bevölkerung, vor allem die Bewohner der Arbeiterbezirke, litten unter der Schwindsucht. Sechs Stunden mussten die Patienten jeden Tag bei der Liegekur im Freien liegen. Vom Aufstehen bis zum Zubettgehen war alles streng geregelt. Auf einen Patienten kamen zwei Aufseher. In Beelitz-Heilstätten sei es „doller wie in Moabit“ – der Berliner Haftanstalt – schrieb ein Patient im Januar 1912 auf einer Ansichtskarte an seine Verwandten.

Während des Ersten und Zweiten Weltkriegs wurde das Areal jeweils zum Lazarett umfunktioniert. Verwundete Soldaten wurden hier behandelt, Ende 1916 auch der Gefreite Adolf Hitler. An der Westfront war Hitler von einem Granatsplitter getroffen worden.

Nach Kriegsende 1945 übernahm die Rote Armee das Gelände. Mehrere Jahrzehnte beherbergte Beelitz das größte Militärhospital der Sowjets außerhalb der UdSSR. Das ist auch der Hauptgrund, warum viele der Gebäude noch gut erhalten sind. Sie wurden bis zum Abzug der Sowjets im Jahr 1994 genutzt. Die letzten Prominenten, die hier Zuflucht fanden, waren im April 1990 der gestürzte DDR-Staatschef Erich Honecker und seine Frau. Das Paar lebte in einer der Arztvillen, bewacht von Soldaten. Nach dem Abzug der Sowjets begann der Verfall der ehemaligen Heilstätten.

Aus den Gebäuden sei „alles geklaut worden, was nicht niet- und nagelfest ist“, sagt Krause. Badewannen wurden zerschlagen, OP-Bestecke und Verbandsmaterialien entwendet. Vor allem aber auf Buntmetall waren Diebe scharf. Sogar die Kupferdächer wurden in schwindelerregender Höhe abmontiert. Durch die Löcher regnet es nun rein. „Die Häuser sterben regelrecht von oben herunter.“

Der morbide Charme zieht nun Abenteuerlustige und Verrückte an. In den Kliniken werden „Horror-Partys“ gefeiert, weil es dort angeblich spukt. Nachts seien in den Heilstätten die Schreie der ehemaligen Patienten zu hören, heißt es. Hobby-Fotografen ziehen über das Gelände – bei halsbrecherischen Kletteraktionen auf der Suche nach dem spektakulärsten Motiv kam es schon zu schweren Unfällen. Bei einer Party stürzte ein junger Mann ab und starb.

Im Jahr 2008 kaufte zuletzt der Potsdamer Architekt Torsten Schmitz das Areal und pries das „Paradies“ mit unberührter Natur. Ein neues Klima-Institut mit dem ehemaligen Bundesumweltminister Klaus Töpfer an der Spitze wollte Schmitz errichten, außerdem ein Museum für zeitgenössische Kunst, eine orthopädische Klinik, ein Mutter-KindKrankenhaus, ein Generationenprojekt, Siedlungen und so weiter. Passiert ist bislang nichts. Schmitz will sich nicht mehr zum Stand der Dinge äußern.

„Mir tränen die Augen“, sagt eine Touristin vor den Gemäuern, an denen der Efeu rankt. „So etwas muss doch erhalten werden.“ Auch Gästeführerin Krause macht der Zustand traurig. Irgendwie müsse man Beelitz-Heilstätten für die Nachwelt retten – auch die Landesregierung sei da gefragt, meint die 58-Jährige. „Möchte es vielleicht jemand von Ihnen kaufen?“, fragt Krause in die Runde. Aber durch den Wald schallt nur Gelächter.

Haiko Prengel

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