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Faszination E-Sport: Sportlichkeit vor dem Bildschirm

In Potsdam suchte Fußball-Bundesligist Hertha BSC Talente für seine neu gegründete E-Sport-Akademie. Das Videospielen als Wettkampf boomt, generiert viele Geldeinnahmen und soll nach Meinung der Koalition eine anerkannte Sportart in Deutschland werden. Das sorgt für Diskussionen.

Von Tobias Gutsche

Vielen Jugendlichen klingeln elterliche Aussagen wie diese in den Ohren: „Mensch, nun häng’ doch nicht die ganze Zeit am Computer rum. Geh mal raus und mach Sport!“ Mittlerweile können die Teenager getrost entgegnen: „Ich mache doch hier Sport. E-Sport!“ Jener Wettkampf in PC- oder Konsolenspielen erlebt einen enormen Boom, er wird von zig Millionen Menschen auf der Welt betrieben und via Internet-Videoplattformen verfolgt. Bei großen Championaten versammeln sich Tausende Fans in riesigen Hallen, um zuzuschauen, was andere mit Gamepad, Tastatur und Maus leisten. Zugleich wird kontrovers diskutiert, inwiefern das tatsächlich ein Sport ist.

Klischee der "Couchpotatos"

Vergangenen Samstag konnte sich in der Potsdamer Schinkelhalle ein Bild von der Faszination E-Sport gemacht werden. Die Stätte an der Schiffbauergasse wurde zur Zockerarena. Hertha BSC veranstaltete dort ein Sichtungsturnier für das Fußballvideospiel Fifa 18. Insgesamt sieben solcher Wettstreits führt der Berliner Verein durch, sucht dabei unter 2100 Teilnehmern zunächst 20 Finalisten, die dann Mitte Juni darum kämpfen, Teil eines deutschlandweit bislang einmaligen Projekts zu werden. Als erster Fußball-Bundesligist baut Hertha BSC eine eigene E-Sport-Akademie auf, an der anfangs zwei bis vier besonders gute Fifa-Spieler zwischen zwölf und 18 Jahren gefördert werden sollen.

Andere Clubs wie die Vorreiter FC Schalke 04 und VfL Wolfsburg hätten zwar schon E-Sportteams bei sich aufgenommen, „doch mit dem Konzept einer Akademie verfolgen wir einen nachhaltigen Ansatz“, erklärte Maurice Sonneveld. Er ist Leiter des Bereiches „Digital Media“ bei den Herthanern, die für ihre gute Nachwuchsförderung auf dem Rasen bekannt sind. Nun möchten sie – an ihre fußballerische Akademie angebunden – auch Talente vor dem Bildschirm weiterbringen. Drei Schwerpunkte seien dafür vorgesehen und werden um die Schulpläne herumgestrickt: Trainingsbetreuung, Weiterbildung in puncto Darstellung auf sozialen Netzwerken sowie Gesundheitsförderung. „Bei einem E-Sportler hat man zwar häufig das Klischee eines ,Couchpotatos’ vor Augen, doch auch E-Sportler müssen fit und gesund sein“, betont Daniela Teichert, Mitglied der Geschäftsleitung der AOK Nordost. Die Krankenversicherung weitet ihr Engagement bei Herthas Fußball-Akademie auf das Pendant für das virtuelle Kicken aus. Den jungen Spielern sollen Ratschläge zu einer gesunden Lebensweise gegeben werden, die sie wiederum ihrerseits über moderne Kommunikationskanäle weiterstreuen an Leute, die sich ebenfalls mit E-Sport beschäftigen.

Es gibt E-Sport-Millionäre

Das ist eine große Zielgruppe. Laut einer Studie des Forschungs- und Beratungsunternehmens Nielsen Sports in Kooperation mit Infront und Sport1 Media interessieren sich knapp ein Viertel der 14- bis 49-jährigen Deutschen für E-Sport. Tendenz stark steigend. Ebenso hinsichtlich der wirtschaftlichen Faktoren. Der durch E-Sport in Deutschland erzielte Umsatz soll sich bis 2020 von zuletzt etwa 50 Millionen Euro auf rund 130 Millionen Euro steigern, wie das Wirtschaftsprüfungsunternehmen Deloitte prognostiziert. Weltweit soll gemäß Analyse von Newzoo binnen der nächsten drei Jahre deutlich die Eine-Milliarde-Euro-Grenze überschritten werden. Ein Geschäft, das auch die Spieler reich machen kann – horrende Preisgelder und weiterführende Vermarktungseinnahmen haben schon E-Sport-Millionäre hervorgebracht.

Nicht zwingend vom großen Geldregen, sondern vielmehr von ruhmreichen Erfolgen träumen auch Leroy Richter und William Ostermann. Die beiden Potsdamer sind gute Freunde, spielten einst aktiv Fußball, fiebern leidenschaftlich mit Hertha BSC mit und lieben den Konsolenkick der Fifa-Serie. „Da dachten wir: Die Hertha-Akademie wäre doch perfekt für uns. Also haben wir uns einfach für die Sichtung angemeldet“, erzählte William Ostermann vorgestern in der Schinkelhalle. Der 18-Jährige brauchte nicht selbst mitspielen, weil er sich bereits als Zweitplatzierter des Auftaktturnieres in Berlin seinen Finalstartplatz gesichert hatte. Daher unterstützte er diesmal nur seinen Kumpel Leroy Richter, der beim ersten Wettkampf im Viertelfinale ausgeschieden war und nun erneut versuchte, die Endrundenqualifikation zu schaffen. 128 Teilnehmer waren in Potsdam dabei. Während draußen herrlich die Sonne schien, hingen sie mit starrem Blick und nicht selten einem offenen Mund vor den 16 Fernsehern. Bei der Torejagd herrschte beachtliche Ruhe im Saal. Ein wenig Musik dudelte sanft aus den Boxen, ab und an war ein leiser Jubel – oft begleitet von einer geballten Faust – oder auch ein Fluch zu hören. Ansonsten blieb es still. Volle Konzentration. Anspannung pur.

Vorstoß der Koalitionsparteien

„E-Sport verlangt viel ab“, sagte der Hertha-Verantwortliche Maurice Sonneveld. Darum brauche es, um an die Spitze der Zunft zu kommen, mehrere Stunden Training täglich – am Bildschirm ebenso wie im Kraftraum oder auf der Laufstrecke. Eine Studie der Deutschen Sporthochschule Köln ergab, dass ein Gamer im Spielmodus zwischen 200 und 300 Bewegungen pro Minute macht und sein Herz in dieser Zeit bis zu 180-mal schlägt. Weitaus mehr als beispielsweise beim Schießen, einer etablierten Olympiadisziplin. „Es laufen physische Prozesse während des Spielens ab“, unterstrich Sonneveld. „Also ist das Sport.“

So scheinen auch Politiker der Parteien CDU/CSU und SPD zu denken. Sie haben im aktuellen Koalitionsvertrag verankert, dass die Bundesregierung „E-Sports künftig vollständig als eigene Sportart mit Vereins- und Verbandsrecht anerkennen und bei der Schaffung einer olympischen Perspektive unterstützen“ wolle. Dieser Vorstoß sorgte für reichlich Debatten. Traditionalisten halten herzlich wenig davon, Computerzocken etwa mit Leichtathletik und Schwimmen gleichzusetzen. Aber: „Wir spüren, dass E-Sport viele bewegt“, sagt Veronika Rückert, Vorstandschefin des Deutschen Olympischen Sportbundes. Deswegen hat der DOSB nun eine Arbeitsgemeinschaft ins Leben gerufen, die bis zum Herbst prüfen soll, ob E-Sport einen Platz in der nationalen Sport-Dachorganisation und deren Fachverbänden und Vereinen finden könnte. Ein wichtiger Punkt werden die Inhalte der Spiele sein. Fußballsimulationen wie Fifa 18 gehören mit Abstand nicht zu den meistgenutzten der Szene. Vorne liegen stattdessen die Strategiegames League of Legends und Dota 2 sowie der Ego-Shooter Counter Strike. Der Frage, wieviele Gewaltelemente in den Spielen auftreten, werde sich der DOSB bei seiner Entscheidungsfindung intensiv widmen, meint Rückert. Indes hat der Deutsche Fußball-Bund (DFB) seine anfängliche Abwehrhaltung etwas gelockert. Man wolle fußballbezogene Spiele als Ergänzung für das bestehende Vereinsleben stärken. E-Soccer führt der DFB in diesem Zuge als Terminus ein.

Offenheit beim LSB und SVB

Interessiert werden die Entwicklungen auch vom Landessportbund Brandenburg (LSB) beobachtet. „E-Sport ist ein spannendes Thema, das uns natürlich beschäftigt und das wir auch mitbegleiten“, sagt LSB-Hauptgeschäftsführer Andreas Gerlach. „Es muss geklärt werden, ob und wie sich E-Sport in unsere Strukturen des organisierten Sports einbinden lässt – sprich, in das System von Vereinen.“ Ein Potsdamer Club, der gerne neue Wege zur Weiterentwicklung beschreitet, ist der SV Babelsberg 03. „Wir haben die Sache auf dem Schirm und uns auch bereits Gedanken zu möglichen Turnierveranstaltungen gemacht“, so SVB-Geschäftstellenleiter Björn Laars: „Wenn jetzt Leute zu uns kämen, die sagen, sie möchten diesbezüglich etwas aufbauen, sind wir natürlich offen.“

Solche Offenheit gegenüber E-Sport wünscht sich Leroy Richter grundsätzlich. Der 17 Jahre alte Schüler aus Brandenburgs Hauptstadt glaubt an eine große Zukunft dieser Bewegung. „Wir müssen mit der Zeit gehen. Die Welt ist jetzt digital geprägt, das muss sich auch im Sport widerspiegeln“, plädierte er am Samstag, nachdem er sein erstes Match souverän gewonnen hatte und dafür von seinem seelischen Beistand William Ostermann einen Schulterklopfer erntete. Auch danach machte er zunächst erfolgreich weiter. Doch letztlich bestritten die Nicht-Potsdamer Felix Reiter und Yahya Al-Thawr das Endspiel, das Reiter gewann. Für Leroy Richter war wie schon beim ersten Turnier auch diesmal im Viertelfinale Schluss. „Aber ich gebe nicht auf“, bekräftigte er. „Ich werde es bei den nächsten Sichtungen einfach weiterhin probieren. Ich will wie William ins große Finale und mit ihm in die Hertha-Akademie.“ Das ist e-sportlicher Ehrgeiz.

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