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Landeshauptstadt: Soziale Substanzerhaltung

Wer zur Gruppe passt, darf rein. Ein Ortstermin im Archiv

Die Leipziger Straße ist kein Ort mit Verweilqualität, besonders im Winter, wenn durch die enge Dunkelheit nur ab und zu ein Auto die Einbahnstraße langfegt. Einsam und beharrlich wacht hier der gekrönte Bier-Roland an der tristen Fassade der einstigen Brauerei, Ikone eines ungetrübten Durchhaltewillens.

Durchhalten wollen auch die Archiv–Betreiber, die vor 18 Jahren das denkmalgeschützte Gebäudeensemble unterhalb des Brauhausbergs besetzten und seit 1998 als Verein mit Mietvertrag hier das alternative Soziokulturzentrum betreiben. Eine holprige Durchfahrt führt auf das Gelände, man muss es finden wollen. Die „gewaltfreie Zone“ ist nicht nur ein Treffpunkt für linksalternative Aussteiger und Sympathisanten. „Bunt gemischt“, nennt Kay-Uwe Kärsten das Publikum, vereinzelt trinke hier auch mal ein Anzugträger aus seinem Landtagsbüro ein Feierabendbier. Berührungsängste haben sie nicht, sagt der Archiv-Sprecher, wer sich an die Regeln hält – keine Gewalt und keine Diskriminierung – sei willkommen, und meint damit auch eventuelle neue Nachbarn aus der Speicherstadt. „Es gibt keinen Grund, hier wegzuziehen, das nennt man soziale Durchmischung“. Nicht immer sei das so einfach zu realisieren – jeder dürfe zwar mitmachen, aber er müsse schon zur Gruppe passen, so das Selbstverständnis des Hauses.

Nun da die Stadt über dringende Sanierungs- und Brandschutzmaßnahmen für 1,1 Millionen Euro, die zur Weiterführung des Veranstaltungsbetriebes notwendig sind, zu entscheiden hat, ist der Standort „Archiv“ erneut in den öffentlichen Fokus gerückt. Am liebsten wäre den Betreibern – ein Verein mit etwa 50 Mitgliedern plus freiwillige Helfer – autonom und autark arbeiten zu können. Doch das ist nicht zu stemmen. Dabei haben sie in den 18 Jahren, sagt Kärsten, so einiges geschafft, Substanzerhaltung, „sonst wäre das Haus längst innerlich verrottet“. Es gibt Strom und Wasser, was in besetzten Häusern einst als Luxus galt. Einzige Heizung ist ein Bullerofen im „Café“ und ein Gasheizer im Klo, damit die Leitungen nicht einfrieren. Eine behindertengerechte Toilette soll im Zuge der Sanierung kommen. Wenn die Stadtverordneten endlich grünes Licht geben.

Das Image des Provisorium wollen sie allerdings nur ungern verlieren. „Im Waschhaus zum Beispiel fühl ich mich nicht mehr wohl, zu klinisch“, findet Kärsten. Natürlich muss die Fassade gemacht werden, ein Eingeständnis an das Gesamterscheinungsbild, aber hinten, „da kann es ruhig so bleiben, wie es ist“.

Noch riecht es hier also nicht nach Ambrosia und Veilchen, eher nach kaltem Zigarettenrauch Marke selbstgedreht und altem Bier. In der sogenannten „Kneipe“ kann bei Dauergrunzmuggenbeschallung Billard und Kicker gespielt werden. Gemütlicher ist es im „ Café“: Hier herrschen sogar Plusgrade, ein Klavier und die ausgeschlachtete Karosserie eines schnittigen Oldtimers, umfunktioniert zur Sitzgruppe, verleihen dem Raum so etwas wie Charakter. Johnny Cash oder wer auch immer liefert genderfreundliche Einlullung, passende Heißgetränke gibt es an der Bar, für nichts oder zum Selbstkostenpreis, das Bier für einen Euro.

Finanzieren kann sich der Verein nur über Spenden und den Eintritt für Veranstaltungen, Konzerte, Lesungen. Manches können sie abstauben, so gab es einst Kühlschränke vom Lindenpark. Mit etwas mehr Planungssicherheit, sprich einem entfristeten Mietvertrag, würde die Spendenakquise erleichtert, aber „das braucht den politischen Willen der nicht immer homogenen Gruppe der Stadtverordneten, schwierig“, sagt Kärsten schulterzuckend. Immerhin, das Verhältnis zum Fachbereich Kultur und Museen nennt er „vertrauensvoll“. In einer von der Stadt in Auftrag gegebenen Evaluation war erst vor wenigen Monaten das hohe Maß an Eigeninitiative und Selbstverwaltung gelobt worden. „Da gibt es Leute, die wissen durchaus, was sie an uns haben“, sagt Kärsten selbstbewusst.

Tatsächlich konnte dasArchiv letztlich nur überleben, weil es unter Betreibern und Nutzern ein hohes Maß an Identifizierung mit dem Haus gibt. In Tausenden geleisteten Arbeitsstunden wurde ein Sportraum eingerichtet, Böden abgeschliffen, Geräte aufgestellt. Da finden jetzt Kurse statt: Yoga, Tanz, Kampfsport. Im Nordflügel sind Quartiere entstanden, bis zu zwölf Leute finden hier länger- oder kurzfristig Wohnmöglichkeit. In Potsdam, sagen sie, gibt es immer weniger Wohnraum zu sozialverträglichen Mieten, die „neoliberale Konzernstadt“ verletze ihre Fürsorgepflicht. Deshalb organisieren sie schon mal Demos.

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